Seite:Die Gartenlaube (1873) 089.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 6.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Herr Wilberg hatte von Neuem Gelegenheit, sich über Ulrich’s „abscheuliches Betragen“ zu ärgern, denn dieser stand noch immer unbeweglich da, die Stirn finster zusammengezogen, die Lippen fest aufeinandergepreßt, kurz mit dem Ausdrucke jenes starren Widerstandes, mit dem er sich einst beim Eintritt in den Salon gewaffnet. Man sah es ja, daß er den Haß gegen die junge Gemahlin seines Chefs erst förmlich niederkämpfen mußte, aber diesmal siegte doch seine bessere Natur. Herr Wilberg beobachtete es ganz deutlich, wie bei dem ersten Tone jener Stimme ihn die Scham über sein Benehmen durchzuckte, wie sie ihm glühend roth bis an die Stirn emporstieg und sogar seiner Haltung das Feindselige, Trotzige nahm. Jedenfalls war auch die vorhergegangene Strafpredigt nicht ohne Wirkung geblieben, wie hätte sonst dieser eisenköpfige Hartmann, dem nichts mit Güte oder Gewalt abzuzwingen war, sich auf eine bloße Frage hin in stummem Gehorsam gefügt, wie jetzt, wo er in’s Haus ging und bereits nach Verlauf von einigen Minuten mit dem Tuche in der Hand wieder zurückkam.

„Hier, gnädige Frau.“

Eugenie steckte das Tuch zu sich, auf das sie nicht den geringsten Werth zu legen schien.

„Und nun, Herr Wilberg, da ich Sie hier finde, können Sie mir wohl die beste Auskunft geben. Ich habe zum ersten Male den Weg hier entlang genommen und finde die Brücke, die zum Parke führt, durch ein Gitter geschlossen. Ist es nicht zu öffnen, und muß ich den Umweg zurück durch die ganzen Werke nehmen?“

Sie wies auf die nur wenige Schritte entfernte Brücke, die über einen kleinen Graben führte, der den Park nach dieser Seite hin abschloß, und die in der That durch ein Eisengitter gesperrt war. Herr Wilberg befand sich in Verzweiflung. Das Gitter war wirklich verschlossen; man wollte den Park damit für die Arbeiter, deren Wohnungen zum Theil auf dieser Seite lagen, unzugänglich machen, aber der Gärtner hatte den Schlüssel, Willberg wollte eilen, fliegen, um ihn herbeizuschaffen, wenn die gnädige Frau sich entschließen könnte, so lange zu warten, bis –

„O nicht doch!“ unterbrach ihn Eugenie, ein wenig ungeduldig. „Dann hätten Sie ja zwei Mal den Umweg zu machen, den ich vermeiden will, und das Warten möchte doch etwas zu lange dauern. Ich ziehe es vor, umzukehren.“

Wilberg wollte das nicht zugeben, er bat und beschwor die gnädige Frau, ihm doch das Glück dieses Ritterdienstes zu gönnen, als er mitten in seiner wohlgesetzten Rede durch ein lautes Krachen unterbrochen wurde.

Ulrich hatte sich inzwischen dem Gitter genähert und es mit beiden Händen erfaßt. Er schüttelte die Eisenstangen jetzt mit solcher Gewalt, daß Schloß und Riegel ächzten. Als sie dennoch nicht sofort nachgaben, flog ein zorniges Aufleuchten über die Züge des jungen Arbeiters; ein energischer Fußtritt brach den letzten Widerstand des allerdings nicht mehr ganz neuen Verschlusses – die Thür sprang auf.

„Um Gotteswillen, Hartmann, was machen Sie denn!“ rief Wilberg erschrocken. „Sie verderben ja das ganze Schloß! Was wird Herr Berkow sagen!“

Ulrich gab ihm keine Antwort. Er stieß die Thür vollends auf und wandte sich dann ruhig zurück.

„Der Weg ist offen, gnädige Frau.“

Eugenie sah nicht halb so bestürzt aus wie der junge Beamte, als sie den so ungestüm geöffneten Weg betrat; sie lächelte sogar.

„Ich danke Ihnen, Hartmann, und was das verdorbene Schloß betrifft, Herr Wilberg, so machen Sie sich keine Sorge deswegen, ich übernehme die Verantwortung. Aber da die Thür einmal offen ist – wollen Sie nicht auch den kürzeren Weg durch den Park nehmen?“

Welch ein Anerbieten! Herr Wilberg eilte nicht, er stürzte, er flog an die Seite der gnädigen Frau und zermarterte in der Eile sein Gehirn, um nun auch sogleich auf ein möglichst interessantes und geistreiches Gesprächsthema zu stürzen, aber er war gezwungen, zunächst ein sehr prosaisches zu beginnen, da Eugenie den Kopf zurückwandte, wieder mit jenem ernsten, nachsinnenden Blick, der schon einmal vergebens versucht hatte, das widerspruchsvolle und ihr völlig räthselhafte Wesen jenes Mannes zu durchdringen.

„Eine wahre Berserkerkraft hat dieser Hartmann und eine Berserkerwuth dazu! Zertrümmert er da ohne Weiteres Schloß und Riegel, nur –“

„Nur um mir einen bequemeren Weg zu bahnen,“ ergänzte Eugenie mit leiser Ironie auf ihren Begleiter blickend. „Nicht wahr, Herr Wilberg, einer so gewaltsamen Höflichkeit hätten Sie sich nicht schuldig gemacht?“

Herr Wilberg protestirte eifrig gegen eine solche Zumuthung. Wie die gnädige Frau denn glauben könne, er werde sich so ungestüm an fremdem Eigenthum vergreifen, noch dazu in ihrer

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_089.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)