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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

und hielt die Pferde an; er und der Diener stiegen eiligst vom Bock herunter und es wurde draußen ein lautes Hin- und Herreden laut.

„Was giebt es denn?“ fragte Eugenie, sich unruhig emporrichtend.

Arthur seinerseits zeigte sehr wenig Interesse zu erfahren, was es gäbe; er hätte wahrscheinlich ruhig gewartet, bis man ihm die betreffende Meldung machte, jetzt aber fühlte er sich doch bewogen, das Fenster herabzulassen und die Frage seiner Frau zu wiederholen.

„Aengstigen Sie sich nicht, Herr Berkow!“ sagte der Kutscher, der, die Zügel fest in der Hand haltend, vor den Schlag trat. „Wir sind noch glücklich genug davongekommen, aber um ein Haar hätten wir umgeworfen. An dem Hinterrade muß irgend etwas zerbrochen sein. Franz ist eben dabei, nachzusehen.“

Die Meldung, die Franz nach geschehener Untersuchung zurückbrachte, lautete nicht eben tröstlich. Das Rad war so stark beschädigt, daß es sich als eine Unmöglichkeit erwies, mit dem Wagen in diesem Zustande auch nur hundert Schritte weit zu fahren. Die beiden Diener sahen ihre Herrschaft rathlos an.

„Ich fürchte, wir müssen unter diesen Umständen auf die beabsichtigten Besuche verzichten,“ sagte Arthur gleichgültig, indem er sich zu seiner Frau wandte. „Bis Franz nach Hause zurückkehrt und mit einem neuen Wagen wiederkommt, dürfte es für die Fahrt nach der Stadt doch wohl zu spät geworden sein.“

„Das fürchte ich auch. Es bleibt uns also nichts übrig, als auszusteigen und umzukehren.“

„Auszusteigen?“ fragte Arthur mit offenbarer Verwunderung. „Beabsichtigst Du etwa den Rückweg zu Fuße anzutreten?“

„Beabsichtigst Du etwa so lange im Wagen zu bleiben, bis Franz mit einem anderen zur Stelle ist?“

Arthur schien dies in der That sich vorgenommen zu haben und er hätte es wahrscheinlich auch ausgehalten, zwei volle Stunden lang in der Ecke des Wagens zu liegen, wo er ja vor Wind und Wetter geschützt war, ehe er sich zu einer Fußtour durch den kalten nassen Wald entschloß. Eugenie mochte ihm das wohl ansehen, denn das verächtliche Lächeln trat wieder auf ihre Lippen. „Ich meinestheils ziehe den Rückweg zu Fuße diesem zwecklosen und ermüdenden Warten vor! Franz wird mich begleiten, da er ohnedies zurück muß. Du bleibst wohl jedenfalls im Wagen? Ich möchte um keinen Preis die Verantwortung auf mich nehmen, Dir eine Erkältung zuzuziehen.“

Was der ganze Unfall nicht vermocht hatte, das bewirkte die unverhüllte Ironie dieser Worte; sie scheuchten den jungen Mann aus seiner Ecke auf. Er richtete sich empor, stieß die Thür auf und stand in der nächsten Minute bereits draußen auf dem Wagentritt, ihr die Hand zum Aussteigen bietend. Eugenie zögerte.

„Ich bitte Dich, Arthur –“

„Ich bitte Dich, den Leuten wenigstens kein Schauspiel zu geben, indem Du die Begleitung des Bedienten der meinigen vorziehst. Willst Du die Güte haben?“

Die junge Frau zuckte fast unmerklich die Achseln, aber es blieb ihr nichts Anderes übrig, als die dargebotene Hand anzunehmen, denn Kutscher und Diener standen in der That in unmittelbarer Nähe; sie stieg also aus und Arthur wandte sich zu den Leuten.

„Ich werde die gnädige Frau zurückbegleiten. Seht zu, daß Ihr den leeren Wagen nach irgend einem Gehöfte bringt, wo er vorläufig bleiben kann, und Ihr folgt uns sobald als möglich mit den Pferden.“

Die Diener zogen die Hüte und machten sich daran, den erhaltenen Befehl auszuführen; es war allerdings das Einzige, was unter diesen Umständen zu thun übrig blieb. Mit einer leichten Bewegung lehnte Eugenie den dargebotenen Arm ihres Gatten ab.

„Ich fürchte, wir müssen hier auf den Promenadenschritt verzichten!“ sagte sie ausweichend. „Es muß wohl ein Jeder zusehen, wie er allein vorwärts kommt.“

Sie versuchte dies in der That, aber nur, um schon beim ersten Schritt bis an die Knöchel in dem zähen aufgeweichten Schlamm des Bodens zu versinken, und als sie erschreckt darüber nach der anderen Seite hinüberflüchtete, gerieth sie in zolltiefes Wasser, das unter ihren Füßen aufspritzte; die junge Frau stand rathlos da. So schlimm war ihr der Weg vom Wagen aus denn doch nicht erschienen.

„Hier kommen wir überhaupt nicht vorwärts!“ erklärte Arthur, der inzwischen das gleiche Experiment mit einem ähnlichen Erfolge versucht hatte. „Wir müssen durch den Wald zurück.“

„Ohne Weg und Steg zu kennen? Wir werden uns verirren.“

„Schwerlich! Ich erinnere mich noch aus meinen Knabenjahren ganz deutlich eines Fußpfades, der mitten durch den Wald über die Höhen in’s Thal führt und dabei noch den Vortheil hat, den Weg bedeutend abzukürzen. Wir müssen ihn aufsuchen.“

Eugenie zögerte noch immer, aber die thatsächliche Unmöglichkeit, den zur Hälfte überschwemmten und von den Wagengeleisen noch mehr zerwühlten Fahrweg zu passiren, ließ ihr keine Wahl. Sie folgte ihrem Gatten, der bereits nach links abbog, und wenige Minuten später umfing sie Beide das dichte, dunkle Grün der Tannen.

Auf dem Moos und den Wurzeln des Waldbodens war nun wenigstens die Möglichkeit gegeben, vorwärts zu kommen, das heißt für unverwöhnte Füße. Für einen Herrn und eine Dame, die nur das Parquet des Salons gewohnt waren, denen bei jedem Ausflug Wagen und Reitpferde zur Disposition standen, und deren ganze Fußtouren sich auf einen Spaziergang im Park bei vollendet schönem Wetter beschränkten, bot dieser Weg noch immer Schwierigkeiten genug – und dazu dieser stürmische Nebeltag! Es regnete zwar jetzt nicht mehr, aber die ganze Umgebung triefte vor Nässe, und die Wolken drohten jeden Augenblick einen neuen Schauer herabzusenden. Ueber eine Stunde vom Hause entfernt, mitten im Walde, in den sie auf’s Gerathewohl wie ein paar Abenteurer eindrangen, ohne Wagen und Diener, ohne den geringsten Schutz gegen Wind und Regen – es war in der That eine ebenso ungewohnte als verzweifelte Situation für Herrn Arthur Berkow und dessen hochgeborene Gemahlin.

Die junge Frau fand sich indessen bald mit ihrer gewöhnlichen Entschlossenheit in das Unvermeidliche. Sie hatte schon nach den ersten zehn Schritten die Unmöglichkeit eingesehen, ihr helles Seidenkleid und ihren weißen Burnus zu retten, sie gab daher beides ruhig dem nassen Moose und den tropfenden Bäumen preis und schritt muthig vorwärts. Aber so wenig ihre Toilette für eine solche Wanderung geeignet war, so wenig vermochte dieselbe sie vor der Witterung zu schützen; sie hüllte sich fröstelnd fester in den leichten Cachemir und schauerte unwillkürlich zusammen, als der kalte Wind sie berührte.

Ihr Gatte bemerkte das und blieb stehen. Er hatte, verweichlicht wie er war, trotz des geschlossenen Wagens einen Mantel umgeworfen, der ihn vollkommen schützte. Jetzt nahm er ihn schweigend ab, um ihn um die Schultern der jungen Frau zu legen, diese aber wich mit vollster Entschiedenheit zurück.

„Ich danke! Ich bedarf dessen nicht.“

„Du frierst ja.“

„Durchaus nicht! Ich bin nicht so empfindlich gegen die Witterung wie Du.“

Ohne ein Wort zu sagen, nahm Arthur den Mantel zurück, aber anstatt sich auf’s Neue darin einzuwickeln, warf er ihn nachlässig über den Arm und schritt nun in dem leichten Gesellschaftsanzuge an ihrer Seite hin. Eugenie kämpfte einen aufsteigenden Aerger nieder; sie wußte selbst nicht recht, warum dies Benehmen sie so verletzte, aber sie hätte es weit lieber gesehen, wenn er sich jetzt ängstlich in den verschmähten Mantel gehüllt hätte, um seine kostbare Gesundheit zu schonen, anstatt sich so rücksichtslos Wind und Wetter preiszugeben. Ein ruhiges, überlegtes sich Fügen in das Unvermeidliche war ihre Sache; sie konnte nicht begreifen, wie ihr Gatte dazu kam, dies Recht auch einmal für sich in Anspruch zu nehmen, konnte überhaupt nicht begreifen, wie er, der sich schon bei dem bloßen Gedanken an diese Waldpromenade entsetzt hatte, jetzt deren Unbequemlichkeiten gar nicht mehr zu empfinden schien, während sie schon halb und halb ihren Entschluß bereute. Ein Windstoß riß ihm den Hut vom Kopfe und wehte ihn einen Abhang hinunter, in dessen Tiefe er nicht mehr zu erreichen war. Gelassen sah Arthur dem Flüchtlinge nach und warf mit einer beinahe trotzigen Bewegung das lange braune Haar zurück. Sein Fuß sank bei jedem Schritt tief ein in das nasse Moos, und doch war Eugenien dieser Schritt nie so fest, so elastisch vorgekommen, wie heute. Die schlaffe Haltung ihres Gatten verlor sich mit jeder Minute mehr und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_106.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)