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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

hat er alle Schulden seines Herrn Sohnes decken müssen, und das neue Haus in der Stadt wird auch wohl so an die Hunderttausend kosten; wenn ihm nun auch die Werke ein paar Monate lang still stehen, grade jetzt, wo die großen Contracte abgeschlossen sind, so ist es zu Ende mit der ganzen Herrlichkeit. Vor zwei Jahren hätte er das vielleicht noch ausgehalten, jetzt hält er es nicht mehr aus. Wir setzen alles durch, wenn mir ihm damit drohen.“

„Gebe Gott, daß wir’s nur auch wirklich durchsetzen!“ seufzte einer der Bergleute, ein schon bejahrter Mann mit einem blassen eingefallenen Gesicht und bekümmerter Miene. „Es wäre doch schrecklich, wenn wir umsonst all die Noth und Sorge auf uns nähmen, und wochenlang mit Frau und Kindern darbten, damit zuletzt alles beim Alten bleibt. Wenn wir doch lieber noch warten wollten, bis die Cameraden –“

„Ja wohl, wenn wir auf die Anderen warteten –“ ließen sich hier und da einzelne Stimmen vernehmen.

„Schwätzereien und kein Ende!“ brauste Ulrich wild auf. „Ich sage Euch, daß jetzt grade die beste Zeit ist und daß wir vorgehen. Wollt Ihr mit mir gehen oder wollt Ihr nicht? Antwort!“

„So fahre doch nicht gleich so auf!“ beschwichtigte Lorenz. „Du weißt ja, daß sie alle mit Dir gehen, wenn’s einmal so weit ist. Laß sie auf den anderen Werken machen, was sie wollen! Wir sind einig, – da läßt Dich Keiner im Stich!“

„Ich wollte es auch Keinem rathen, zurück zu bleiben, wenn’s erst Ernst wird!“ sagte Ulrich, einen finster drohenden Blick nach der Ecke hinüber schleudernd, von wo der Widerspruch ausgegangen war. „Da können wir keine Feigheit gebrauchen, da muß Jeder für den Anderen einstehen, und wehe dem, der es nicht thut!“

Der junge Führer schien gerade in seiner despotischen Art den Cameraden gegenüber das rechte Mittel zu besitzen, um jeden etwa aufkeimenden Widerspruch zu ersticken. Die wenigen Opponenten, ausschließlich ältere Männer, schwiegen, während die Uebrigen, besonders die Jüngeren, sich mit lauter Zustimmung um Hartmann drängten, der jetzt ruhiger fortfuhr:

„Uebrigens ist jetzt keine Zeit, das alles zu besprechen, heut Abend wollen wir –“

„Der Obersteiger!“ unterbrachen ihn einige Stimmen, während sich Aller Blicke nach der Thür wandten.

„Auseinander!“ befahl Ulrich, und gehorsam dem Commando stob die Schaar auseinander. Jeder bemächtigte sich wieder seiner Blende, die er vorhin bei Seite gestellt hatte.

Der Obersteiger, der rasch und ziemlich unvermuthet eintrat, hatte wahrscheinlich noch die schnell gelöste Gruppe gesehen, vielleicht auch den Befehl gehört, denn er sah forschend im Kreise umher.

„Sie scheinen Ihre Cameraden ja ganz ausgezeichnet in Zucht zu haben, Hartmann!“ sagte er kalt.

„So ziemlich, Herr Obersteiger!“ gab dieser in gleichem Tone zurück.

Dem Obersteiger mochte es wohl wie den übrigen Beamten auch kein großes Geheimniß mehr sein, was die Arbeiter jetzt meist unter sich verhandelten; er zog es jedoch vor, nichts gehört und gesehen zu haben, sondern fuhr gleichgültig fort:

„Herr Berkow will mit den Ingenieuren das Hebewerk besichtigen. Sie sollen mit Lorenz im Fahrschachte bleiben, Hartmann, bis die Herren wieder zu Tage gefahren sind. Steiger Wilm kann vorläufig Ihre Leute mit zur Schicht führen, bis Sie nachkommen.“

Ulrich fügte sich schweigend der Anordnung und blieb mit Lorenz zurück, während die Uebrigen unter Leitung des Obersteigers anfuhren. Als der letzte seiner Cameraden verschwunden war, kehrte sich der junge Bergmann grollend ab.

„Feiglinge sind sie doch allesammt!“ murmelte er ingrimmig. „Das ist nicht vom Flecke zu bringen, mit seiner Unentschlossenheit und Furchtsamkeit. Sie wissen so gut wie ich, daß wir grade jetzt die Zeit benutzen müssen, und doch wollen sie nicht vorwärts, weil sie allein bleiben, weil die Anderen nicht hinter ihnen stehen. Ein Glück, daß wir gerade Berkow gegen uns haben und keinen Anderen. Wär’s ein tüchtiger Mann, der ihnen zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, sie brächten es nicht zu Stande.“

„Meinst Du denn, er wird das nicht auch thun?“ fragte Lorenz etwas mißtrauisch.

„Nein! Er ist feig, wie alle Tyrannen! Er prahlt und peinigt nur, so lange er obenauf ist, und wenn es an seine Haut oder seinen Geldsack geht, kriecht er zum Kreuze. Er hat sich so gründlich verhaßt gemacht und wird sie so in’s Aeußerste hineinhetzen, daß zuletzt Keiner zurückbleibt, und dann ist’s gut, dann haben wir ihn in der Hand.“

„Und der junge Herr? Glaubst Du, daß er sich gar nicht einmischt, wenn die Sache losgeht?“

Ein Ausdruck unverstellten Hohnes schwebte um Ulrich’s Mund, als er verächtlich entgegnete: „Der zählt nicht! Der läuft beim ersten Lärm, den es giebt, in die Stadt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Wenn wir mit dem zu thun hätten, wären wir freilich schneller fertig; er sagt zu Allem Ja, wenn man ihm droht, ihn nicht ausschlafen zu lassen. Der Vater wird uns doch mehr zu schaffen machen.“

„Er will das Hebewerk besichtigen,“ meinte Lorenz nachdenkend. „Ob er auch in die Schachte geht?“

Ulrich lachte bitter auf. „Was fällt Dir ein! Unsereins muß freilich täglich da unten sein Leben riskiren; dazu sind wir gut genug – aber der Herr Chef bleibt im sicheren Fahrschacht. Ich wollte, ich hätte ihn einmal so allein neben mir, Auge in Auge, er sollte mir das Zittern lernen, das wir unten so oft durchmachen müssen.“

Blick und Ton des jungen Mannes waren so wild, so erfüllt von tiefstem Hasse, daß sein viel gemäßigterer Gefährte es vorzog, zu schweigen und damit für den Augenblick wenigstens dies Gespräch zu beendigen. Es trat eine längere Pause ein; Hartmann war zum Fenster getreten und blickte ungeduldig hinaus, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte und Lorenz dicht neben sich stehen sah.

„Ich wollte Dich etwas fragen, Ulrich,“ begann er stockend. „Nun, Du wirst es mir ja auch sagen, wenn ich Dich darum bitte. – Wie stehst Du mit der Martha?“

Es vergingen einige Secunden, ehe Ulrich antwortete. „Ich mit Martha! Mußt Du das wissen?“

Der junge Bergmann sah zu Boden. „Du weißt es ja, ich bin dem Mädchen schon so lange nachgegangen, sie hat mich immer noch nicht gewollt, weil sie – wohl einen Anderen wollte. Nun freilich, verdenken kann ich’s ihr nicht!“ sein Blick glitt mit einer Art von schmerzlicher Bewunderung an seinem Freunde nieder, „und wenn es wirklich wahr ist, daß Du mir im Wege stehst, dann muß ich mir die Sache wohl aus dem Kopfe schlagen. Also sage mir gerade heraus, seid Ihr einig?“

„Nein, Karl!“ sagte Ulrich dumpf. „Wir sind nicht einig, und wir werden’s auch nicht, das wissen wir jetzt beide. Ich stehe Dir nicht mehr im Wege bei dem Mädchen, und wenn Du Dein Glück noch einmal versuchen willst, ich glaube, jetzt nimmt sie Dich.“

Ein Freudenblitz schoß über die Züge des jungen Mannes hin, als er sich tief aufathmend emporrichtete.

„Meinst Du das wirklich? Nun freilich, wenn Du es sagst, muß es ja wohl wahr sein, und dann will ich’s auch versuchen, gleich heut Abend.“

Ulrich runzelte finster die Stirn. „Heut Abend? Denkst Du denn gar nicht daran, daß wir heut Abend eine Besprechung haben, und daß Du dahin gehörst und nicht auf die Freierschaft? Aber Du bist auch nicht besser als die Anderen. Jetzt, wo wir hinein wollen in den Kampf, gehen Dir Deine Liebesgeschichten im Kopfe herum, jetzt, wo Jeder froh sein sollte, der nicht Frau und Kind hat, denkst Du an’s Heirathen! Es ist nicht auszuhalten mit Euch Allen!“

„Nun, ich werde doch immer bei der Martha anfragen dürfen,“ vertheidigte sich Lorenz gekränkt. „Und wenn sie auch wirklich Ja sagt, so ist’s noch immer eine gute Weile bis zur Heirath. Freilich, Du weißt nicht, wie so Einem zu Muthe ist, der was Liebes hat, das er nicht bekommen kann, wie sich einem das Herz umkehrt, wenn man sehen muß, daß ein Anderer da ist, Tag für Tag mit ihr zusammen, der nur nach dem zu greifen braucht, wofür man sein Leben lassen möchte, und doch nicht danach greift; Du –“

„Hör’ auf, Karl!“ unterbrach ihn Ulrich mit zuckenden Lippen, indem er die geballte Hand so heftig niederfallen ließ,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_123.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)