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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


verschlammt aus dem siebenzehnten in das achtzehnte Jahrhundert herübergekommenen Sprache große Achtung verdient, stellte sich den beiden jungen Leuten in der ganzen Schlagfertigkeit und Grandezza seiner literarischen Dictatur dar, wie im siebenten Buche von „Dichtung und Wahrheit“ ergötzlich zu lesen ist …. Wenn nun aber der Wolfgang kein correcter Student nach der Schablone von damals war, ein Studirender in seiner Art ist er doch trotz alledem gewesen. Sein Umgang mit Medicinern hat die schon in seinen Knabenjahren erwachte Theilnahme an den Naturwissenschaften in ihm gekräftigt, und diese Theilnahme hat sich dann später, wie bekannt, bis zu selbstständiger Forscherthätigkeit emporgehoben. In seinem Tischgenossen Ernst Wolfgang Behrisch gewann er einen Freund, welchem er nach ihrer Trennung drei Oden im echten Kraftgeniestil nachsang und der uns wie eine Antecipation von Goethe’s späterem Mentor Merck vorkommt. Mit dem vielfach klärenden und fördernden Einflusse von Behrisch verbanden sich die guten Wirkungen des fleißigen Verkehrs mit dem Director der Malerakademie, Oeser, welcher unsern Poeten zur Wiederaufnahme und Weiterführung seiner Uebungen im Zeichnen aufmunterte. Und diese Uebungen gediehen dann auch so weit, daß der Zeichner sogar in der Kupferstecherei sich versuchen konnte. Mit warmer Dankbarkeit hat Goethe später anerkannt, daß ihn Oeser gelehrt habe, „das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille“.

In der Bildergalerie zu Dresden, wohin unser Student wallfuhr, gingen ihm über das Wesen der Schönheit und Kunst ganz neue Lichter auf. Der empfangene Eindruck war ein ebenso mächtiger als dauernder, und von da ab ist das Verhältniß Goethe’s zu den bildenden Künsten ein unlösliches, ein seine Poesie wesentlich mitbedingendes und mitbestimmendes geworden und geblieben, so daß man mit vollem Rechte sagen konnte, die bildenden Künste seien für ihn genau das gewesen, was für Shakespeare die Musik war und für Schiller die Philosophie. Ein kaum minder befruchtendes Motiv für die Entwickelung und Ausbildung unseres Studenten wurde sein geselliger Verkehr mit gescheidten und gebildeten Frauen, und er hat auch, was er solchen schuldete, später dankbar anerkannt mittelst der allbekannten schönen Huldigungsstelle im Tasso.

In Leipzig hat sich namentlich die Frau des Professors Böhme um den jungen Mann verdient gemacht, indem sie ihm nicht nur die Formen und den Ton der guten Lebensart beibrachte, sondern auch seine literarischen Anschauungen und Vorstellungen erweiterte und aufhellte. Frau Böhme hat ihn darauf geführt, Shakespeare’sche Dichtungen in der Originalsprache zu lesen. Ebenso regte sie ihn zu Betrachtungen über den Zustand der deutschen Literatur an und leitete ihn so recht in das Studium der kritischen Arbeiten Lessing’s ein, der die deutsche Aesthetik geschaffen hat und dessen kunstphilosophische Schriften, verbunden mit den kunsthistorischen Winckelmann’s, auf Goethe ganz unberechenbar nachhaltig, klärend und wegzeigend wirkten. Lessing’s epochemachender „Laokoon“, diese Magna Charta unserer Kunstphilosophie, war gerade damals erschienen und man muß sich der Begeisterung erinnern, wie Goethe noch in seinen Greisenjahren von dem Entzücken redete, womit ihn als Jüngling die Lesung dieses Buches erfüllt habe, um so recht verstehen zu können, was er empfand, als ihm „wie mit einem Zauberschlage das Dunkel erhellt wurde, in welchem bis dahin die ästhetische Theorie umhergetappt war“.

Das strenge, aber wohlbegründete Urtheil der Frau Professorin zeigte dem darüber nicht wenig bestürzten Poeten auch, daß alles, was er bislang in Versen und Prosa geschrieben, doch eigentlich nur Quark sei, und darauf hin faßte der also Kritisirte nach überwundener Verblüffung den ungeheuer heldischen Entschluß, seinen ganzen handschriftlichen Vorrath von „Quark“ in’s Ofenfeuer zu schieben. Jedoch das Versemachen ging bald von neuem los und mußte von neuem wieder losgehen, weil unser Wolfgang wiederum bis über die Ohren verliebt war, und männiglich und weibiglich weiß ja, daß ein Poet auseinanderplatzen müßte, so er dem bis zum Bersten geheizten Dampfkessel seines Herzens nicht das Sicherheitsventil der Versemacherei aufthäte. Goethe ist in seinem ganzen Leben niemals ausschweifend gewesen. Dafür zeugt schon seine bis ins hohe Alter bewahrte körperliche Stattlichkeit und Rüstigkeit. Dafür zeugt auch und noch sprechender seine bis an’s Ende ausdauernde Geistesfrische, Arbeitskraft und Arbeitslust. Aber er trug ein feurig und zärtlich Dichterherz in der Brust und während seiner jungen Jahre hieß es allerdings bei ihm: Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen; da ein Gretchen und dort ein Käthchen, jetzt ein Linchen und dann ein Minchen, heut ein Annchen und morgen ein Hannchen.

In Leipzig handelte es sich um ein Aennchen-Käthchen, denn Wolfgang’s Flamme hieß Anna Katharina und war die Tochter des Weinhändlers Schönkopf, in dessen Haus eine auserlesene Gesellschaft von Studenten den Mittagstisch hatte. Goethe’s Neigung wurde erwidert, doch wohl mehr nur scherz- als ernsthaft. Er hat uns erzählt, daß er nun in krankhafter Laune darauf verfallen sei, sich eifersüchtig zu stellen und das arme hübsche Mädchen, welches übrigens etliche Jahre älter war als er, mit den thörichtesten Grillen zu quälen. Man hat das hinterher damit erklären wollen, daß der junge Poet gerade damals so zu sagen in einer geistigen Mauser begriffen gewesen sei, indem ihn die Einsicht in das Unzulängliche und Nichtige seiner bisherigen dichterischen Versuche, sowie die Unsicherheit seiner ästhetischen Anschauungen rathlos, verstimmt und zerfahren gemacht habe. Mag dem so sein; gewiß ist, daß Aennchen-Käthchen das Gebaren des „heißen Knaben“ in die Länge unerträglich fand und ihr Herz, soweit er es überhaupt besessen, von ihm wandte. Die Versuche, die er anstellte, dieses Herz wieder zu gewinnen, ließen ihn allerhand Thorheiten und Tollheiten begehen. Natürlich umsonst, und nun wurde der arme Junge, wie er meldet, vor Leidenschaftlichkeit halb verrückt, stürmte mit Trinken und Spielen auf seine Gesundheit los und zerrüttete diese auch wirklich für mehrere Jahre. Er wäre, hat er später gemeint, an dem Schmerz über Aennchens Verlust zu Grunde gegangen, wäre ihm nicht damals, wie nachmals noch so oft in seinem Leben, die Poesie eine heilkundige Aerztin geworden. Unser unglücklicher Liebhaber legte sich, so zu sagen, eine poetische Buße auf, indem er eine Komödie zu schreiben begann, in welcher er eine dichterische Abspiegelung seines Verhaltens zu Aennchen gab: – „Die Laune des Verliebten.“ Gleichzeitig mit diesem nicht ganz zu Ende geführten Lustspielsentwurf beschäftigte ihn noch ein zweiter, welcher unter dem Titel „Die Mitschuldigen“ Gestalt gewann und Erinnerungen aus der Gretchen-Zeit zur Grundlage hatte.

Beide Stücke wollen nicht viel bedeuten. Sie sind in Alexandrinern geschrieben und noch ganz im französischen Rococostil gehalten. Da und dort ein hübscher Einfall darin, ein geistreicher Zug; allein den künftigen Dichter des Prometheus und des Faust, des Werther und des Egmont, der Iphigenie, der Dora und der Dorothea ließen diese Versuche nicht entfernt ahnen. Goethe’s Anlage zum Komöden, zum Lustspieldichter ist überhaupt eine geringe oder wenigstens keine nachhaltige gewesen. Seine komische Kraft entlud sich in einzelnen Genieblitzen, sonst aber war sein Genius nicht auf das Komische, sondern auf das Seelische, das Ernste, Leidenschaftliche und Erhabene gestellt: Bei alledem verlangen die beiden Jugendkomödien unsere Aufmerksamkeit, insofern sie doch eine wesentliche Eigenheit goethe’scher Poesie schon deutlich signalisiren: die Eigenheit nämlich, daß der Urquell von allem seinem Dichten seine eigene Seele war. Er sang und sagte uns in seinen Werken, was er geschaut und gefühlt und weil und wie er selbst es geschaut und gefühlt, nicht weil und wie Andere vor ihm es gesungen und gesagt. Was er erlebt und erstrebt, gewonnen und verloren, genossen und gelitten, davon legte er in seinen Dichtungen Zeugniß und Rechenschaft ab und deshalb hat man der goetheschen Poesie mit Fug nachgerühmt, sie ströme zum Herzen, weil sie aus dem Herzen hervorgeströmt, und sie sei „ewig wie die Leidenschaft selbst“. Uebrigens hat, um das gleich noch hier zu sagen, unser Dichter ja ausdrücklich geäußert, daß alle seine Werke nur Bruchstücke einer großen Confession, einer „Generalbeichte“ seien. Mit jener großartigen, ich möchte sagen olympischen Offenheit, welche eine der glänzendsten Tugenden Goethe’s gewesen ist, hat er uns den Blick in die Werkstatt seines Schaffens aufgethan, indem er die Worte sprach: „Meine Art ist von jeher gewesen, dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder überhaupt beschäftigte, in ein Bild, in ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich selbst im Inneren darüber zu beruhigen.“ Da haben wir das eigentliche Geheimniß von Goethe’s Art zu dichten, wie sie von Anfang bis zu Ende sich manifestirte. Aber es mußte

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