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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

entspringen, vollkommen leistungsfähig bleiben, andererseits aber der wunderbare Zustand der Stupidität oder Willenslosigkeit gar nicht mehr eintritt, wenn man vor Anlegung der Fadenschlingen die sensiblen Hautnerven durchschnitten hat. – Zuweilen gelingt es allerdings auch, den Frosch ohne Anlegung schnürender Bindfadenschlingen bei vorsichtigem Hinlegen auf den Rücken regungslos zu machen; allein dies beweist nichts gegen die Stichhaltigkeit der Lewissohn’schen Ermittelungen. –

Doch kehren wir zu unserem alten Kircher’schen „experimentum mirabile“ am Huhn zurück.

Nach der Analogie der zuletzt mitgetheilten Erfahrungen am Frosch mag das Zusammenschnüren der Füße des Huhns, so entbehrlich es auch ist, dennoch nicht blos dadurch, daß es das Thier fesseln und bezwingen hilft, sondern wohl auch dadurch, daß es die Hautnerven preßt, als eines der causalen Momente, etwas mit beitragen zur Hervorbringung des wunderbaren Effectes beim Kircher’schen Versuch, zu dessen Erklärung sich also das Zusammenwirken einer Reihe von Momenten geltend machen läßt. –

Nun bleibt uns noch der interessanteste Theil unserer Untersuchung übrig, der uns, wie ich vorweg bemerken will, hart an die bedenklichen und anrüchigen Gebiete des Mesmerismus und Somnambulismus führen wird. Es handelt sich nämlich jetzt noch um die Entscheidung der Frage: hat das, wie wir sahen, thatsächlich völlig entbehrliche Hinmalen des Kreidestrichs in dem Kircher’schen Experimente dennoch auch irgend eine Bedeutung? und welche?

Ich habe schon früher erwähnt, daß es mir nicht gelingen wollte, Tauben, welche ich wie die Hühner behandelte, indem ich ihren Leib festhielt und ihren gerade gestreckten Hals und Kopf einige Zeit auf die Unterlage sanft niederdrückte, in jenen Zustand der Benommenheit und Regungslosigkeit zu versetzen.

Ich versuchte es daher, die Tauben wie die kleinen Vögelchen zu behandeln, d. h. sie in der Rückenlage mit etwas nach hinten übergebeugtem Kopfe, den ich an beiden Seiten zwischen Daumen und Zeigefinger der einen Hand faßte, während die andere den Leib hielt, auf eine Unterlage sanft niederzudrücken.

Allein auch dieses Verfahren, welches bei den kleinen Vögelchen so wirksam ist, schien anfangs bei den Tauben zu versagen. Fast immer flogen sie mir augenblicklich davon, sobald ich sie losgelassen und meine Hände ganz entfernt hatte. Ich bemerkte jedoch bald, daß die kurze Zeit, während welcher die Tauben zwischen meinen sich lösenden Fingern denn doch immer noch ruhig bleiben mußten, beträchtlich wuchs, ja zu vielen Minuten sich ausdehnte, wenn ich die Finger der Hand, welche den Kopf hielt, auseinander that, die Hand selbst aber nur wenig zurückzog oder überhaupt gar nicht entfernte. Die den Leib des Thieres haltende Hand konnte schon viel früher loslassen, und ohne Schaden ganz entfernt werden.

Indem ich diese Spur von neuen Thatsachen eifrig weiter verfolgte, fand ich zu meiner Ueberraschung, daß es sich dabei um die Fixirung des Blickes und der Aufmerksamkeit der Taube auf meine nahe vor ihren Augen befindlichen Finger handelte.

Dieses bisher unberücksichtigt gebliebene Moment ist es, welches, wie ich oben andeutete und hier noch mit einer Ergänzung wiederholen will, nicht nur bei den Versuchen mit den kleinen Vögelchen, sondern auch bei meinem vereinfachten Verfahren mit Hühnern wirksam werden mag; ja ich konnte mich nun kaum der Vermuthung entschlagen, daß dieses Moment überhaupt von ganz besonderer Wirksamkeit sei und selbst dann sich geltend machen dürfte, wenn dem Blicke des Thieres kein besonderes Sehobject absichtlich dargeboten wird, wie bei meinem vereinfachten Verfahren bei den Hühnern.

Um zunächst die Wirksamkeit dieses Momentes überhaupt erst zu constatiren, versuchte ich einer Taube, die ich in beliebiger Stellung mit der linken Hand am Rumpfe festhielt und niederdrückte, deren Hals und Kopf jedoch ganz frei und unberührt blieb, einen Finger meiner rechten Hand ganz knapp vor die Stirnschnabelwurzelgegend zu hatten – und siehe da, gleich die erste Taube, mit welcher ich diesen Versuch vornahm, blieb, ganz freigelassen, starr und regungslos, wie gebannt, minutenlang vor dem ausgestreckten Zeigefinger meiner rechten Hand liegen!

Ja, ich konnte die linke Hand, mit welcher ich den Rumpf gehalten, und die ich dann entfernt hatte, dem Thiere wieder nähern, ohne es aufzuscheuchen, es mit derselben ergreifen, aus der Bauchlage auf den Rücken wenden, – das Thier ließ willenlos Alles mit sich geschehen, während ich mit dem knapp vorgehaltenen, ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand ununterbrochen nach der Stirnschnabelwurzel zielte.

– (Der Vortragende demonstrirte diesen Versuch in gelungenster Weise mit einer herbeigebrachten Taube, einem sogenannten „Tümmler“.) –

Ich habe diesen höchst frappanten Versuch wiederholt und an einer Reihe von verschiedenen Taubenindividuen angestellt, doch weiß ich nicht, ob sich zu diesem Versuche geeignete Thiere häufiger finden, denn es versteht sich von selbst, daß derselbe nicht immer in gleich eclatanter Weise gelingen kann, da es sich dabei wesentlich um die Fixirung des Blickes und die Concentration der Aufmerksamkeit der Thiere handelt. Individuelle innere Verhältnisse und Verschiedenheiten, sowie äußere Umstände müssen nothwendig von förderndem oder störendem Einflusse sein, ob sich die Thiere der dabei erforderlichen Anstrengung gewisser Theile ihres Gehirns mit mehr oder weniger Geneigtheit und Ausschließlichkeit hingeben wollen oder müssen, oder nicht. Sie begreifen nun, warum und wie wenig man für den Erfolg aller jener Versuche, in welchen dieses Moment eine Rolle spielt, von vornherein – namentlich unter ungewöhnlichen Umständen – einstehen kann!

Oft sieht man deutlich, wie sich z. B. eine Taube durch ängstliches Abwenden des Kopfes dem Banne zu entziehen sucht; folgt man jedoch ebenso hartnäckig den oft ganz absonderlichen und charakteristischen Fluchtbewegungen des Halses und Kopfes mit dem vorgehaltenen Finger, so erreicht man entweder sein Ziel, oder man macht die Taube so perplex und aufgeregt, daß sie sich nur dadurch beruhigen läßt, daß man sie, an Leib und Kopf festhaltend, einige Zeit in der Rückenlage mit sanfter Gewalt niederzwingt. Es ist damit, wie Schopenhauer vom Einschlafen sagt: „Das Gehirn muß anbeißen!“

Beiläufig will ich hier nicht unerwähnt lassen, daß ein in meinem Hause gehaltener zahmer Papagei, ohne irgend welche vorhergehende Berührung oder sonstige Beeinflussung, durch einfaches unverrücktes Vorhalten eines Fingers knapp über der Stirnschnabelwurzelgegend, zu verschiedenen Malen in einen schlafähnlichen Zustand versetzt werden konnte.

(Fortsetzung folgt.)


Pauline Lucca und „Mein Lied.“

Von Ferd. Gumbert.

Originelle Charakterzüge der berühmten „kleinen Lucca“ – wie viele sind nicht schon erzählt und mit dem größten Interesse gelesen worden! Und doch betrafen dergleichen Veröffentlichungen stets nur das Privatleben der Künstlerin; wie dieselbe sich in Angelegenheiten der Kunst benimmt, das hat, so viel ich weiß, bis jetzt Niemand geschildert. Nun denn, ein günstiges Geschick brachte mich vor drei Jahren mit der Sängerin in Verbindung; ich wurde durch sie Mithandelnder in einer Sache, die, von ihr allein erdacht und mit der ihr eigenen Willenskraft und Consequenz ausgeführt, uns einen nicht gewöhnlichen Erfolg errang.

Wird man mir verzeihen, wenn ich bei der treuen und ungeschminkten Erzählung auch – was das deutsche Publicum von mir seit den dreißig Jahren meiner Laufbahn nicht gewohnt ist – von mir selbst spreche? Ich hoffe doch! Der Leser wird sich bald überzeugen, daß ich das nicht umgehen konnte.

Es war am 9. October 1869, als ich mich in Folge einer Einladung, welche mir der Vater der berühmten Sängerin einige Tage zuvor persönlich überbracht hatte, per Droschke nach der Victoriastraße 30 begab. Dem Diener, welcher mir, nachdem ich die Klingel gezogen, entgegentrat, nannte ich meinen Namen; derselbe schien von meinem Kommen bereits unterrichtet und führte mich zunächst in das, wie es mir beim Zwielicht vorkam, Arbeitszimmer des Baron von Rhaden. Ich hatte kaum Zeit, mich umzusehen, als Pauline Lucca, in einfachem Hauskleide,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_147.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)