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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


rasch eintrat, mir die Hand bot und mit gewinnender Natürlichkeit sagte:

„Ist es nicht sonderbar, daß wir Beide, die wir uns seit Jahren so bekannt sind, uns heut’ zum ersten Male sprechen?“

„Gnädige Frau, daß ich stets den Wunsch hegte, Sie persönlich kennen zu lernen, daran dürfen Sie nicht zweifeln. Wenn ich dennoch nicht den Versuch machte, so geschah es, aufrichtig gestanden, aus einer gewissen Scheu; ich weiß ja nur zu gut, daß Sie, die gefeierte Sängerin, viele Besuche zu empfangen gezwungen sind, denen Sie sich gern entzögen. Und nun gar ein Musiker! Wenn ein solcher Ihnen seine Aufwartung macht, können Sie in zehn Fällen neun Mal darauf schwören, daß er, nachdem er Ihnen die üblichen Weihrauchwolken vorgeblasen, schließlich eine Composition aus der Rocktasche hervorzieht und Sie freundlichst ersucht, dieselbe doch nächstens öffentlich zu singen. Und ebenso können Sie in zehn Fällen neun Mal darauf schwören, daß diese Composition weder für Ihre Stimme, noch für Ihre Gesangsweise paßt und daß Sie sie in die Todtenkammer legen.“

„Das stimmt auffallend!“ rief Pauline Lucca lächelnd.

„Um so mehr,“ fuhr ich fort, „freut es mich, daß Sie mir die Gelegenheit boten, zu Ihnen zu kommen. Und um Ihnen meine Dankbarkeit zu beweisen, versichere ich feierlich, daß ich keine Composition bei mir führe.“

„Sie haben Humor; das gefällt mir! Wie aber nun, wenn ich von Ihnen gerade das verlangte, was Sie mir gutwillig nicht geben wollen?“

„Wie meinen Sie das, gnädige Frau?“

„Nun, Sie werden doch wissen wollen, weshalb ich Sie durch meinen Papa zu mir bitten ließ? So hören Sie denn! Ich soll nächstens zum ersten Mal in dieser Saison die Frau Fluth in Nikolai’s ‚Lustige Weiber‘ singen. Die Partie gehört zu meinen beliebtesten und ich singe sie auch gern; aber sie ist nur in den beiden ersten Acten eine dankbare, im letzten Act verschwindet sie, und das Publicum verliert sie aus dem Gedächtniß. Deshalb habe ich zum Schluß stets irgend eine Einlage gesungen, aber – wenn ich die Wahrheit sagen soll – keine von den bisherigen entsprach meinen Wünschen. Zuletzt nahm ich zu Mozart’s ‚Veilchen‘ meine Zuflucht; das paßt aber schon gar nicht hinein. Ohne Einlage aber mag ich die Partie nicht mehr geben; ich mühe mich zwei Acte hindurch, um zuletzt an Beifall leer auszugehen. Nun sollen Sie mir ein hübsches, wirksames Lied schreiben. Bekomme ich das von Ihnen nicht, so bin ich fest entschlossen, die Frau Fluth gänzlich von meinem Repertoire zu streichen. Wollen Sie?“

„Wie gern, gnädige Frau!“ Kann es doch wahrlich nichts Lohnenderes geben, als für Sie etwas zu componiren! Dennoch will ich Ihnen meine Bedenken nicht verhehlen. Warum haben Sie mir das nicht im Frühjahr, ehe Sie Ihren Urlaub antraten, gesagt? Ich würde dann den ganzen Sommer günstigste Arbeitszeit gehabt haben, Ihren Wunsch zu erfüllen. Jetzt, im Winter, bin ich mit Unterricht, mit vielen anderen Beschäftigungen überhäuft. Und dann, das ist mir schon ganz klar, darf das, was ich Ihnen gebe, kein Lied, etwa ein Liebeslied der Art sein, wie Sie deren schon so viele gesungen und ich deren schon so viele geschrieben habe. Es muß jedenfalls in irgend einer Hinsicht eine kleine Specialität sein, welche durch den Stoff berechtigt erscheint, von Pauline Lucca gesungen zu werden. Woher ein derartiges Gedicht nehmen?“ „O, das werden Sie schon bekommen. Nicht wahr, Sie erfüllen mir die Bitte?“

„Wenn es mir gelingt, gnädige Frau, eine gute Idee zu finden, dann mit Freuden; jedoch fest versprechen kann ich es nicht. Wann muß das Lied fertig sein?“

„Nun, in spätestens zwei, drei Wochen.“

„Gnädige Frau, ein schwer wiegender Auftrag; ich will sehen – und Samiel mag helfen!“

„Hier, nehmen Sie meine Photographie mit. Die legen Sie auf Ihren Arbeitstisch, so daß sie Ihnen immerfort in die Augen fällt! Dann werden Sie an mich denken und gewiß das Rechte finden.“

Schon war ich aufgestanden und im Begriff mich zu empfehlen, als mir noch ein Scrupel, meine Antipathie gegen Concurrenzarbeiten, durch den Kopf fuhr. Wie, dachte ich, wenn die Lucca auch noch Andere um ein Lied ersucht hätte und sich dann das ihr zusagende auswählen wollte? Es wäre ihr keineswegs zu verübeln, sogar ganz praktisch! ich aber würde mich dann zurückziehen. So begann ich abermals:

„Gnädige Frau, verzeihen Sie mir noch eine Frage! Es ist nicht Eitelkeit, die mich sie thun läßt; ich habe meinen Grund. Was veranlaßte Sie, die Sie doch nur die Hand auszustrecken brauchen, um von vielen Seiten ein neues Lied zu erhalten, mich damit zu beauftragen, mich, den Sie bis heute nicht persönlich kannten?“

„Nun,“ erwiderte die Künstlerin und blickte mich dabei mit ihren wundervollen Augen ruhig und unbefangen an, „weil ich mir dachte, daß gerade Sie mir das schreiben würden, was ich für meinen besonderen Zweck brauche.“

„Und Sie haben außer mir Niemand darum ersucht?“

„Niemand, auf mein Wort! Noch mehr, ich bitte Sie dringend, die Sache als tiefstes Geheimniß zu betrachten. Ich will mit dem Liede, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung hat, plötzlich hervortreten.“

„Nun denn, so wünsche ich, daß es mir gelingen möge, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Leben Sie wohl! Auf baldiges Wiedersehen!“

„Bald, und mit einem schönen Liede!“

Damit ging ich.


Der Weg nach meiner Behausung, von der Victoria- nach der Alexanderstraße, ist ein ziemlich langer und meine Droschke fuhr im gewohnten Schneckenschritt; dennoch verging mir die halbe Stunde schnell genug; meine Gedanken verarbeiteten die Situation, deren Bedeutung mir, bei meiner Erfahrung, bald klar vor Augen stand. Welche Aufregung sollten die nächsten Wochen mir, dem seine Gemüthsruhe so lieb ist, bringen! Zwanzig Jahre früher wäre ich mit dem leichten Sinn und dem Selbstvertrauen der Jugend ohne Weiteres an’s Werk gegangen; aber heut, wo ich wußte, wie schwer der Künstler sich einen Namen erringt und wie leicht er ihn einbüßt, heut war mein Zagen wohl erklärlich.

Die Lucca – so sagte ich mir – die so sparsam und bedächtig mit neuen Leistungen ist, soll auf der Bühne, diesem unberechenbarsten Schlachtfelde der Kunst, ein neues Lied von dir singen. Ist auch die Lucca ein Charakter, welcher die etwaigen Intriguen vor dem entscheidenden Abend mit Entschlossenheit, nöthigen Falls durch den kategorischen Imperativ zu beseitigen weiß, so kann sie doch die selbst bei dem günstigsten Erfolge nicht ausbleibenden Kundgebungen des Neides und der Mißgunst nicht verhindern. Und erst die Kehrseite der Medaille – wenn das Lied nicht gefällt! Wird man nicht mit vollem Recht sagen: wie schlecht muß eine Composition sein, die, von der Lucca gesungen, keinen Eindruck macht?

Das war so ungefähr mein Ideengang, der mir natürlich eine Nacht der größten Unruhe und wenigen Schlafes brachte, so daß ich am nächsten Morgen mit dem Entschlusse aufstand: Du wirst dich auf diese Brücke nicht begeben, du wirst der Lucca kein Lied schreiben. Und eine Durchsicht der Gedichte, welche zu gelegentlicher Composition in meiner Mappe bereit lagen, bestärke mich vollends in meinem Entschlusse; ich fand nichts für den Zweck Geeignetes und durfte doch auch, nachdem ich einmal die Geheimhaltung der Angelegenheit zugestanden hatte, keinen der mir befreundeten talentvollen Schriftsteller um ein Gedicht bitten.

In dieser Stimmung, oder richtiger Verstimmung fand mich zwei Tage später der Musikverleger Fürstner, welcher, im Begriff, eine mehrwöchentliche Geschäftsreise nach Paris und London anzutreten, sich von mir verabschieden und zugleich anfragen wollte, ob ich etwas mitzugeben hätte. Die ungewöhnliche Unruhe meines Wesens entging ihm nicht; voll Theilnahme drang er in mich, ihm die Ursache zu sagen, und – nachdem ich ihm sein Ehrenwort abgenommen, über das, was er hören würde, zu schweigen – zeigte ich ihm die Photographie der Lucca und schilderte meine Lage.

„Und Sie sind entschlossen,“ rief er verwundert aus, „das Lied nicht zu machen? Das ist jammerschade! Vielleicht besinnen Sie sich doch noch.“

Ich setzte ihm indessen meine Bedenken auseinander und er merkte wohl, daß mein Entschluß ein wohl überlegter und feststehender war. Da begann er wiederum:

„Nun, da Sie selbst der Lucca die Einlage nicht schreiben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_148.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)