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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


enden wollte, bedeckte sich die Bühne mit Blumen und Kränzen; endlich Wiederholung des Liedes, darauf abermals minutenlanges Rufen und Applaudiren.

Das Lied wurde endlich auch am 2. April 1872 das letzte Wort, welches Pauline Lucca zum Berliner Publicum sprach. „Mein Lied“ war nach elfjähriger Wirksamkeit ihr Lebewohl. Sie hat von Amerika aus die Conventionalstrafe von achttausend Thalern erlegt und damit ihre Verbindlichkeiten gegen die königliche Oper vollständig gelöst. Ob sie noch einmal in Berlin singt? Die Zukunft wird es lehren!

Somit wäre meine kleine Erzählung zu Ende.

Dennoch mag ich sie nicht schließen, ohne über Pauline Lucca und ihre charakteristische Eigenthümlichkeit noch Einiges mitzutheilen. Hat doch der Leser gewiß ungern die originellen Aperçus vermißt, durch welche die Künstlerin nicht minder berühmt geworden als durch ihre Gesangsleistungen. In der That schien Pauline Lucca nach meinen ersten Besuchen mir ihr Vertrauen zu schenken; sie sprach offen und rückhaltlos zu mir, freilich nicht ohne öftere Ermahnung: „Doch das bleibt unter uns; Sie versprechen mir, keinen Gebrauch davon zu machen.“ Natürlich gelobte ich Discretion und werde mein Versprechen halten. Und so habe ich wohl die Wahrheit und nichts als die Wahrheit (in Bezug auf die Begebenheit), aber allerdings nicht die ganze Wahrheit (das heißt Alles, was gesprochen worden) berichtet. Jedoch kann ich versichern, daß ich unsere oft stundenlangen Unterhaltungen zu den interessantesten Erinnerungen meines Lebens zähle; die Aeußerungen der Künstlerin über sich selbst, über Opern, Componisten, Sänger und Sängerinnen, Capellmeister, Recensenten, über Persönlichkeiten aus anderen Kreisen waren ebenso überaus treffend, als sie oft mit dem köstlichsten Humor, oft mit tiefem Gemüth vorgebracht wurden.

Wer Pauline Lucca – wie man das jetzt wohl öfter vernehmen kann – für undankbar erklären möchte, weil sie mit den langjährigen Berliner Verhältnissen so plötzlich gebrochen, der würde ihr sicher großes Unrecht thun. Das Scheiden ist ihr gewiß nicht leicht geworden; ich habe, so oft von Berlin die Rede war, nur Worte der innigsten Anhänglichkeit von ihr gehört. Mit enthusiastischer Verehrung und gar gern gedachte sie des Kaisers Wilhelm und seiner Huld und Güte; den Generalintendanten Herrn von Hülsen nannte sie ihren besten Freund, dessen Rathschlage sie stets zu ihrem Wohle befolgte, und über ihre Beliebtheit beim Publicum sprach sie ohne Ueberhebung und in den Ausdrücken des höchsten Dankes. Zeugte es doch gewiß von Bescheidenheit, wenn sie – als ich einst schilderte, wie schwierig es sei, zu ihren Vorstellungen Billets zu erlangen – in ihrer natürlichen Weise äußerte: „Ich bin nur neugierig, wie lange sich noch die Berliner so um mich reißen werden.“ Wie genau sie übrigens ihr Publicum kannte und wie klug und logisch sie folgerte, davon noch eine Probe.

Während des letzten Winters veranlaßte Pauline Lucca öfter rothe Zettel, das heißt, Umänderung der angesetzten Opernvorstellung. Als ich ihr die Unzufriedenheit des Publicums nicht verhehlte, sagte sie:

„Lieber Freund, was kann ich dafür? Ihnen darf ich den wahren Sachverhalt schon sagen. Sie wissen ja, daß ich während der letzten Saison in London einen so heftigen Anfall von Diphtheritis hatte, daß die Aerzte meinen Zustand während fünf Stunden für einen hoffnungslosen erklärten. Nachdem ich wieder genesen war, sagten mir dieselben Aerzte, daß die Krankheit, wenn auch für jetzt gehoben, mir jedoch noch längere Zeit Nachwirkungen verursachen würde; daß ich zeitweise eine Ermüdung im Halse zu gewärtigen hätte, bei welcher ich, wenn mir meine Stimme lieb sei, unter keinen Umständen singen dürfe. Die Aerzte hatten nur zu richtig prophezeit. Schon im Sommer, als ich in Ischl war, spürte ich eine solche Erschlaffung der Halsorgane, und jetzt habe ich sie wieder. Hören Sie selbst! Wenn ich den Ton stark angebe, spricht er wohl an, aber im Piano merken Sie das Mühsame, das Hinderniß; der Ton ist stumpf und klanglos. Würde ich einen Abend hindurch in so forcirter Weise singen, so wäre sicher eine lange andauernde Heiserkeit die Folge.“

Dabei war Pauline Lucca zum Flügel gegangen und sang; als Praktiker konnte ich mich sofort von der Wahrheit ihrer Aussage überzeugen.

„Aber“ – warf ich ein – „warum sorgen Sie nicht dafür, daß das Publicum durch die Presse den Sachverhalt erfährt?“

„Nein“ – rief sie lächelnd – „o nein, um die Welt nicht! Dann würde bei meinem nächsten Auftreten das Publicum – und wäre ich noch so brillant disponirt – sich gewiß einbilden, ich hätte an meiner Stimme verloren. Und das möchte mir auf immer für hier und auswärts den größten Schaden zufügen. Nein, nein, besser ist es, man hält mich – wie ich sehr wohl weiß – für träge und launenhaft. Wenn ich dann wieder auftrete, dann singe und spiele ich um so besser. Dann applaudirt das Publicum, verzeiht mir meine – wie es glaubt – Capricen und hat mich lieb, wie immer.“

Wie so häufig, mußte ich ihr zustimmen.

Ich habe im Laufe der Jahre manche berühmte Sängerin kennen gelernt, aber keine gefunden, die so klar und ohne jede Verblendung über ihren Charakter, über die Beschaffenheit ihrer Stimme, über die Tragweite ihres Talents urtheilte und die jeden praktischen Wink so freudig aufnahm und verwerthete, wie Pauline Lucca.

Berlin, den 8. Februar 1873.




Ein offenes Antwortschreiben.


Seit den letzten Jahren sind mir in stets wachsender Zahl eine solche Menge von Briefen aus allen Weltgegenden, insbesondere aus Deutschland, zugekommen, daß es mir nachgerade beim besten Willen zur Unmöglichkeit geworden ist, dieselben alle auch nur annähernd genügend zu beantworten. Der biedere Postbote, welcher meine kosmopolitische Stellung als Mitarbeiter der „Gartenlaube“ nicht kennt, erstaunt mit Recht über die zahlreichen fremdländischen Briefcouverte, welche er fast täglich an meine Adresse befördern muß, worauf Poststempel aus Städten hinten in der Türkei, aus Rußland, Brasilien, asiatischen Ländern etc. durchaus nichts Seltenes sind; so daß es mich durchaus nicht Wunder nehmen sollte, wenn er meine bescheidene Wohnung für ein verdächtiges Geheimbureau hielte. Diese Sündfluth von ausländischen Briefen habe ich lediglich dem Umstande zu verdanken, daß ich in dem berühmten San Francisco lebe und von hier aus gelegentlich Skizzen über amerikanisches Thun und Treiben in unserem deutschen Weltblatte, der „Gartenlaube“, vor die Oeffentlichkeit bringe. Neunundneunzig unter hundert jener Briefsteller haben in der Gartenlaube gelesen, daß ich in der großen californischen Goldstadt, also an der Quelle, wohne, und wenden sich daher an mich um Auskunft.

Fast jeder dieser Briefe beginnt ungefähr mit den Worten: „Da ich Ihren werthen Namen in der Gartenlaube gelesen habe und sonst Niemanden in San Francisco kenne, so erlaube ich mir etc.“ – Dann folgen einige anerkennende Worte über meinen Aufsatz so und so in der Gartenlaube, um mich in eine freundliche Stimmung zu versetzen, und darauf beginnt der Brief im Ernste – zwei, vier, sechs oder gar acht dichtbeschriebene Quartseiten lang. Hier fragt mich zum Beispiel ein (gewiß äußerst liebenswürdiges) Fräulein, nachdem sie mir ihre kleinen Sorgen im Vertrauen mitgetheilt hat, ob sie in San Francisco – – doch schweigen wir davon; denn ich möchte keiner der Leserinnen unserer Gartenlaube durch eine Indiscretion in diesem offenen Schreiben wehe thun! Befassen wir uns also lieber mit meinen männlichen Correspondenten!

In x Briefen erkundigt sich ein mir ganz unbekannter Fabrikant, Kaufmann, Gärtner, Bierbrauer, Handwerker, Müller, Wein- und sonstiger Bauer in positivster Sprache nach den klimatischen und Bodenverhältnissen, den socialen und handelswirthschaftlichen Zuständen von Californien, Nevada, Oregon, Texas etc.; fragt nach der Sicherheit des Lebens und Eigenthums in jenen Ländern, nach der billigsten und besten Reiseroute dorthin, mit genau anzugebenden Preisen für Passage; welche Art von Kleidungsstücken, was für Geldsorten am vortheilhaftesten mitzunehmen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_152.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)