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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

nicht eine Lebensfrage für ihn. Sein Vater hätte trotz seines Hochmuthes hier unbedingt nachgegeben, denn es wäre geschäftlich seine einzige Rettung gewesen, und Rücksichten auf seine Stellung und Würde kannte er nicht. Der Sohn scheint freilich anders geartet, aber diese Sprache, die noch vor einem Jahre am Platz gewesen wäre, ist es jetzt nicht mehr. Er hätte vorsichtiger, unbestimmter in seinen Ausdrücken sein müssen, damit ihm die Möglichkeit eines Rückzuges offen geblieben wäre, für den Fall, daß –“

„Zum Kukuk mit Ihren Rücksichten und Bedenklichkeiten!“ fiel der Oberingenieur heftig ein. „Entschuldigen Sie, Herr Schäffer, daß ich grob werde, aber man sieht es, daß Ihre Thätigkeit nur in den Bureaux lag, und Sie niemals Arbeitermassen geleitet haben. Gerade das Richtige hat er getroffen, imponirt hat er ihnen, und das ist in solchem Falle Alles. Ein gütliches Zureden hätte ihnen für Schwäche, eine vornehme Ruhe für Hochmuth gegolten. Ihre eigene Sprache des Entweder – Oder muß man mit ihnen reden, und unser Herr versteht es wie Keiner; das haben Sie an Hartmann gesehen.“

„Ich fürchte nur, er unterschätzt trotz alledem den Kampf, der uns bevorsteht,“ sagte der Director ernst. „Unsere Leute allein hätten sich mit diesen Zugeständnissen zufrieden gegeben, mit diesem Führer an der Spitze thun sie es nicht. Er wird keinen Ausgleich zulassen, und sie folgen ihm blindlings. Aber der Herr hat Recht, er ist bis an die Grenze des Möglichen gegangen, weiter gehen hieße, sich selbst, seine Stellung und uns Alle preisgeben!“

Sie sprachen jetzt auf einmal Alle von ‚dem Herrn‘, als ob sich das von selbst verstände. In einer einzigen Stunde hatte sich Arthur den Titel erobert; jetzt schien gar keine andere Bezeichnung für den jungen Chef zu existiren. Er mußte sich doch wohl als Herr gezeigt haben. –

Die drei Abgesandten hatten das Haus verlassen und schritten nach den Werken hinüber. Ulrich sprach kein Wort, aber Lorenz sagte halblaut:

„Du meintest neulich, wenn uns Einer zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, dann – höre Ulrich, ich glaube, der da oben versteht’s!“

Ulrich antwortete nicht, er warf einen Blick nach den Fenstern hinauf, und es lagerte auf seiner Stirn wie eine Wetterwolke.

Das also war hinter den Augen, die immer so schläfrig aussahen, als taugten sie zu nichts auf der Welt als zum Schlafen!“ murmelte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen. ‚So lange ich hier stehe, bin ich der Herr dieser Werke!‘ Ich glaube wahrhaftig, er hat das Zeug dazu!“

Sie begegneten jetzt einer Gruppe von Bergleuten, speciell Ulrich’s Leuten, die nicht mit angefahren waren und die drei Abgesandten mit stürmischen Fragen umringten.

„Laßt’s Euch von Ulrich erzählen!“ meinte Lorenz trocken. „Ich glaube, wir sind da an den Unrechten gekommen; er denkt nicht an Nachgeben.“

„Nicht?“ Die Bergleute schienen sämmtlich enttäuscht. Sie hatten wohl auf einen andern Bescheid gerechnet. Es wurden einzelne Rufe und Drohungen gegen den jungen Chef laut, dessen Name dabei mehrere Male mit offenbarer Verachtung genannt wurde.

„Schweigt still!“ herrschte ihnen Ulrich zu. „Ihr kennt ihn nicht, so wie wir ihn eben sahen. Ich glaubte, wir würden leichtes Spiel haben, nun der Vater aus dem Wege ist. In dem Sohne haben wir uns Alle geirrt. Der hat etwas, was kein Mensch dem Weichling zugetraut, einen Willen! Ich sage Euch, der wird uns noch zu schaffen machen!“

(Fortsetzung folgt.)




„Nur eine Hausfrau.“


Freitags, den 7. Februar 1873, Abends vier Uhr, bewegte sich von der Helferei zum St. Peter in Zürich aus ein Leichenzug nach dem Friedhofe von St. Jakob in Außersihl, – der Leichenzug von Marie Susanne Scherr, geb. Kübler, welche, jählings vom Schlage gerührt, Dienstags, den 4. Februar, Abends acht Uhr, nicht unter ihrem eigenen Dache, aber doch unter dem eines Sohnes, in den Armen ihres Gatten gestorben war.

„Die beste Frau ist die, von welcher man am wenigsten spricht“ – bei ihren Lebzeiten, ja! Wenn aber über einer Frau, welche ich mit voller Ueberzeugung den besten ihrer Zeit beizähle, das Grab sich geschlossen hat, dann ist es nur Gerechtigkeit, auch die Welt wissen zu lassen, was alle Freunde und Freundinnen der Hingegangenen längst gewußt und anerkannt hatten.

Oft fühlte ich mich getrieben, bei dieser oder jener passenden Gelegenheit die unendliche Summe des Dankes, die ich der Frau, welcher ich dieses Todtenopfer bringe, meiner Frau, schuldete, auch öffentlich zu bekennen. Einmal stand das Bekenntniß schon gedruckt, aber sie strich die bezügliche Stelle eigenhändig aus der Correcturfahne, indem sie sagte: „Mach’ mich nicht eitel! Ich weiß ja, was ich Dir bin, und das genügt mir.[1] Ach, sie gehörte zu den nicht gerade allzu zahlreichen Menschen, welche nicht verstehen, nicht verstehen wollen, was es denn Besonderes, was es Preiswürdiges sei, wenn man seine Pflicht erfüllt, auch mit blutendem Herzen, mit höchster Selbstverleugnung erfüllt. Ihre edle, stets sich gleich gebliebene Anspruchslosigkeit hat nie nach Lob verlangt. Gerade darum lege ich jetzt einen vollen Kranz auf ihr frisches Grab, und ich darf es, denn jedes Blatt desselben ist verdient, zehnfach verdient. Wohl weiß ich, daß Lessing im Januar 1778 nach dem Tode seiner Eva geschrieben hat: „Man sagt, es sei nichts als Eigenlob, seine Frau zu rühmen.“ Aber mit Lessing setze ich zu meiner Rechtfertigung hinzu: „Wenn ihr diese Frau gekannt hättet! Wenn ihr sie gekannt hättet!“

Ihre ungewöhnlichen Geistesgaben hatten von Seiten eines liebevollen Vaters schon frühzeitig eine sorgfältige Entwickelung erfahren. Die Schulen ihrer Vaterstadt Winterthur, welche für ihr Schulwesen mehr thut, als irgend eine andere Gemeinde in Europa, leisteten schon damals Gutes. Das Röderer’sche Institut in Yverdon, welches eines großen Rufes genoß, vollendete ihre Ausbildung, namentlich in fremden Sprachen. Sie verstand Englisch und Italienisch; sie redete das Französische so, daß Kenner ihre Aussprache fein fanden. Von Haus aus besaß sie ein großes Lehrtalent, und daß sie dieses zu verschiedenen Zeiten pflichttreu und wirksam geübt habe, wird eine nicht geringe Anzahl von Schülerinnen gerne bezeugen.

In weiteren, weitesten Kreisen, soweit Deutsch gesprochen wird, hat sie dann später ihre Lehrgabe erfolgreich bethätigt, insbesondere mittelst ihrer zwei bedeutendsten Bücher: „Das Hauswesen“ und „Das Buch der Mütter“. Tausenden und wieder Tausenden von jungen Mädchen, jungen Frauen und jungen Müttern ist sie dadurch eine Lehrerin und Führerin, geradezu eine Wohlthäterin geworden, und gar mancher junge Ehemann hatte, ohne es zu wissen, vollauf Ursache, der „Marie Susanne Kübler“ dankbar zu sein. Im Januar d. J. schrieb sie noch die Vorrede zur sechsten, sorgfältig revidirten Auflage vom „Hauswesen“, dem sie das wie aus ihrem eigensten Wesen gesprochene Motto vorgesetzt hat: „Suche gut zu sein, doch wünsche nicht groß zu sein! Was einer Frau am besten ziemt, ist Zurückgezogenheit, ihre schönste Tugend häusliches Wirken, das, fern der Oeffentlichkeit, jedes zu starke Licht scheut.“

So glaubte sie, so that sie, so war sie. Als eines Tages – es war auf dem Weißensteine bei Solothurn, wo sie so gerne weilte – ein in Constantinopel niedergelassener Deutscher, der sich ihr hatte vorstellen lassen, in warmen Worten ihr seine

  1. Etwa zwei Monate vor ihrem Hingange bat mich mein verehrter Freund, der Eigenthümer der „Gartenlaube“, ohne alles Zuthun von meiner Seite, ihm eine gute Photographie meiner Frau zu senden, indem er ein Bild und eine Charakteristik von ihr in diesen Blättern zu veröffentlichen wünschte. Wissend, daß sie sich entschieden widersetzen würde, handelte ich diesmal – wohl mir, daß ich sagen darf, nur diesmal! – hinter ihrem Rücken, indem ich die Photographie absandte. Ich hoffte, sie mit der betreffenden Nummer der Gartenlaube an ihrem Geburtstage überraschen zu können. Heute, wo ich dieses schreibe, ist der Geburtstag –

    „But she is in her grave, and, oh,
    The difference to me!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_158.JPG&oldid=- (Version vom 17.7.2021)