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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

große Häuser in hellen Flammen zum Himmel empor. Die Flammen und der Qualm des Brandes, der Donner der Kanonen, das Krachen der Büchsen, das unaufhörliche Knattern der Musketen und in all dem Toben die dämonischen Gestalten der kämpfenden Wilden, die, rasend vor Wuth über das Mißlingen ihres Planes, den Platz nicht aufgeben wollten, bis sie endlich mit Geheul in die schützende Niederung zurückflohen: alles dies bot des eigenthümlich Grauenhaften so viel, daß dieser Kampf selbst in den Gemüthern solcher, die in größeren Schlachten mitgefochten hatten, einen unvergeßlichen Eindruck des Schreckens zurücklassen mußte.

Auch dieser zweite mißlungene Sturm hatte die Wilden noch nicht ganz entmuthigt. Sie wandten sich nach den Schluchten und setzten von dort aus, im hohen Grase und hinter den großen Bäumen liegend, das Gefecht aus der Ferne bis zum späten Abend fort. Vergebens versuchte Little Crow, sie zu verschiedenen Malen wieder zu einem dritten Sturm zu sammeln. Man sah ihn am Abend einen letzten Versuch machen. Er hatte eine große Anzahl zusammengebracht und feuerte sie augenscheinlich in einer seiner die Indianer so hinreißenden Reden zum Angriff an; sie schienen ihm Gehör zu geben und begannen sich zu formiren. Da fielen einige glückliche Kartätschenschüsse in den dichtesten Haufen, und mit einem wahrhaft überirdischen Wuthgeheul stob der Schwarm auseinander.

Ein Gefangener sagte später aus, daß diese letzten Schüsse neunzehn Wilde tödteten[WS 1] oder schwer verwundeten. Dies war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Schnell, wie es gekommen, verschwand das wilde Heer, über die Prairie dahinjagend, um neue und wehrlosere Opfer ihrer Mordlust zu suchen. Jones fuhr fort, bis zur einbrechenden Dunkelheit Granaten in die Schluchten zu werfen; dann wurde Alles still, und wie in allen vorigen Nächten der Woche begann die todesmüde Besatzung ihre schwachen Werke zu bewachen und nach dem falschen, schlauen Feinde auszuspähen. Langsam schlichen die Stunden der Nacht dahin. Aber die Soldaten dürfen nicht schlafen: ihr Feind kennt keinen Schlaf, wenn er auf dem Kriegspfad ist; sie dürfen sich nicht zur ersehnten Ruhe niederlegen: ihr Feind kennt keine Müdigkeit und ruht nimmer, wenn er ein Werk der Rache zu vollbringen hat; sie dürfen kein Auge abwenden von den dunkeln Gründen zu ihren Füßen und von den leicht entzündlichen Dächern ihrer Festung: ihr Feind kann jeden Augenblick seine rothen Pfeile entsenden oder, heimlich heranschleichend, die Brandfackel an die dürren Wände legen. Endlich steigt die Sonne am wolkenlosen Himmel empor; aber der Feind ist nicht wieder gekommen.

Noch vier heiße Tage und vier schlaflose Nächte! Weder Freund noch Feind zeigte sich. Es war, als sei das Fort mit seiner Besatzung allein übrig geblieben in der öden, menschenleeren Wildniß.

Am Mittwoch Morgen, den 27. August, ertönte der Ruf der auf den Dächern postirten Wächter: „Reiter auf der Straße von St. Peter über der Schlucht!“ Waren es Freunde oder Feinde? Die Dämmerung ließ noch nichts deutlich erkennen. Langsam recognoscirend rückten sie näher, bis sie endlich die östliche Schlucht erreicht hatten und nun durch diese heraufgaloppirten. Es waren einhundertfünfzig Mann Cavallerie, unter Oberst Samuel Mac Phail, die jetzt unter dem wilden Hurrahruf der Garnison in’s Fort einritten. Am vorigen Abend von St. Peter abgegangen, hatten sie fünfundvierzig Meilen in der Nacht zurückgelegt. Sie brachten die freudige Nachricht, daß General Sibley mit hinreichenden Verstärkungen unterwegs sei, und nächstens eintreffen werde.

Damit endete die in der Geschichte des jungen Staates Minnesota mit blutigen Zügen verzeichnete Belagerung von Fort Ridgley, unbedeutend vielleicht in den Augen dessen, der die Bedeutung von Kriegsereignissen nur an der Zahl der bei denselben Betheiligten abmißt, denkwürdig aber für die Tausende braver, fleißiger Bürger des großen, schönen Minnesotathals, die dem Heldenmuth der kleinen Schaar Tapferer, mit dem sie drei Tage lang die wilden Horden vom weiteren Vordringen zurückhielten, ihr Leben und die Rettung ihres Eigenthums zu verdanken hatten.

Die gefallenen Helden schlafen am Prairierand ihren letzten, langen Schlaf. Es waren ihrer nur wenige, während die Zahl der getödteten und verwundeten Wilden sehr beträchtlich gewesen sein mußte; genauer konnte dieselbe nicht ermittelt werden, da die Feinde nach Indianerweise alle Gefallenen sorgsam weggetragen und in Sicherheit gebracht hatten.

Unsere eigenen Verwundeten fanden einen treuen und geschickten Pfleger an dem vortrefflichen Chirurgen Dr. Alfred Müller, einem Deutschen, und nicht minder an seiner Allen, die damals im Fort eingeschlossen waren, unvergeßlichen Frau Elisa Müller. Die Hospitale vor Sebastopol haben ihre Florence Nightingale gehabt, und in unserem großen Kampfe für das Leben der Union haben auf allen den blutigen Schlachtfeldern im heißen Süden edle Frauen als Engel der Barmherzigkeit gewaltet; sie haben die Kranken und Verwundeten gestärkt und getröstet, die gebrochenen Augen unserer gefallenen Helden sanft geschlossen. Und wenn noch in späteren Jahren die Braven, die verwundet niedersanken in den blutigen Gefechten um Fort Ridgley, bei Birch Coolie und an Woods Lake, ihren Kindern und Enkeln die Geschichten erzählen werden von den blutigen Gründen an den Wassern des Minnesota und ihnen die Narben zeigen, welche die Kugel und das Tomahawk an ihnen zurückgelassen haben: dann werden sie auch mit feuchtem Auge und mit segnenden Lippen erzählen von Elisa Müller, der deutschen Frau, die in jenen dunkeln Nächten und angstvollen Tagen die freundliche Sonne des Hospitals war, die nimmer ermüdete, Schmerzen zu lindern und Trost zu spenden, die wie eine treue Mutter sich selbst ganz aufopferte und ohne deren edle Hingabe Manche von ihnen dem Tode unrettbar verfallen gewesen wären. Kein Denkmal ist ihr zu Ehren errichtet worden. Die Welt kennt ihren Namen nicht. Aber in den Herzen derer, die damals in Minnesota den Kampf der Civilisation gegen die Barbarei kämpfen halfen, lebt ihr Gedächtniß fort; mögen diese Blätter die Botschaft in weitere Kreise tragen, daß es auch hier der stillen deutschen Frauentreue beschieden war, den edelsten und besten Lorbeerkranz davonzutragen.


Ein Wunderbau für die Thierwelt.

„Wenn Sie den gegenwärtigen Zustand der Naturwissenschaft betrachten, wie sie sich immer mehr zu einer umfassenden Weltkunde gestaltet, was ahnt Ihnen von der Zukunft, ich will nicht einmal sagen, für unsere Theologie, sondern für unser evangelisches Christenthum? … Mir ahnt, daß wir werden lernen müssen, uns ohne Vieles zu behelfen, was Viele noch gewohnt sind, als mit dem Wesen des Christenthums unzertrennlich verbunden zu denken … Unsere neutestamentlichen Wunder, denn von den alttestamentlichen will ich gar nicht erst reden, wie lange wird es noch währen, so fallen sie auf’s Neue, aber von würdigern und weit besser begründeten Voraussetzungen aus, als früherhin zu den Zeiten der windigen Encyklopädie? … Was soll dann werden? Ich werde diese Zeit nicht mehr erleben, sondern kann mich ruhig schlafen legen. Aber Sie, mein Freund, und Ihre Altersgenossen, was gedenken Sie zu thun? Wollt Ihr Euch dennoch hinter diesen Außenwerken verschanzen und Euch von der Wissenschaft blokiren lassen? Das Bombardement des Spottes wird Euch wenig schaden – aber die Blokade! die gänzliche Aushungerung von aller Wissenschaft –“

Als Schleiermacher im Jahre 1829 diese prophetischen Worte an Lücke schrieb, ahnte er da wohl, daß schon nach kaum vierzig Jahren ihre Erfüllung sich anbahnen, daß Syllabus und Synodal- oder Pastoralconferenzen schon nach so kurzer Spanne Zeit den geschmähten und verfolgten Naturwissenschaften zu immer weiter greifender Anerkennung verhelfen würden? Die Bestrebungen der augenverdrehenden Theologie sind schuld, daß die Geheimnisse der Naturforscher nur noch in der Methode und in dem Detail der Wissenschaften liegen, die erforschten Resultate aber allen helleren und umsichtigen Köpfen zugänglich sind. Nächst diesem „Theil von jener Kraft, die stets das Böse will

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: tödten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_165.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)