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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

und – leider nicht – stets das Gute schafft,“ gebührt aber der Dank für die erreichten Erfolge den Männern der Wissenschaft, die aus dem Rahmen der strengen Methode heraustretend in anziehendster Form Popularität und Gründlichkeit zu vereinen verstanden und von den reichen Schätzen des mit Fleiß und Mühe Erforschten und Erarbeiteten so viel spendeten, als der jeweiligen Volksentwickelungsstufe frommte. Da konnte es nicht fehlen, daß die neuzeitliche Speculation, die ihre stets bereiten Hände nach Allem streckt, auch das vom Publicum den Naturwissenschaften entgegengetragene Interesse direct auszubeuten sich anschickte – und den zoologischen Gärten wie den Aquarien wandte sich das Capital in bisher ungekannter „Theilnahme“ zu.

Bei dieser Entwickelung lag und liegt stets die Gefahr nahe, daß die wissenschaftlichen Zwecke durch die materielle Ausbeute benachtheiligt werden, und auch beim Berliner Aquarium, dem wir diese Zeilen widmen, würde der hervorragend wissenschaftliche und künstlerische Anstrich vielleicht nur Mittel zum Zweck gewesen sein, wenn hier nicht die von Beginn des Unternehmens ab gewonnene Mitwirkung eines geistreichen, für seine Wissenschaft begeistert entflammten Mannes, des unseren Lesern wohl bekannten Dr. A. Brehm, eine idealere Weise von Anfang an bedingt, und nie den kalten Standpunkt des frivolen Realismus allein hätte aufkommen lassen, und wenn ferner nicht der bauende Meister, der zu früh dahingeschiedene W. Lüer, ein vollendetes Kunstwerk zu schaffen sich vorgesteckt hätte.

Eine Anlage, welche zum ersten Mal aus dem bis dahin üblichen Rahmen heraustritt und in großartiger Durchführung alle ihre Vorgänge unberechenbar überflügelt, muß an sich selbst erfahren und kennen lernen, welche ihrer neuen Einrichtungen sich bewähren und welche einer Um- oder Neugestaltung werden weichen müssen. Das Berliner Aquarium mußte somit auch sozusagen die Kinderkrankheiten selbst durchmachen. Die hartnäckigste von diesen, die eine Zeit lang sogar das Leben des jungen Sprößlings bedrohte, war das Seewasserleiden, oder wenn man will, die Seekrankheit. Die Lage Berlins – selbst von den nächsten Seeküsten weit genug entfernt, um die Heranschaffung eines guten natürlichen Seewassers bedenklich in Frage zu stellen – ließ die Verwendung künstlichen Seewassers empfehlenswerth erscheinen, und manches trefflich durchdachte, auf den wissenschaftlichen Principien beruhende Experiment mißglückte, ehe Dr. O. Hermes das Problem in befriedigendster Weise löste und damit die Unabhängigkeit der Aquarien von einer nahen Lage zur Meeresküste mit schlagendster Eleganz bewies. Wir können hiernach dem Institut nur Glück dazu wünschen, daß es im vorigen Jahre den Dr. Hermes als zweiten Director dem Dr. Brehm an die Seite stellte, und so die Leitung des Ganzen Männern anvertraute, welche die Garantie des Gedeihens in sich tragen.

Der Plan zur Gründung des „Berliner Aquariums“ war kaum gefaßt, als auch schon seine Erweiterung beschlossen wurde. Nicht nur Wasserbewohner, auch „was da kreucht und fleugt“, sollte Augenweide gewähren, oder, wie Dr. Brehm sich anmuthiger ausdrückte: der Besucher sollte in verlockender Kürze die Promenade von der Wüste aus durch den Urwald bis an die Gestade des Meeres zurücklegen. Dem entsprechend, führt uns die erste Abtheilung vorzugsweise das Gezücht vor, das in den Wüstenstrichen der Wendekreisländer sein unheimliches oder tückisches Wesen treibt. Tropentemperatur empfängt uns und fast völlig regungslos, im Gluthenhauch der heißen Zone, ruht Alles, was wir hier erblicken.

Schlangen und Eidechsen bevölkern überwiegend die Käfige des Schlangenganges (Gruppe A auf unserem Bilde), den wir zuerst betreten. Daß die hier zur Schau gestellte Collection an Reichhaltigkeit und Schönheit der Exemplare ihres Gleichen sucht, sei für diese, wie für die folgenden Abtheilungen von vornherein bemerkt.

An Matadoren nennen wir hier von den giftlosen alt- und neuweltlichen Riesen: Python und Boa constrictor, die und kleineren Streifen-, Wasser-, Ketten-, Schwarznattern; und von den giftigen Puffottern in colossaler Größe: Klapperschlangen, Wasser-, Horn- und Nasenvipern. An Eidechsen finden wir außer den sämmtlichen in Europa vorkommenden Arten Warane, Stumpfschwanzechsen, Tejus und häufig auch die bei uns seltenen Fremdlinge Chamäleon und Leguan. Dazu selbstverständlich Krokodile, und zwar nicht nur die gewöhnlich in zoologischen Sammlungen vorhandenen amerikanischen Alligatoren, sondern auch von jenen Species, die dem Nil entstammen. Ein Blick durch die ersten, rechter Hand gelegenen Scheiben des Schlangenganges trifft die Krolodilgrotte (B), die sich uns später noch einmal von einer andern Seite präsentiren wird.

Besondern Dank verdient Brehm, daß er dafür gesorgt, daß fortdauernd auch die in unserm Vaterlande heimischen giftigen und giftlosen Schlangen vertreten sind, und dadurch den Besuchern des Aquariums Gelegenheit gegeben wird, die schädlichen Mitglieder dieser meist verkannten Thiergattung von den harmlosen und sogar nützlichen unterscheiden zu lernen. Denn nur die giftigen verdienen die Verfolgung, mit welcher unterschiedslos die ganze Classe beehrt wird, während die andern durch Vertilgung des Ungeziefers, speciell der Mäuse etc. auf Schutz und Schonung Anspruch erheben dürfen. Doch freilich – wenn es selbst Schlangenkundigen passiren konnte, die ungefährlichen Vipernnattern[WS 1] mit den in der Zeichnung ihnen sehr ähnlichen, jährlich mehrere Opfer fordernden Kreuzottern oder Vipern zu verwechseln, wie soll man dem Laien untrügliche Merkmale angeben, die Tod und Verderben Bringenden von den harmlos nützlichen zu unterscheiden?

In besondern Glaskästen in den Käfigen des Schlangenganges pflegen zwei zur Classe der Spinnen gehörige Thierarten ausgestellt zu sein, über welche gewöhnlich zu seltsame Anschauungen und Vorstellungen verbreitet sind, als daß es nicht dankbar zu begrüßen wäre, sie einmal lebend beobachten zu können. Der Scorpion und die große, selbst Vögel würgende Buschspinne können unmöglich bessere Gesellschaft finden, als ihnen hier in Schlangen und Eidechsen zu Theil geworden ist. Auch ihnen ist Niemand hold gesinnt. In der Fähigkeit, mit colossaler Ausdauer in einer einmal eingenommenen Lage oder Stellung zu verharren, geben sie den Reptilien auch nichts nach. In dieser letzteren Eigenschaft aber völlig unübertrefflich und deshalb in dieser Umgebung gleichsam heimathsberechtigt ist ein Vierfüßler, dem wir noch einen kurzen Besuch abstatten wollen. Man pflegt wohl zu sagen, daß zur Faulheit keine besondere Uebung gehöre. Mit solcher Virtuosität aber zu faulenzen, wie das zweizehige Faulthier es fertig bekommt, dazu würden andere Geschöpfe doch erst einigen Fleiß verwenden müssen. Selbst das Fressen scheint diesem Thiere eine Last zu sein. Dabei bewährt sich auch hier die Richtigkeit des Sprüchwortes, daß Faulheit mit Armuth lohnt, wenn darunter auch geistige Armuth zu verstehen erlaubt ist, denn nicht viele Säugethiere machen unserem Faulthiere in Bezug hierauf den Vorrang streitig; nicht viele erscheinen gleich ihm als das Conterfei der vollendetsten Stupidität. Es ist fast, als wenn es dieser sich bewußt wäre, und deshalb hartnäckig das blöde Gesicht verstecke! Man gönne ihm das Vergnügen – wir wollen zu lebendigeren Bildern uns wenden.

Die Erfahrung, daß das, was das Auge fesselt, das Ohr abscheulich beleidigen kann, wird jeder Aquariumsbesucher vor jenem Riesenkäfig gemacht haben, zu dem wir nun treten und dessen oberen Theil wir zu Ende des Schlangenganges und noch einmal besonders in der Gruppe C unserer Abbildung erblicken.

Geologische Grotte ist dieses Meisterstück von Baukunst genannt, in ihren Wandungen einen Durchschnitt unserer Erdrinde veranschaulichend. Hoch oben schwirren in ewig lebendigem Spiele Alpendohlen, oder zetern in ohrzerreißendem Geschrei die farbenprächtigsten Papageien und Kakadu’s; rechts in der Mitte erheben die australischen Riesenfischer ihre jeder Beschreibung spottenden und jedes Wohlklanges entbehrenden Tonübungen, und unten aus der Tiefe schallt die durchdringende Stimme der Austernfischer oder das gellende Lachen der Möven empor. Das Auge möchte weilen – der Eindruck ist zu imposant – das Ohr möchte eilen; können beide denn nicht zugleich genießen? Wende dich um, steige wenige Stufen herab – wirf im Herabsteigen einen flüchtigen Blick rechts in den Felsenschacht, der dort zu bodenloser Tiefe sich verliert, und laß dann mit überwältigender Kraft auf dich einwirken, was sich nun dir bietet: die oft bespöttelte, für die, die am Wort Aquarium hängen geblieben, hier unberechtigt erscheinende, in Form und Füllung bis jetzt nirgend übertroffene Prachtvolière (Vogelhaus).

Die Gruppe D giebt die Ansicht, die der Besucher zuerst empfängt; das große Mittelbild unserer Abbildung ist geeignet, den Totaleindruck zu vervollständigen; ganz ist dieser aber ebensowenig

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vipernnatern
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_168.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)