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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

somit in unser Haus und unsern Familienkreis ein, und meine Schwester gab ihnen zugleich Anweisung in Handarbeiten. Aus Elberfeld kam ein anderes Mädchen auf einige Jahre zur Erziehung zu uns, weil es verwaist war. Auch fiel es vor, daß die überaus gesunde Luft von Oberkassel Eltern bewog, kränkliche Töchter eine Zeitlang zu uns zu thun und die Traubencur bei ihnen anzuwenden, die eben damals frisch in Aufnahme kam. Fand sich dann bei dem fröhlichen Schwarme etwa noch eine Kölner Freundin der Schwester auf Besuch ein, so kam es wohl vor, daß der jugendlichen Mädchen, wie in Angely’s Lustspiel, nicht weniger als sieben waren und darunter außerordentlich hübsche.

Das lustige ungenirte Landleben gab ihnen eine Menge von Backfischstreichen ein, wozu der Umstand Gelegenheit bot, daß dem Pfarrhause gegenüber ein stattliches Wirthshaus lag, welches von Bonner Studenten stark besucht und zu Commersen und Duellen benutzt wurde. Es geschah wohl, daß an einem sonnigen Herbstabende die schöne Sieben sich auf der Brüstung des gräflichen Pavillons am Rheine aufstellte und den Reisenden auf dem vorbeifahrenden Dampfboote mit weißen Tüchern winkte. Gar manches junge Blut mag beim Anblick dieser modernen Schwestern von Oberwesel das Schiff verwünscht haben, das ihn mit so brausender Schnelle stromabwärts davonriß.

Dürfte man sich nun wundern, wenn bei solcher Versuchung auch ich mein erstes Lehrgeld in der Liebe hätte zahlen müssen, da ich doch fast jeden Sonntag und in den Ferien beständig im Pfarrhause verweilte? Und doch ist es nicht dazu gekommen, denn keins der Mädchen nahm sich meiner, wie Fräulein Karoline, in freundlicher Weise an. Ich war ja ein wenig jünger als sie, und mit dem unbändigen Stolz der Backfische blickten sie auf mich herab. Sehr junge Mädchen beachten uns Männer überhaupt nur nach dem Maßstabe, ob Aussicht da ist, daß wir sie heirathen sollen. Ich war jenen Sylphiden also eine ganz interesselose Figur, und auch von ihnen hat keine mein Herz verwundet oder geschrammt. Das Treiben der Pensionsmädchen ist überhaupt seelenlos und macht einen kläglichen Eindruck. Man soll beide Geschlechter nicht getrennt erziehen; eine Rotte von Knaben ohne allen Zusatz von Mädchen wird ungeschlacht, Mädchen aber, die nur unter sich aufwachsen, verfallen in’s Kleinliche. Weder damals noch je hat weibliche Unreife mich angelockt; nur an meiner Schwester hing ich mit grenzenloser Innigkeit und ritterlicher Galanterie.




Schul- und Grabstätte eines „Parvenu“.

Als der geschlagene und entthronte Cäsar gefangen auf Wilhelmshöhe saß und seine Blicke hinausschweifen ließ in’s deutsche Land, da mochte doch wohl zwischen den düsteren Betrachtungen der Gegenwart und den bangen Sorgen um die Zukunft manchmal die Erinnerung an das einsame stille Haus in der Heiligkreuzstraße in Augsburg in ihm aufgestiegen sein, das er mit seiner Mutter Hortense bewohnte, die Erinnerung an die Schulbank, auf der er Arm in Arm mit deutschen Jungen gesessen, und an die Tummelplätze, auf denen er mit deutschen Jungen kriegerische Spiele gespielt. Zur Zeit seines Glanzes wenigstens hatte Napoleon öfter die Gelegenheit wahrgenommen, pietätvolle Erinnerungen an jene Tage zu bekunden, was ihn freilich nicht abhielt, den Frieden des Volkes, dessen Gastrecht er genossen, bei dem er die Grundlagen seiner Bildung gelegt, freventlich zu brechen.

„Welches auch der Weg sein mag, den wir jenseits der Grenzen nehmen werden – wir werden auf ihm die ruhmvollen Spuren unserer Väter wiederfinden!“ – so lautete eine Stelle in der Proclamation, die Napoleon am 28. Juli 1870 an seine Armee erließ. Doch die treue „Wacht am Rhein“ wehrte den bewaffneten „Forscherzug“ nach den „Spuren der Väter“ der „großen Nation“ und des „großen Onkels“ von unseren Grenzen ab. Aber gerade im Hinblick auf die gewaltigen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die sich ja so ganz anders gestalteten, als unsere Feinde geplant und gehofft hatten, dürfte es nicht ohne Interesse sein, den „Spuren“ des „kleinen Neffen“ in Deutschland nachzugehen, die allerdings nur leicht und flüchtig sind und ziemlich fernab liegen vom großen Gange der Weltgeschichte, für uns Deutsche aber dennoch lehrreiche geschichtliche Vergleichungspunkte bilden. Mit ganz anderen Gefühlen betrachten wir sie heute als sonst, da der Mann von Sedan und Chislehurst noch lauernd an unserer Grenze lag.

Die Herzogin von St. Leu (Königin Hortense) lebte mit ihrem Sohne Louis Napoleon vom Jahre 1817–1823 mit wenigen Unterbrechungen in Augsburg. Im Archive der Stadt Augsburg befindet sich nicht die geringste Notiz über den Aufenthalt und das Leben der interessanten Fremdlinge, nur in dem sogenannten Grundbuche, welches über Besitzveränderungen der Häuser geführt wird, steht über das von ihnen bewohnte Haus Litera F Nr. 371 und 372 in der Heiligkreuzstraße Folgendes:

     „1807, 14. Januar. Josepha Fürstin von Waldburg zu Wolfegg und Waldsee;
     1817, 16. Mai. Herzogin von St. Leu;
     1828, 11. März. Albert von Pappenheim, kgl. Generalmajor;
     1848, 4. Juli. Graf Fugger zu Kirchberg und Weissenhorn.“

Das in Rede stehende Gebäude hat keinen bestimmt ausgeprägten Charakter. Es ist einstöckig und bildet im Grundriß eine T-Form. Der mit einem Mansardendach bedeckte Mittelbau grenzt an die Heiligkreuzstraße an. Die unteren Fenster haben Segmentbogen, die oberen einen geraden Fenstersturz. Die Mansardenetage hat gegen die Straßenseite drei größere Fenster. Die zu beiden Seiten des Mittelbaues befindlichen Höfe sind durch eine hohe Mauer von der Straßenseite abgeschlossen und rechts durch eine zum Hause gehörige Remise, links durch das Nachbarhaus abgegrenzt. Das Haus hat einen gelblichen, ziemlich verwitterten Anstrich und, von der Straßenseite betrachtet, weder ein stattliches noch freundliches Aussehen.

Unsere Abbildung zeigt die dem großen, schönen Garten zu gelegene Rückseite des Gebäudes; denn gerade dieser Theil des Hauses wurde, weil er geräumiger und wohnlicher als der Mittelbau und wohl auch wegen der Aussicht in den Garten, von der Herzogin und ihrem Sohne bewohnt, was auch bei der gegenwärtigen Herrschaft der Fall ist. Die Zimmer des Prinzen – ein Arbeits- und ein Schlafzimmer im ersten Stock mit den ersten vier Fenstern rechts gegen den Garten – waren höchst einfach möblirt.

Hortense bewohnte die übrigen Zimmer im ersten Stock, die höchst geschmackvoll, aber ebenfalls prunklos eingerichtet und besonders mit Gegenständen der Erinnerung, namentlich in Bildern und Gemälden, an Hortensens Abgott, an Napoleon I., geschmückt waren. Das Häuschen links vom Beschauer war damals die Hauscapelle, die jetzt in ein profanes Waschhaus umgewandelt ist. Sonst sind wesentliche bauliche Veränderungen nicht vorgenommen worden. Die sämmtlichen Wände des ganzen Gebäudes, mit Ausnahme der in der Straßenlinie liegenden Wand des Mittelbaues, sind bis unter das Dach hinauf dicht mit wilden Reben bewachsen. Diese seine schönste Zierde besaß das Haus zu Napoleon’s Zeit noch nicht. Doch standen damals auf der Straßenseite hohe italienische Pappeln vor dem Hause, die demselben einen so eigenthümlichen Charakter verliehen, daß Napoleon bei seiner späteren Anwesenheit in Augsburg im Jahre 1867 die Bäume, welche mit der Zeit den Weg alles Holzes gegangen waren, sofort vermißte und nach ihnen fragte.

Die auf dem Bilde sichtbaren Kirchen liegen dem Hause schräg gegenüber auf der andern Seite der Heiligkreuzstraße. Die rechts mit dem kleinen Thurme ist die protestantische Pfarrkirche zum hl. Kreuz, die mit dem größeren Thurme die katholische Wallfahrtskirche zum hl. Kreuz, in welcher „das wunderbarliche Gut“ (eine „blutrothe“ Hostie) aufbewahrt wird und wohin am 11. Mai jeden Jahres die fromme Einfalt aus weitem Umkreis schaarenweis „wallfahrten geht“; denn an diesem Tage wird das „wunderbarliche Gut“ in feierlicher Procession durch die Straßen des dortigen Stadttheils getragen.

Unsere Mittheilungen über das Privatleben der Herzogin und das Thun und Treiben des Prinzen Napoleon verdanken wir der Güte einzelner in Augsburg lebender Herren, die theils

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_181.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)