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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Blätter und Blüthen.

Rescript des Königs von Preußen an den Minister von Wöllner, welches auch wohl zum Theil noch jetzt passen dürfte. „Die Deutung, welche Ihr meiner Order vom 23. November v. J. in Eurem unterm 5. December an die Consistorien erlassenen Rescripte gegeben habt, ist sehr willkürlich, indem in jener Order auch nicht ein Wort vorhanden ist, welches nach gesunder Logik zur Einschärfung des religiösen Edicts hätte Anlaß geben können. Ihr sehet hieraus, wie gut es sein wird, wenn Ihr bei Euren Verordnungen künftig nicht ohne vorherige Berathschlagung mit den geschäftskundigen und wohlmeinenden Männern, an denen in Eurem Departement kein Mangel ist, zu Werte geht, und hierinn dem Beispiel des verewigten Münchhausen folget, der denn doch mehr, wie viele Andere, Ursache gehabt hätte, sich auf sein eigenes Urtheil zu verlassen. Zu seiner Zeit war kein religiöses Edict, aber gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei, wie jetzt, und das geistliche Departement stand bei Einländern und Ausländern in der größten Achtung.

Ich selbst ehre die Religion; folge gern ihren beglückenden Vorstellungen, und möchte um Vieles nicht über ein Volk herrschen, welches keine Religion hätte, aber ich weiß auch, daß sie Ruhe des Herzens, des Gefühls und der eigenen Ueberzeugung seyn und bleiben muß, und nicht durch methodischen Zwang zu einem gedankenlosen Plapperwerk herabgewürdigt werden darf, wenn sie Tugend und Rechtschaffenheit befördern soll. Vernunft und Philosophie müssen ihre unzertrennlichen Gefährten sein; dann wird sie durch sich selbst fest stehen, ohne die Autorität Derer zu bedürfen, die es sich anmaßen wollen, ihre Lehrsätze künftigen Jahrhunderten aufzudringen, und den Nachkommen vorzuschreiben, wie sie zu jeder Zeit denken sollen.

Wenn Ihr bei Leitung Eures Departements nach echt lutherischen Grundsätzen verfahret, welche so ganz dem Geist und der Lehre des Stifters unserer Religion angemessen sind, wenn Ihr dafür sorget, daß Prediger- und Schulämter mit rechtschaffenen und geschickten Männern besetzt werden, die mit den Kenntnissen der Zeit, und besonders der Exegese fortgeschritten sind, ohne sich an dogmatische Subtilität zu kehren, so werdet Ihr es bald einsehen können, daß weder Zwangsgesetze noch deren Erinnerung nöthig sind, um wahre Religion im Lande aufrecht zu erhalten, und ihren wohlthätigen Einfluß auf das Glück und die Moralität aller Volksclassen zu verbreiten. Ich habe Euch meine Meinung auf Euren Bericht vom 10. Januar nicht vorenthalten wollen.

Berlin, den 12. Januar 1798.

F. W.“


Bock’s Briefkasten.

An die Dummen, welche nicht alle werden. (Fortsetzung.) Mit der Dummheit – mit welcher, wie bekannt, Götter selbst vergebens kämpfen –, mit ihr hat der Unterzeichnete kürzlich doch nicht so ganz umsonst gekämpft, denn es kostet ihm dieser Kampf zehn Thaler Strafe und noch ein Sümmchen Gerichtskosten (welche aber die Gartenlaube im Interesse der guten Sache mit Freuden trägt). Dies ging aber so zu: Verfasser bezeichnete (in Nr. 45 der Gartenlaube, Jahrg. 1871) den Besitzer der Pönicke’schen Schulbuchhandlung in Leipzig, Herrn Bierey, als einen „gewissenlosen Geldsauger, einen Unhold und einen Schundbuchverleger“. Er that dies deshalb, weil dieser Verleger durch eine Schrift („Die Selbstbewahrung, von Retau“) Kranke, und vorzugsweise Gemüthskranke, die wegen früherer geschlechtlicher Unarten ihr Körper- und Seelenheil verloren zu haben glauben, ganz unnützer Weise in die gräßlichste Angst und in Schrecken versetzt und zwar blos darum, um ihnen dann verschiedene Thaler durch nichtsnutzige Arzneien abzutreiben. Obige Bezeichnungen hielt Herr Bierey für beleidigend, und so geschah, was Verfasser gewünscht hatte, er wurde von Herrn Bierey verklagt und, was Verfasser aber nicht erwartet hatte, vom Gerichte in Strafe genommen. – – Die Gerichtsverhandlung hat nun das Gute gehabt, daß die ganze Procedur zu Tage gekommen ist, welche die Schulbuchhandlung einschlägt, um eingebildete leichtgläubige Kranke von ihrer Dummheit und ihren Thalern zu befreien. Sind dieselben nämlich nach Lesung der „Selbstbewahrung“ in die nöthige moralische Gruselung versetzt und dadurch zur Schulbuchhandlungscur herangeködert worden, so haben sie zuvörderst sechs Thaler (!) nebst einer Beschreibung ihrer Beschwerden an die Schulbuchhandlung einzuschicken. Selbige übergibt dann diese Beschreibung nicht, wie sie verspricht, der gemeinsamen Berathung eines aus mehreren Aerzten bestehenden Bureaus, sondern nur einem einzigen Arzte, welcher gegen ein Salair von zwanzig Groschen ein Recept (fast stets mit Chinin und Eisen) verschreibt, welches in der „königlichen Hofapotheke zum weißen Adler“ gemacht wird und etwa zwanzig Groschen oder wegen des hohen Rabattes, welchen die Apotheke dem Herrn Bierey gewährt, noch weit weniger kostet. Die Arznei gelangt dann, angeblich im Auftrage des nicht existirenden ärztlichen Bureaus, durch die Hände des Herrn Bierey in die des Kranken, welcher dadurch bald früher, bald später von dem Schwindel der Schulbuchhandlung überzeugt wird. Von den eingeschickten sechs Thalern fließen demnach vier Thaler zwanzig Groschen in die Tasche der Schulbuchhandlung, bisweilen aber auch noch mehr, wenn das ärztliche Salair durch Repetition der Arznei erspart wurde. So braucht man sich also nicht zu wundern, wenn unser Mitbürger Bierey, der noch vor wenig Jahren ein ganz armer Mann war, zur Zeit ein reicher Mann (mit Haus und Equipage) ist.

Aus der Gerichtsverhandlung dürften noch die folgenden Thatsachen einiges Interesse erregen. 1) Der Verlag der Schulbuchhandlung besteht nicht etwa aus Schulbüchern, sondern fast nur aus Schriften, durch deren Inhalt nichtsnutzige Arzneien und Geheimmittel für einen unverhältnißmäßig hohen Preis an den Mann gebracht werden sollen. Sachverständige Buchhändler erklärten, daß es unter Buchhändlern nicht für ehrenhaft gelte, solche Bücher zu verlegen. Das Gericht that aber den Ausspruch: „außer allem Zweifel beruht, daß Bierey sich mit dem Handel und Vertriebe von Geheimmitteln mit unverhältnißmäßigem Gewinne befaßt, hierin aber sowohl vom Standpunkte der Wissenschaft aus, als auch nach allgemeinen Begriffen in der That ein schwindelhaftes Verfahren zu befinden ist.“ – 2) Die Schrift „Die Selbstbewahrung“ von Retau ist eine Uebersetzung aus dem Englischen und zwar des La Mert’schen Buches, welches früher auch Herr Laurentius übersetzt und unter dem Titel „Der persönliche Schutz“ verkauft hat. Von diesem Buche machte die königlich bayerische Regierung von Schwaben-Neuburg, welche die Ankündigung desselben in öffentlichen Blättern bei Strafe verbot, bekannt, „daß dasselbe lediglich darauf berechnet sei, die an sexuellen Krankheiten leidenden Kranken in die größte Angst zu versetzen, ihnen die Folgen dieser Krankheiten als schrecklich darzustellen, ihnen eine schauderhafte Zukunft vorzumalen, das Vertrauen zu den gewöhnlichen Aerzten und Curmethoden zu untergraben und zuletzt die einzige Rettung in der theueren Behandlung durch den Verleger des Buches zu verheißen.“ – Daß sich die Retau’sche Schrift übertriebene Malereien zu Schulden kommen läßt, gab selbst der Schulbuchhandlungsarzt vor Gericht zu und meinte, daß die Stelle: „die Kranken brüten stumpfsinnig vor sich hin, bis ihr Zustand mit vollständigem Blödsinn oder Wahnsinn endet oder die Verzweiflung ihnen ein Mordgewehr in die Hand drückt,“ doch etwas zu stark wäre. Nach Laurentius und Bierey kann man jedoch dem Wahnsinn und dem Selbstmordgewehr entgehen, wenn man sich ihrer Arzneien bedient. Weil nun Laurentius gleich vierzig Thaler für seine Cur beansprucht, Bierey aber erst mit sechs Thalern anfängt und seine Curkosten nur nach und nach fünfzig Thaler erreichen, so läßt Letzterer von Ersterem drucken: „Wir haben Einblick in den schamlosen Wucher; für ein Gebräu, zusammengesetzt von einem Ignoranten, werden nicht weniger als vierzig Thaler gefordert, und obschon das sogenannte Medicament völlig nutzlos und der geforderte Preis ein geradezu unvernünftiger ist, hat dieser Schwindler doch Viele damit betrogen. Wir hoffen zwar, daß dieser Schwindler sowohl als sein Buch hinreichend gebrandmarkt und jetzt ziemlich unschädlich sein mögen, für alle Fälle aber wollen wir unser Buch vor der Verwechselung und Gleichstellung mit diesem Machwerke schützen.“ Und dies veröffentlicht Herr Bierey, welcher ganz dasselbe Buch (die Uebersetzung des Dr. La Mert’schen Buches) und so ziemlich ganz dieselbe Arznei (aus Chinin und Eisen) verkauft, wie Herr Laurentius. Par nobile fratrum! – 3) In Bezug auf die briefliche Behandlung von Kranken sagten die Sachverständigen (medicinische Professoren) aus: „Daß es vom ärztlichen Standpunk aus durchaus verwerflich sei, Kranke nur auf Grund ihrer eigenen brieflichen Mittheilungen und ohne Untersuchung ihres Körpers ärztlich zu behandeln; daß es ferner auch verwerflich und gemeinschädlich sei, Kranke durch Bücher aufzufordern, sich brieflich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen.“ – 4) Um die Bücher, durch welche Herr Bierey seine nichtsnutzigen theuren Arzneien loszuwerden sucht, in’s große Publicum zu bringen, giebt derselbe jährlich gegen viertausend Thaler aus.

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß das Gericht zur Gemüthsberuhigung des Unterzeichneten erklärte: „daß die Handlungsweise des Angeklagten zuerst und hauptsächlich aus der lobenswerthen Absicht, gemeinnützig zu wirken, hervorgegangen sei“ und „daß der Geschäftsbetrieb des Herrn Bierey als tadelnswerth zu bezeichnen sei“. – Auf die Veröffentlichung der Bestrafung des Unterzeichneten hat Herr Bierey expreß verzichtet. Wir wollen nun aber zur Veröffentlichung desjenigen Geschäftsbetriebes des Herrn Bierey übergehen, welcher in das Bereich des Herrn Staatsanwaltes und Gerichtsarztes gehört, weil hierbei nicht der Schulbuchhandlung affiliirte Aerzte lege artis mitmachen.

Bock.

Berichtigung. In dem Artikel „Nur eine Hausfrau“ von Johannes Scherr (Nr. 10, Seite 158) ist in der vierten Zeile vor dem Schluß statt „erwarten“ zu lesen: „erwerben“.



Kleiner Briefkasten.

K. in B. Lassen Sie uns doch zufrieden mit Ihren „indeß – vorausgesetzt – angenommen – nicht zu weit gehen – ruhmreiche Traditionen etc. etc.“ und beherzigen Sie das Wort des Dichters:

Das sind der Freiheit schlimmste Feinde nicht,
Die zu dem Dienst der Knechtschaft sich bekennen
Und stolz sich rühmen der betreßten Pflicht.
Nein, Jene sind es, welche frei sich nennen,

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Und insgeheim in tiefster Seele doch

Voll ekler Gier, ein Sclav zu sein, entbrennen.
Mit Blumen schmücken Sie das feile Joch,
Darunter sie den Nacken willig neigen,
Und rühmen sich erlog’ner Kränze noch.

L. O. in Lpz. Die Bezeichnung „geflügelte Worte“ rührt weder von Büchmann noch von Gust. Freytag, sondern vom alten Homer her, der dieselbe (Έπεα πτεσόεντα) oft, nur nicht ganz im modernen Sinne, gebraucht.

An Frau Minna Schreiber und Fräulein Thekla Schmidt in Cedarcroft, U. St. of A. Recht vermuthet! Der Verfasser jenes Aufsatzes: „Kommt, laßt uns etc.“ ist Ihr ehemaliger Lehrer und noch in Leipzig.

O. S. Acceptirt.




Zur Beachtung!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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