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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

mit Preußen betraute. Die Mission mißlang völlig, Wangenheim kam im Hauptquartier zu Weimar erst am Tage vor der Schlacht bei Auerstädt an, kehrte aber trotz alledem hoffnungsvoll nach Stuttgart zurück.

König Friedrich übertrug Wangenheim die Oberleitung des Finanzwesens des neuen Reichs, und sofort begann dieser ein mächtiges Fegen und Ordnen im Staatshaushalt. Aber sehr bald zeigte sich das vetterschaftliche Gemeingefühl des Beamtenthums gegen solche Störungen der heimischen Gemüthlichkeit. Wangenheim war nach allen Seiten unbequem geworden, man suchte ihn aus der schwäbischen Residenz zu entfernen und erhob ihn im September 1811 zum Curator der Universität Tübingen und zum Präsidenten des dortigen Ober-Tribunals.

Eine glücklichere Zeit hat Wangenheim im Dienst und Haus nicht wieder erlebt. Er selbst im Gefühl höchster Manneskraft, ein Achtunddreißiger, mit dem Geist voll hoher Gedanken und dem jugendfrischen und jugendfreudigen Herzen, mitten hineingestellt in das Blüthenleben einer Universität voll strebender Jünglinge und ausgezeichneter Männer, als Aller Schutz und Leiter – dieses Glück und dieser Glückliche hatten nicht besser zusammenkommen können. Das Wangenheim’sche Haus war kein Haus mehr, sondern eine Gast- und Lusthalle aller Leute von Begabung und Namen. Wangenheim selbst saß oft wieder im Hörsaal, er war im Studiren wie im Leben wieder Student im edelsten Sinne und der geehrteste und geliebteste Mann weit und breit, während gegen Hof und Regierung des Volkes Haß immer drohender wuchs. So oft er von jenen Tagen erzählte, konnte er, wie Lortzing’s Waffenschmied, seufzen und jubeln: „Das war eine köstliche Zeit!“ –

Sie dauerte wenig über drei Jahre, da brach der Verfassungskampf gegen den störrigen König aus. Wangenheim trat im Sommer 1815 mit seiner Schrift: „Die Idee der Staatsverfassung in ihrer Anwendung auf Württembergs alte Landesverfassung und den Entwurf zu deren Erneuerung“ hervor und wurde wohl deshalb als Mitglied der zur Berathung der Verfassungsangelegenheiten niedergesetzten Commission berufen.

Allbekannt ist die Hartnäckigkeit, mit welcher die Württemberger ihr sogenanntes „altes Recht“ auch gegen die freisinnigsten Verfassungsvorschläge Wangenheim’s vertheidigten. Selbst Uhland richtete sein berühmtes Lied vom „alten Recht“ gegen ihn. Er verlor seine Popularität fast völlig; es kam sogar zu handgreiflichen Demonstrationen gegen ihn, und ich selbst habe noch den großen Käslaib gesehen, der ihm damals bei einem Volksauflauf durch das Fenster flog und den er als schwäbischen Volksdank sein Lebtage aufbewahrt hat.

Mitten in diesen Kämpfen war der dicke König gestorben, und sein Nachfolger, der einst so gefeierte „Prinz Wilhelm, der edle Ritter“, hatte, des Zanks müde, sich entschlossen, bis auf Weiteres ohne Verfassung zu regieren. Mit den freisinnigsten Verordnungen dieser Zeit hat Wangenheim, den der König sofort zu seinem Cultusminister ernannte, sich bleibendes Verdienst um Württemberg erworben.

Aber nur zu bald wendete sich das Blatt. Der Haß der rein aristokratischen Clique der Beamtenschaft siegte. Der König ward kampfmüde und mißachtete den Rath Wangenheim’s in einer Weise, die „dessen menschliches Gefühl verletzen mußte“. Er forderte deshalb seinen Abschied und gab damit, sagt Heinr. von Treitschke (in seiner Abhandlung über Wangenheim in den „Preußischen Jahrbüchern 1863“, der ich hier öfter folge), als der Erste das von den Staatsmännern des deutschen Bundes (und leider noch heute) selten begriffene Beispiel für das Verhalten constitutioneller Minister.

Am vierten November 1817 hatte Wangenheim das Gesuch um seine Entlassung als Cultusminister eingereicht, und schon am elften empfing er die Bestallung als württembergischer Gesandter am Bundestage.

Jetzt beginnt eine nicht blos für Württemberg, sondern für ganz Deutschland denkwürdige Zeit von Wangenheim’s staatsmännischer Thätigkeit. So wenig nämlich König Wilhelm im Innern seines Landes den liberalen Minister länger neben sich dulden mochte, so sehr schmeichelte es seinem Ehrgeiz, im Kampfe gegen die Uebergriffe der deutschen Großmächte durch eine so erprobte Kraft vertreten zu sein. Für Wangenheim galt es aber jetzt, seine Trias-Idee (Reindeutschland, Oesterreich und Preußen als drei Staatengruppen eines Bundesstaats) in’s Leben zu rufen. Er stand längst mit ihr nicht allein. Wie schon Anselm Feuerbach in den beiden Großmächten „die natürlichen Gegner, nicht gerade Deutschlands, aber der Freiheit und Selbstständigkeit der kleinen deutschen Staaten“ sah und sogar an einen Fürstenbund dachte, der das feindliche Preußen in zwei Hälften zerreißen sollte, so bildeten bereits im Bundestag selbst die Gesandten Gagern, Aretin, Lepel und Harnier eine Oppositionspartei gegen die Buol und Goltz, und als Gagern vom Bundestag ausschied, ward Wangenheim der Führer dieser Opposition. Und er führte sie so schneidig und ließ die Gesandten von Oesterreich und Preußen seine geistige Ueberlegenheit so stark fühlen, daß Metternich im September 1818 sogar Abhülfe dagegen in Stuttgart suchte.

Das Jahr 1819 fing sogleich unheilverkündend für ihn an. Karl Sand hatte in Tübingen Wangenheim’s gastliches Haus mehrmals besucht und den anregenden Worten des Herrn Curators gelauscht. Auch auf seiner verhängnißvollen Reise nach Mannheim suchte er Wangenheim in Frankfurt auf und traf ihn nicht. Als Letzterer dies erfuhr, trieb eine unbestimmte schreckliche Ahnung ihn, dem Wanderer in den Odenwald nachzureiten. Er fand ihn nicht, und die unselige That geschah. Man kennt ihre Folgen. Ludwig Karl Aegidi sagt in seiner tapferen Schrift „Aus dem Jahre 1819“ mit Recht: „Das Deutschland des Jahres 1819 war ein Tollhaus; irregewordene Regierungen legten der Nation, die noch bei Sinnen war, die Zwangsjacke an.“ – „Die Folge des Wiener Congresses war einfach der Mangel eines guten Gewissens auf Seite der Regierungen. Gewissensangst aber verwirrt.“ – „Darin liegt der Schlüssel des Verständnisses für das Räthsel, daß der nationale Gedanke den meisten Schrecken einflößte und gleichsam als der Todfeind der Regierungen galt.“ – „So kam es zu den Verabredungen von Karlsbad. Hier, in dem berühmten Badeort, erreichte in den Hundstagen des Jahres 1819 die gouvernementale Tollheit ihren Höhepunkt.“

Das Product derselben, die Karlsbader Beschlüsse, ist auch von Württemberg mit unterzeichnet. Vergeblich hatte Wangenheim, soweit sein Einfluß reichte, dagegen angekämpft; er suchte sein Gewissen wenigstens dadurch zu beschwichtigen, daß er in der Bundestagssitzung am 20. September seine Einsprüche und Verwahrung gegen die Beschlüsse niederlegte, darin namentlich die Rechte der Einzelstaaten in der Behauptung ihrer angeblichen politischen Verbrecher wahrte und sich der rechtlichen Behandlung der vor die Central-Untersuchungs-Commission Gestellten annahm. Als aber dieses Protokoll ein Geheimniß bleiben mußte, mochte er wohl bitter fühlen, daß ein Vorwurf darüber, daß er damals nicht sofort den Gesandtschaftsposten aufgegeben, ihn mit Recht treffen könne. Die Strafe folgte dieser Unterlassungssünde auf dem Fuß: „Vier Jahre lang arbeitete nun die liberale Minderheit zu Frankfurt an dem undankbaren Versuch, die Wirksamkeit jener Karlsbader und Wiener Beschlüsse zu untergraben, welche durch die Nachgiebigkeit der Minderheit selbst zu Bundesgesetzen erhoben waren.“

Wie sehr dies zu beklagen ist, sehen wir an einigen einzelnen Fällen Wangenheim’scher Kämpfe. Ein in einer sehr bittern Denkschrift ausgeführter Angriff Wangenheim’s richtete sich gegen die Mainzer Central-Untersuchungs-Commission, vulgo die „schwarze Commission“ genannt. Da aber Württemberg sich geweigert hatte, ein Mitglied zu derselben abzuschicken, so verweigerte der österreichische Vorsitzende des Bundes auch seinerseits jede Mittheilung. Die Gesandten der Opposition blieben ohne Kenntniß der Mainzer Acten, bis die häßliche Cloake allgemein ruchbar wurde.

Wangenheim’s gediegene Tüchtigkeit kam am schönsten zu Tage, als es galt, die gesetzlichen Befugnisse des Bundes zu vertheidigen und vornehmlich das Recht desselben, auf die Ausführung der im Artikel dreizehn der Bundesacte verheißenen Verfassungen zu dringen. Man lernte von ihm zu Frankfurt, sagt Treitschke, was gründliche und rechtliche Beurtheilung staatsrechtlicher Fragen sei. So bewies er in einem meisterhaften Gutachten die Pflicht des Bundes, in Holstein einzuschreiten. Er entlarvte die sophistische Unredlichkeit, welche dort eine niemals aufgehobene, unzählige Male feierlich bestätigte Verfassung blos deshalb für „nicht in anerkannter Wirksamkeit stehend“ erklärte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_225.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)