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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Abendmahl in den Leib und das Blut Christi) Blut geschwitzt haben. Das Wunder geschah am 15. Mai 1859 – die Jahreszahl ist kein Druckfehler! – und wenn nicht gerade damals Kirche und Regierung im Streite lagen, hätte sich aus der Sache vielleicht mehr Capital schlagen lassen, und eine großartige Wallfahrt-Organisation, wie sie Jahrhunderte hindurch wegen eines entsprechenden Vorganges nach Heiligenblut in Oesterreich oder nach Wilsnack in der Altmark stattgefunden hat. Vielleicht hatte der Erzbischof von Reims Kenntniß von den mannigfachen wissenschaftlichen Untersuchungen, die bereits damals über das Hostienblut angestellt worden waren; er erklärte zwar das Wunder nicht für nichtig und verbot auch die Wallfahrt nicht, ordnete aber doch an, daß die Geistlichen die mit rothen Flecken (insgesammt von der Größe eines Sechspfennigstückes) gezierte Oblate nicht öffentlich ausstellen sollten, aber dieselbe im Geheimen anbeten könnten, soviel sie wollten. Ob man das Versäumte nicht noch nachholen wird, steht dahin; haben doch viel leichter erklärliche Vorgänge während der letzten Jahre großartige Wallfahrten in Frankreich hervorgerufen.

Wir haben nur diesen neueren Fall erwähnen wollen, zum Beweise, daß der Glaube an Blutwunder im Volke noch nicht ausgestorben ist; auf die unzähligen ähnlichen Vorkommnisse dieser Art in der Kirchen- und Profan-Geschichte näher einzugehen, ist nicht unsere Absicht. Seit sich im Jahre 332 v. Chr. bei der Belagerung von Tyrus durch Alexander den Großen der älteste aufgezeichnete Fall von blutendem Brod gezeigt, hat sich dieses Bedecken verschiedener Nahrungsmittel mit rothen, blutartigen Flecken unendlich oft, und besonders häufig in unserem Jahrhundert, wiederholt und selten verfehlt, ein mit Grausen gemischtes Aufsehen zu erregen, besonders wenn es sich in Zeiten herrschender Seuchen zeigte. Am größten war freilich aus naheliegenden Gründen jedesmal der Schrecken, wenn es sich auf Hostien zeigte, namentlich auf solchen, die zu abergläubischen Zwecken von der Abendmahlsfeier zurückbehalten worden waren, sei es, um dieselben auf dem Acker, im Stall oder unter Geschäftsräumen zu vergraben, zum Gedeihen der Saat, des Viehstandes oder Gewerbes, sei es zu anderen ebenso blödsinnigen Zwecken. Als Beispiel sei nur kurz an die unter einem Braukessel gefundene blutende Hostie von Zehdenick erinnert.

Am verhängnißvollsten wurde der an diese Wunderzeichen sich knüpfende Aberglaube für die Juden, diese Sündenböcke des Mittelalters, welche man gern für alles Ungemach, welches die Christenheit traf, verantwortlich machte. Herrschte die Pest verheerend im Lande, so hatten die Juden die Brunnen vergiftet; gab es Hungersnoth, so hatten sie alles Getreide an sich gekauft; war ein Kind verschwunden, so hatte sich die Judengemeinde seiner bemächtigt, um es beim künftigen Passahfest zu schlachten; fand man irgendwo blutige Hostien, so waren sie von Juden gebrannt, gestochen oder gepeinigt worden, bis Blut gekommen, nachher aber von selbst wieder in die Monstranz zurückgeflüchtet. Eine große Judenhetze, bei welcher vielleicht viele Tausende dieser Unschuldigen umkamen, war die unausbleibliche Folge jeder derartigen Beschuldigung. Um von den vielen Beispielen, die wir hierzu geben könnten, nur eines anzuführen, bei welchem man sich auf wenige Opfer beschränkte, sei folgende Stelle einer 1593 in Wittenberg gedruckten Chronik der Mark Brandenburg angeführt: „Am 10. Juli 1510 wurden zu Berlin achtunddreißig Juden verbrannt, und zween getaufte Juden mit dem Schwerte hingerichtet, darumb daß sie etliche consecrirte Hostien mit Messern und Pfriemen durchstochen, und wollen sehen, ob denn der Christengott Blut hätte, wie denn das Blut haufenweis soll daraus geflossen sein etc.“

Man verdankt solchen Anlässen außer zahlreichen Kirchenbauten zwei berühmte Gemälde, welche zugleich die beiden nachdenklichsten Seiten des Wunders zur Anschauung bringen. Das eine, Raphael’s Messe von Bolsena im Vatican, stellt einen jungen Geistlichen dar, der im Jahre 1264, im Begriffe, zweifelnden Herzens das Hochamt zu feiern, die Hostie bereits in der Monstranz theilweise in Blut verwandelt findet. Das andere ist das in den letzten Zeiten so viel genannte Bild Kaulbach’s, von welchem die Gartenlaube im vergangenen Jahre eine Abbildung gebracht hat, den Ketzerrichter Peter Arbuez darstellend, welches, wie in Nr. 11 jenes Jahrganges berichtet wurde, gerade solche wegen des Hostien-Wunders verurtheilte Unschuldige darstellt.

Wie man leicht denken kann, haben unparteiische Zuschauer in den Blutwundern vielfach einen frommen Betrug gewittert, um das mit Spott und Ernst bekämpfte Dogma Innocenz des Dritten (1198–1215) von der Verwandlung des Weizengebäcks in den wirklichen Leib Christi zu stärken; man hat darauf hingewiesen, daß es ja nur eines Nadelstichs in den Finger bedurft habe, um das zu dem Wunder erforderliche Blut zu liefern. Der evangelische Pastor Hellefeld zu Wilsnack, welcher am 28. Mai 1555 die drei blutigen Hostien jener berühmten Wallfahrtskirche verbrannte und deshalb vom Kurfürst Joachim dem Zweiten des Landes verwiesen wurde, handelte in dieser Ueberzeugung. Allein, wenn wir uns auch nicht der Ansicht des Abbé Jules Morel in seinem Buche über die blutende Hostie von Vrigne-aux-Bois, daß keinem Priester ein derartiger Kirchenfrevel zuzutrauen sei, anschließen können, so müssen wir doch hervorheben, daß sich dasselbe Wunder vor den Augen zahlreicher Naturforscher wiederholt hat, wenn nicht auf Hostien, so doch auf weizenem Gebäck und auf Nahrungsmitteln verschiedener Art. Man konnte sogar in der Beschreibung jener Hostien mit „frei daran schwebenden Tröpfchen“ den Beweis finden, daß es sich hier nicht um wirkliches Blut, welches sogleich eingesogen werden würde, sondern um jene blutrothe Kügelchen bildende Gallertmasse, von welcher wir nun sprechen wollen, gehandelt haben müsse. Untersuchungen der letzten Jahre, namentlich diejenigen von O. Erdmann in Berlin (1866) und die erst im vergangenen Jahre veröffentlichten von J. Schröter in Breslau (1868–70), haben gezeigt, daß wir es hier mit einem hochinteressanten, durch die kleinsten aller bekannten Lebensformen erzeugten Fäulnißproceß, dessen Producte unter Umständen die täuschendste Aehnlichkeit mit halbgeronnenem Blute zeigen, zu thun haben.

Der erste Fall, bei welchem das Wunderblut in die Hände eines Naturverständigen gelangte, war zugleich durch eine so außergewöhnliche Entwickelung des Phänomens ausgezeichnet, daß wir etwas ausführlicher dabei verweilen wollen. Am 2. August 1819 erschienen im Hause des Bauer Pittarello zu Laguaro bei Padua auf einer Schüssel Polenta (Maisbrei), die in einem Tischkasten aufgehoben worden war, blutrothe Flecken. Er warf dieselbe weg, aber seitdem kehrte auf allen gekochten Speisen, die in dem Hause aufbewahrt wurden, dieselbe Erscheinung wieder, anfänglich jedesmal in Gestalt winziger rother Tröpfchen, die sich dann zusehends vergrößerten und endlich zu einer reichlichen blutrothen Gallert zusammenflossen. Man holte den Ortspfarrer, um den Spuk mit geweihtem Wasser zu bannen, aber die Beschwörung des Geistlichen schien dem Dinge zum Segen zu gereichen, denn bald zeigten sich die unheimlichen Wunderzeichen in mehr als hundert Häusern der Ortschaft, ja sie traten auch in den Nachbarorten auf. Es entstand eine lebhafte, durch das Gebahren der Geistlichkeit genährte Erregung des Volks, die für den armen Pittarello vielleicht einen schlimmen Ausgang genommen hätte, wenn sich die Regierung nicht sogleich in’s Mittel gelegt, denn schon bezeichnete man denselben als einen vom Himmel Gebrandmarkten, der im Theuerungsjahre 1817 sein Getreide zurückgehalten habe etc. Die Regierung beauftragte eine wissenschaftliche Commission mit der Untersuchung des Thatbestandes, welche sich bald überzeugte, daß es sich hier um eine, wie man glaubte, pilzartige Erscheinung handle, die sich durch directe Uebertragung des Blutstoffes oder durch bloße Annäherung auf allen möglichen gekochten Fleisch-, Eier- und Mehlspeisen hervorrufen ließ. Der Medico-Chirurg Sette, welcher die kleine Bosheit nicht lassen konnte, auch die Speisekammer des beschwörungslustigen Pfarrers mit der Strafe des Himmels zu inficiren, glaubte einen rothen Pilz, den er entsprechend taufte, als den Urheber des Schreckens bezeichnen zu können, allein es ist wahrscheinlich, daß er in seinem Mikroskope nur die von der Flüssigkeit gefärbten Fäden eines gewöhnlichen Schimmelpilzes vor sich gehabt hat. Schon damals erkannte man das starke Färbevermögen des Wunderblutes, und der Chemiker der Commission fand, daß man Seide mit demselben prächtig und dauerhaft roth färben könnte. Weniger erfolgreich war die Untersuchung eines mit ähnlicher Lebhaftigkeit erfolgenden Auftretens des Blutwunders in der Gerhardsmühle zu Enkirch an der Mosel (August 1822), welche ebenfalls regierungsseitig verfügt worden war, da die Bewohner des behexten Hauses vor Schrecken die Flucht ergriffen hatten. Es mag hier beiläufig daran erinnert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_228.JPG&oldid=- (Version vom 1.5.2018)