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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


äußerste Strenge in Furcht zu erhalten) genau untersucht, die Schuldigen ermittelt und bestraft werden.

Als nächste Folge des geschilderten Vorgangs zeigte sich das Eintreffen einer Executivmannschaft; am gleichen Tage fuhren die Mitglieder eines zu bildenden Kriegsgerichts in Kyritz ein und nahmen vom Rathhause Besitz. Die schuldig gehaltenen Bürger wurden verhaftet, zunächst der fünfundzwanzigjährige Kaufmann Kersten, ferner der Kämmerer Schulz, der Director Schrader und Bürgermeister Krüger. Die beiden Zuletztgenannten wurden während der Verhandlung wieder entlassen.

Während alle Thore der Stadt gesperrt wurden, fanden die der Verpflegung wegen auf dem Rathhause sich einfindenden Angehörigen der Verhafteten dieselben einzeln eingeschlossen und jeden von einem Posten mit scharf geladenem Gewehre bewacht. Sie waren davon überrascht, aber weit entfernt, eine Gefahr zu vermuthen, da ja Alle sich nicht des geringsten Unrechts bewußt waren. Man hatte ihnen bei erfolgter Verhaftung nur angedeutet, daß der von den preußischen Parteigängern verübte Raub Ursache derselben sei. Es gereichte Allen um so mehr zur Beruhigung, als sie vernahmen, daß die Stadt zur Entschädigung des französischen Lieferanten mehrere tausend Thaler zu zahlen habe; sie glaubten daher, daß man ihnen ebenfalls nur empfindliche Geldstrafen auferlegen werde. Aber es sollte dies bittere Täuschung sein! Am zweiten Tage ihrer Haft fanden die ersten Verhöre statt; es wurde eine Ordre des General Clarke verlesen, ausgestellt am 4. April 1807 und dahin lautend, ‚daß die schuldigen Magistratspersonen, sofern sie nämlich die Beraubung des französischen Commissionärs nicht pflichtmäßig erhindert, und der Kaufmann Kersten, wenn er den Raub begünstigt habe, mit dem Tode bestraft werden sollten‘.

Dieser General beobachtete also ein gleiches Verfahren, wie später sein Kaiser; wer gedenkt nicht der im gleichen Sinne gehaltenen Noten und Befehle, welche dieser vor Hinrichtung des Herzogs von Enghien und des Buchhändlers Palm erließ? Auch hier war das Urtheil gesprochen, bevor noch eine Untersuchung stattgefunden.

Doch auch nach diesem Verhöre fanden die Angehörigen der Verhafteten diese bei ihren Besuchen guten Muthes; in ihrem Unschuldsbewußtsein war die Zuversicht auf einen günstigen Ausgang nicht erschüttert. Dennoch durchliefen schon an diesem Tage böse Gerüchte die Stadt, und Soldaten des eingerückten deutschen Regiments hatten sich bedauernd über das den Angeklagten bevorstehende Schicksal gegen ihre Quartiergeber geäußert. Zwei angesehene Bürger der Stadt begaben sich zu dem Vorsitzenden der Commission, dem General Le Preux, um für ihre gefangenen Mitbürger um Gnade zu bitten. Dieser wies sie mit kalten Worten zurück, bemerkend, daß jeder sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und für seine Handlungen einzustehen habe; über die Schuld oder Unschuld Jener habe das Kriegsgericht zu entscheiden. Während die Gefangenen, jetzt in einer Zelle vereinigt, mit anwesenden Freunden plauderten, war das Urtheil über sie gesprochen; sie ahnten nicht, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne durch die Fenster das kleinen Gemaches blitzten, daß die ersten der aufgehenden am kommenden Morgen schon auf ihr Grab fallen würden. Das blutige Drama eilte rasch seinem Ende entgegen! Das Urtheil, ‚auf Befehl und im Namen des Kaisers und Königs Napoleon‘ abgefaßt durch die laut der kaiserlichen Decrete errichtete Special-Militär-Commission, beschuldigte Kersten und Schulz ‚des Einverständnisses mit den eingedrungenen Räubern, und insbesondere Schulz daß er in seiner Stellung als Vicebürgermeister nicht diejenigen Maßregeln ergriffen habe, welche dieselbe ihm in solchen Fällen zur Pflicht gemacht.‘

Demgemäß wurden Beide zum Tode durch Erschießen verurtheilt. Die Gefangenen hatten von besuchenden Freunden erfahren, daß für den kommenden Morgen Wagen und Pferde, vermuthlich zu ihrer Abführung nach Perleberg, bestellt seien; sie waren daher auch nicht überrascht, als man ihnen kurz nach Mitternacht einige Erfrischungen in ihre Zelle sandte. Unter heiteren Gesprächen genossen sie davon. Die junge Ehefrau des Kersten war am späten Abend erst vom Rathhause nach ihrer Wohnung gegangen, und obwohl sie ihren Gatten heiteren Sinnes verlassen hatte, hielt doch eine innere Unruhe und Sorge Schlaf und Müdigkeit fern. Erst lange nach Mitternacht warf sie sich angekleidet auf ihr einsames Lager. Jeden Augenblick wurde sie emporgeschreckt von dem Geräusch eines leisen Trittes. Immer wieder eilte sie an das Fenster in der Hoffnung, daß es der Erwartete sei oder Botschaft von ihm. Aus unruhigem Schlummer weckte sie gegen Morgen ein dumpfer Schall – es war die Gewehrsalve, unter welcher ihr Gatte verblutete. Kehren wir zu diesem zurück.

Als die Thurmuhr die vierte Morgenstunde verkündete, erschien vor dem Rathhause eine Abtheilung Infanterie, welcher Dragoner folgten. In den Straßen der Stadt vertheilten sich Patrouillen, welche Jeden zurücktrieben, der sein Haus zu verlassen sich anschickte, den Stillstehenden und in Gruppen Vereinigten aber auseinander zu gehen befahlen. Die Gefangenen hörten in ihrem Zimmer den tactmäßigen Schritt der Soldaten, das Geräusch der Waffen. Gleichzeitig erschien ein Sergeant, um sie herauszuführen. Fesseln hatte man ihnen auf ihre Bitte nicht angelegt. Als ihnen draußen die kühle Morgenluft entgegenwehte, faßten sie neuen Muth und unwillkürlich belebte sie Hoffnung auf baldige Befreiung; zugleich fiel ihr Blick auf die vor der Thür aufgestellte Militär-Commission. Einer der französischen Officiere las das gefällte Urtheil in französischer Sprache vor. Beide verstanden dieselbe nicht, und bestiegen, noch immer in Ungewißheit über ihr Schicksal, den inzwischen vorgefahrenen, mit vier Pferden bespannten Wagen. Vier Mann Infanterie wurden beordert, sich zu ihnen auf den Wagen zu setzen, Dragoner folgten; zu beiden Seiten und vorn marschieren die übrigen Infanteristen.

Als der Wagen den Mark passirte, erschien die Mutter des Kämmerer Schulz, um ihrem Sohne einen Mantel für die nächtliche Fahrt zu bringen. Als sie sich an den Wagen drängte, um den Mantel hinaufzureichen, verhinderte dies einer der escortirenden Dragoner mit den Worten:

‚Das ist überflüssig; sie werden ohnedies bald nicht mehr frieren.‘

Die alte Frau trat erschrocken zur Seite, und während der Wagen weiter fuhr, eilte sie bestürzt zu dem in der Nähe wohnenden Director Schrader, der ihr mit thränenerstickter Stimme zurief:

‚Ach ja, es ist wahr; sie sollen erschossen werden! Eilen Sie nach und bitten Sie für sie!‘

Obwohl ihr von Schrecken und Schmerz die Füße wie gelähmt waren, eilte Frau Schulz dem Thore zu, die nach Perleberg führende Straße einschlagend. Das Herz der armen Mutter erbebte; die Lippen bewegten sich in wortlosen Gebeten; die Kniee drohten unter ihr zusammenzubrechen; doch vorwärts um Gotteswillen, vielleicht daß die Bitte der Mutter für den Sohn die Herzen Derer erweichte, die den Schuldlosen morden wollten. Nur vorwärts! Doch halt, was war das? Zur Rechten, in ihrem Rücken, da blitzten Bajonnete in den Strahlen der aufgehenden Sonne, und jetzt eine Rauchwolke und das Knallen von Schüssen! Es war zu spät! – Der Zug hatte sich mittlerweile zum Hamburger Thore hinausbewegt und einen Büchsenschuß von diesem entfernt rechts einen Nebenweg zwischen Scheunen hindurch eingeschlagen, wo er nach kurzer Zeit hielt. Dort stand ein Peloton Infanterie, Gewehr bei Fuß. Es waren – traurig genug – Soldaten eines deutschen (!) Regiments, welche hier die Schergen machten.

Wohl mochte ein tödtlicher Schrecken die armen Verurtheilten erfassen, als von dem commandirenden Officier das Urtheil in deutscher Sprache verlesen wurde; aber sie blieben äußerlich ruhig und sahen mit echtem Mannesmuthe ihrem Schicksal entgegen. Der Führer des Wagens, ein junger Mann aus der Stadt, warf sich dem Commandanten zu Füßen und bat um Gnade für die Unschuldigen. Es war vergebens. Kersten überreichte dem jungen Manne seinen Trauring für seine Gemahlin, dann trat er zu seinem bereitstehenden Gefährten dem Peloton gegenüber. Man verband ihnen die Augen und hieß sie niederknien. Als im Osten die aufgehende Sonne den Himmel röthete, erdröhnte die Salve. Kersten, von den Kugeln in den Kopf getroffen, blieb auf der Stelle todt (man fand später auf dem Richtplatze noch einzelne Theile der zerschmetterten Hirnschale), während sein Gefährte, mit den Armen schlagend, sich stöhnend über ihm wälzte. Auf ein Zeichen des Officiers sprang ein Soldat herzu und schoß ihn durch das Herz. Beide wurden an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_232.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)