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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Robert Franz.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Nichtsdestoweniger ist ihm das Schicksal die Erfüllung mancher der glänzenden Verheißungen, die sein erstes Erscheinen in der Kunstwelt begleiteten, schuldig geblieben. Denn obschon nahezu drei Jahrzehnte seit Veröffentlichung der ersten seiner Lieder in’s Land gegangen: der Kreis Derer, denen sie nach ihrem vollen Werth vertraut geworden, ist noch immer ein verhältnißmäßig kleiner. Als klassische Schöpfungen ihres Genres von den Besseren unter den Kunstverständigen mehr und mehr anerkannt, sind sie im Allgemeinen gleichwohl noch keineswegs nach Verdienst verbreitet und gekannt; vielfältig lobend besprochen, sind sie doch nicht genügend gehört und gesungen, und mehr mit Worten als mit Tönen hat man sich von jeher ihnen gegenüber abgefunden. Fürwahr, belehrte uns nicht der alte und doch immer neue Erfahrungssatz, daß gerade dem Besten hienieden sich am schwersten und letzten das Verständniß öffnete, wir würden befremdet vor der Thatsache stehen, daß diese deutschester Art entsprungenen Tongebilde unserem Volke nicht schon fester und inniger an’s Herz gewachsen sind. Deutscher als Franz hat kein anderer Meister gesungen und gedichtet; keiner hat zarter und feinfühliger das innerste Empfinden seiner Nation belauscht, um es, seinem eigenen Wesen vermählt, in Klängen verklärt ihr wiederzugeben.[1] Ist doch auch die Kunstart, deren Pflege er sein schöpferisches Wirken fast ausschließlich gewidmet, ein unserem Heimathboden specifisch angehöriges Eigenthum: Nur in Liedern hat er – einige größere Vocalwerke ausgenommen – zu uns geredet; er entsagte den breiteren, imposanteren Formen seiner Kunst, von dem Bewußtsein geleitet, daß er gerade hier sein Bestes zu geben, daß sein tiefinnerliches Naturell den ihm eigenthümlichsten Inhalt am entsprechendsten in lyrischen Gaben auszutönen berufen sei. Innerhalb dieses engumgrenzten Rahmens legte er indeß künstlerische Kleinodien höchsten Werthes nieder und machte uns um einen Liederschatz – er veröffentlichte nicht weniger als zweihundert und einige fünfzig Gesänge – reicher, der immerdar zu den köstlichsten unserer musikalischen Besitzthümer zählen wird, ihm selbst aber neben den edeln Gestalten unserer lyrischen Meistersänger Schubert und Schumann eine bleibende Stelle sichert.

Der Erbe und Nachfolger Beider, der Dritte im sangreichen Bunde, schlug er nichtsdestoweniger selbstständige Bahnen ein. Im Gegensatz zu der überwiegenden Entwickelung der Musik nach der instrumentalen Seite hin, die sich im Tonleben der Gegenwart geltend macht, griff Franz zur großen Vocalperiode zurück und fand in dem uralten Ausgangspunkte unserer musikalischen Lyrik, dem altdeutschen Volkslied und dem aus ihm hervorgegangenen protestantischen Choral die Basis seines Schaffens. Einflüsse, welche von frühester Kindheit an auf ihn einwirkten, sowie innerste Neigung zur Beschäftigung mit alter Musik, wie sie sich noch heute durch seine Bearbeitungen älterer Tonwerke zu allgemeinem Nutz und Frommen bethätigt, leiteten ihn zuerst instinctiv auf diesen Weg. Weiterhin vertiefte und befruchtete die Bekanntschaft und steigende Vertrautheit mit Bach und

  1. Und Schubert, Schumann und Mendelssohn?
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_239.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)