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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Händel seine Richtung, während Schubert und Schumann ihm moderne Elemente zuführten und ihn mit dem künstlerischen Empfinden seiner Zeit in lebendigem Zusammenhang erhielten.

Die Wiederaufnahme jener alten lyrischen Formen vollzog sich übrigens durch Franz keineswegs unvermittelt. Bei Schubert und Schumann bereits taucht hier und dort die dem Kunststil seit langem abhanden gekommene Volksweise von neuem auf. Gleicherweise besann sich die neuere Zeit in Mendelssohn zuerst wieder auf den Choral, der einst Bach und Händel als Grund- und Eckstein ihrer erhabenen Tongebäude gedient hatte. Nur vereinzelt jedoch und wie zufällig kommt bei diesen seinen drei Vorgängern zur Erscheinung, was sich bei Franz als fundamental für seine Entwickelung darstellt. Nicht allein bestimmend wirkten Volkslied und Choral auf seinen Kunstausdruck, sie haben denselben, seiner eigenen Ueberzeugung zufolge, sogar hervorgerufen. Das Schlichtvolksthümliche einerseits, das Uebersinnliche, resignirt von der Welt Abgewandte der Empfindung andererseits, das Ethische und Maßvolle, das das alte, unserem heutigen Geschlecht fast entfallene Kunstgesetz: Ruhe in der Bewegung, als Cardinalgebot zu predigen scheint – all’ diese Züge, die seine Compositionsweise charakterisiren, führen in directer Linie auf jene Einflüsse zurück. Nicht minder die Art seines formalen Ausdrucks, wie die Construction der Cantilene, die Behandlung der Tonarten und deren Harmonie, der Strophenbau, die Vor- und Zwischenspiele, die Tonschlüsse, die polyphone Stimmführung, das Vocale des ganzen Tonsatzes, wo jede einzelne Stimme am Gesang betheiligt und ein wesentlicher Träger des Ganzen ist.

Naturgemäß mußten seine von denen der Kunstgenossen verschiedenen Ausgangspunkte auch verschiedene Ergebnisse bedingen. Der dramatischen Auffassungsweise Schubert’s, wie dem declamatorischen Pathos Schumann’s hält Franz sich gleichermaßen im Liede fern. Lyriker im engsten und eigentlichsten Sinne, setzt er das Wesen desselben mehr noch in die innerste Tiefe der Empfindung hinein, er verinnerlichte es in einem Grade, der eine Steigerung nach dieser Seite hin kaum noch offen läßt. Nennt er selbst doch seine Lieder so bezeichnend Monologe, die die Empfindung mit sich selber hält. Dem entsprechend vergegenwärtigen sie auch vorzugsweise Stimmungen, recht im Gegensatz zu Schubert, der uns eine vollendete Scene, ein Situationsbild im Liede malt. Im Vergleich zu ihm und Schumann, die Beide in der Wahl des Stoffes wie des Ausdrucks mit der Außenwelt directer in Beziehung treten, zeigt Franz, bei dessen Kunstausdruck es sich mehr um innere Processe handelt, ein mehr psychisches Colorit. Aeußerst sparsam verwendet er den tonmalerischen Apparat. Nur vereinzelt deutet er hier einmal in wogenden Sechszehnteln auf die Wellenbewegung des Meeres (Op. 9, Nr. 6), oder in weitgriffigen Accorden auf die majestätische Größe und unendliche Weite desselben hin (Op. 36, Nr. 1, Op. 39, Nr. 2 und 3); oder er läßt uns „im Walde“ lustigen Hörnerklang hören. Mehr um Wiedergabe der Gesammt- als der Einzelstimmung ist es ihm zu thun; daher fast durchgehends bei ihm die Anwendung der Strophenform. Nichtsdestoweniger bekunden scheinbar geringfügige, in Wahrheit jedoch sehr wesentliche und bedeutsame Veränderungen bei Wiederkehr der verschiedenen Strophen seinen feinen Sinn auch für Detailmalerei.

Ersichtlich gefällt er sich mehr in der Wahl gedämpfter als glänzender Farben. Blendende Lichteffecte verschmäht er, und mehr an die Dämmerung der Nacht, an den sanftern Glanz des Mond- und Sternenhimmels als an die sonnige Helle des Tages gemahnen seine Gebilde. Dem Gluthstrome der Leidenschaft gestattet die fast weibliche Zartheit und Keuschheit seines Empfindens nur seltenen Durchbruch. – Als solche Ausnahmserscheinungen erwähnen wir beispielsweise: „Es ist gekommen“, „Gewitternacht“, „Traumbild“, „Es treibt mich hin“. – Beobachtet er doch in seinem Kunstausdrucke eine merkliche Zurückhaltung. Er deutet oft nur an mit leisem geheimnisvollen Finger und überläßt uns selber die Ergänzung, wie der Dichter uns die ganze Fülle der Empfindung oft nur ahnen läßt.

An zündender Macht und Unmittelbarkeit der Wirkung stehen daher die meisten seiner Gesänge denjenigen seiner beiden Vorgänger ohne Frage hintan. Sie erwärmen mehr, als daß sie begeistern; sie ergreifen mehr, als daß sie zu überwältigen geschaffen sind. Es bedarf eines sichern, am Kunststudium geschärften Auges, um ihren Werth allsogleich voll und ganz in sich aufzunehmen. Nur an die Höchstgebildeten wenden sie sich. Er selbst sagt: „Wer hier nicht zur musikalischen Tüchtigkeit ein lebhaft sich hingebendes poetisches Auffassungsvermögen, das im Herzen und nicht im Verstande wurzelt, mitbringt, dem wird das Beste in meinen Liedern stets ein mit sieben Siegeln verschlossenes Geheimniß bleiben.“

Vor Allem können sie nur in engster Beziehung zur dichterischen Grundlage, als ein untheilbares Ganze mit dieser betrachtet, ihre richtige Würdigung erfahren. Franz’ Melodien sind nicht um ihrer selbst willen da, nicht vom Worte losgelöst offenbaren sie ihre wahrste Wirkung; wir genießen sie nur als den verklärten Ausdruck des Letztern: eben nur als „Illustrationen des dichterischen Wortes“, als „Producte der Poesie“ will sie ihr Schöpfer angesehen wissen. Ein erweitertes Leben dem Worte im Tone gewonnen zu haben, also daß dieses in jenem „zur vollen Blüthe aufbreche“, ist Alles, darauf er Anspruch macht.

Gewissenhaftere Ehen zwischen Wort und Ton als in Franz’ Liedern sind wohl nimmer geschlossen, ein vollkommeneres Gleichmaß zwischen Dicht- und Tonkunst kaum jemals angestrebt und erzielt worden. Franz vermeidet sorglich jedes Uebergewicht der einen über die andere. Er opfert den musikalischen Ausdruck als solchen nirgends dem des Wortes auf, wie häufig Schumann, der gern die poetische Intention herrschen läßt, und ebensowenig stellt er das rein Musikalische auf Kosten des Textes in den Vordergrund, wie Schubert, in dessen Lyrik sich die dichterische und die musikalische Hälfte oft so ungleich paaren, daß erstere ganz zur Folie der letztern herabsinkt.

Um so wählerischer auch verfährt er in der Auslese seiner poetischen Bundesgenossen: nur den edelsten Blüthen deutscher Dichtung vermählt er seine Töne. Bei Heine, Lenau, Eichendorff, Osterwald, Burns sucht er am liebsten seine Texte. Ihren Namen begegnen wir vorwaltend; doch treffen wir auch auf Goethe, Geibel, Waldau, Roquette u. A. Eine erste Stelle ist Heine eingeräumt. Seiner Anregung danken wir z. B. das ganze Opus 34, das Franz selbst zu seinen gelungensten Werken zählt. Seinen Liedern – oft nur „ein Hauch“, wie Goethe will, mehr halbzuerrathende Räthsel, als klar ausgesprochene Empfindungen; oft wieder trüb resignirte, oder tieferregte, schmerzdurchzitterte Stimmungen – schmiegt sich die zarte Weise des Sängers unsäglich innig und sinnig an. Auch Lenau’s stille Melancholie, Eichendorff’s träumerische Romantik berühren verwandte Saiten seines Gemüths. Seiner Neigung zum Volksthümlichen hinwiederum kommen Burns und Osterwald entgegen; darum wählt er mit Vorliebe ihre Dichtungen, wenn er nicht gleich direct zum wirklichen Volkslied greift, dessen schlichten, eigenthümlich innerlichen Ton er wie kein Anderer anzuschlagen weiß.

So geläufig ihm jegliche Form der Technik, so dankbar und wirkungsvoll er Stimme und Clavier zu behandeln versteht, er schmeichelt Sängern und Spielern nie absichtsvoll durch die äußere Brillanz seiner Aufgaben – er ehrt sie vielmehr durch die innerliche Höhe und Tiefe derselben. Wer aber möchte sich nicht gern also ehren lassen? Warum zögern doch die Dichter unter den Sängern, alle Die, denen mehr als ein karges Alltagsmaß der Empfindung zu Gebote steht, von jenen tiefsinnigen Kunstwerken Besitz zu ergreifen? Ist es nicht eines der edelsten Vorrechte des ausübenden Künstlers, verborgene Perlen an’s Licht zu fördern, Unverstandenes, nicht nach seinem Werthe Gewürdigtes einem besseren Verständnisse entgegenzuführen, die Schönheit allenthalben nicht nur erkennen, sondern auch offenbaren und den Geschmack der Menge an ihr läutern zu dürfen? Und ob im stillen Selbstgenusse, ob im Freundeskreise oder im Concertsaale, so nur die Rechten, das Rechte wählend, dazu kommen, wird und kann es diesen Liedern auch nimmer an der rechten Wirkung fehlen. Es wäre ein trauriges Zeichen der Zeit, die an solchen Kunstgebilden dauernd vorüberzugehen vermöchte – wir denken aber besser von der unseren!

Und darum wünschen wir den Franz’schen Gesängen allenthalben offene, verständnißinnige Herzen! Bedarf doch der Meister, der sie uns geschenkt, mehr denn je der erhebenden Theilnahme seines Volkes. Ein schweres Nervenleiden, das ihn schon seit Jahren heimsucht und ihn des dem Musiker unentbehrlichsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_240.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)