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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 16.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Die junge Dame hob mit unverkennbarer Genugthuung den Kopf. „Ich bin seine Vertraute; mir hat er sein ganzes Herz ausgeschüttet. Ich habe ihn auch trösten wollen, aber er mag keinen Trost; er ist zu unglücklich.“

„Das ist ja eine allerliebste Geschichte!“ brach der Oberingenieur zornig los. „Also bis zum Trösten und Herzausschütten seid Ihr schon gekommen? Ich hätte den Wilberg gar nicht für so gescheidt gehalten. Wer bei Euch Frauen erst auf das Mitleid speculirt – aber der Sache wollen wir denn doch bei Zeiten ein Ende machen. Du wirst künftig nicht wieder solche unpassende Vertraulichkeiten entgegennehmen, Melanie, und die Tröstungsgeschichte verbitte ich mir ein- für allemal. Ich werde sorgen, daß er für’s Erste nicht wieder in’s Haus kommt, und damit Punctum!“

Melanie wendete sich schmollend ab, ihr Herr Papa bewies aber keine sehr große Menschenkenntniß, wenn er mit diesem dictatorischen Punctum die Sache nun auch wirklich beendet und das Schreckbild gebannt glaubte, das in Gestalt eines dichtenden und Guitarre spielenden Schwiegersohnes urplötzlich vor ihm aufgetaucht war. Er hätte doch wissen müssen, daß Fräulein Melanie sich erst recht vornahm, den armen, so arg verkannten Wilberg zu trösten, wo und wie es nur anging, und daß Herr Wilberg sich noch denselben Abend hinsetzte, um ein Gedicht „an Melanie“ zu verfassen; dergleichen ließ sich mit einem bloßen Punctum wirklich nicht verbieten.

Der Tag neigte sich zu Ende. Im Sinken brach die Sonne noch einmal roth durch das sie umgebende Gewölk und ließ Wald und Berge aufglühen in kurzer vergänglicher Pracht. Nur wenige Minuten lang, dann sank der rothe Feuerball langsam am Horizonte nieder und mit ihm verschwanden der Glanz und die Farben, die er einen flüchtigen Moment lang der Erde geliehen.

Arthur Berkow hatte soeben das Gitter am Ausgange des Parkes geöffnet und war hinausgetreten; hier blieb er stehen, unwillkürlich gefesselt von dem Schauspiel, und schaute mit einem langen düsteren Blicke dem scheidenden Gestirne nach. Sein Antlitz trug jetzt den Ausdruck vollkommen erstrittener Ruhe, aber es war nicht jene Fassung, mit der ein Mann sich emporrafft, wenn er eine siegreich überwundene Schwäche von sich wirft, um in neue Bahnen einzulenken. Wenn man allein zurückbleibt auf dem sinkenden Schiffe, und sieht in der Ferne das Boot verschwinden, das die besten Güter und Schätze der sicheren Küste zuführt, während das Schiff selbst unaufhaltsam der Klippe entgegentreibt, an der es zerschellen muß, da hält der Mannesmuth wohl auch noch aus, aber freudig ist er nicht mehr. Wenn die letzte Hoffnung gegangen ist, dann kommt die Ruhe, die im Stande und bereit ist, Allem zu trotzen; sie lag jetzt auch auf Arthur’s Zügen; der Traum war ausgeträumt und die nächste Zukunft forderte wahrlich ein volles ganzes Erwachen.

Er schritt über die Wiese hin und schlug die Richtung ein, die nach den Wohnungen seiner Oberbeamten führte. Der breite Wassergraben, der am oberen Ende des Parkes entlang lief, durchschnitt auch hier den Wiesengrund, aber während dort eine zierliche Brücke den Uebergang bildete, mußte hier ein einfaches Brett, derb und sicher, aber so schmal, daß nur Einer es passiren konnte, denselben Dienst leisten. Arthur betrat es rasch, ohne zu bemerken, daß ein Anderer zugleich von drüben herkam, und bereits hatte er einige Schritte gethan, als er plötzlich vor Ulrich Hartmann stand, der ihn gleichfalls erst in diesem Augenblicke zu erkennen schien. Der junge Chef blieb stehen, in der Voraussetzung, daß sein Untersteiger zurückgehen und ihn hinüberlassen werde, aber es mußte doch etwas an dem „Provociren“ sein, das der Oberingenieur bemerkt haben wollte; ob Jener wirklich einen Conflict suchte, oder aber nur seiner eigenen trotzigen Natur gehorchte, genug, er blieb unbeweglich stehen und machte keine Miene zu weichen.

„Nun, Hartmann, wollen wir so stehen bleiben?“ sagte Arthur ruhig, nachdem er einige Secunden lang vergebens gewartet. „Das Brett ist zu schmal für Zwei; Einer muß zurück.“

„Muß ich der Eine sein?“ fragte Ulrich scharf.

„Ich dächte doch wohl!“

Hartmann schien eine herausfordernde Antwort auf den Lippen zu haben; aber auf einmal besann er sich. „Ja so, wir sind auf Ihrem Grund und Boden! Das hatte ich vergessen!“

Er ging zurück und ließ Berkow hinüber; als dieser jenseit des Grabens war, hielt er seinen Schritt an.

„Hartmann!“

Der Angeredete, der eben im Begriff war, das Brett zu betreten, wandte sich um.

„Ich hätte Sie in diesen Tagen rufen lassen, hätte ich nicht befürchten müssen, zu Mißdeutungen Anlaß zu geben. Da wir aber einmal hier zusammentreffen – ich möchte Sie sprechen.“

Ein Blick des Triumphes schoß über Ulrich’s Züge hin. Dann nahmen sie wieder ihren gewöhnlichen verschlossenen Ausdruck an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_253.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)