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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

warnte mich soeben den Weg allein fortzusetzen, und doch muß ich vorwärts.“

Erst bei dem Klange ihrer Stimme schien Ulrich zu begreifen, daß es wirklich Eugenie Berkow war, die da vor ihm stand, und nicht blos ein Gebilde seiner erhitzten Phantasie. Er that stürmisch einige Schritte gegen sie; aber Eugeniens Ton und Blick übten doch noch die alte Gewalt über ihn aus; es legte sich wie ein Schimmer von Ruhe und Milde über seine Züge.

„Was wollen Sie hier, gnädige Frau?“ fragte er unruhig; aber der eben noch so herrisch rauhe Ton war verändert. Er hatte fast einen Anflug von Weichheit. „Es geht heute schlimm zu bei uns; das ist nichts für Frauen, am wenigsten für Sie. Sie dürfen hier nicht bleiben.“

„Ich will zu meinem Manne!“ sagte Eugenie rasch.

„Zu – Ihrem Manne?“ wiederholte Ulrich. „So?“

Es war das erste Mal, daß die junge Frau diese Bezeichnung gebrauchte; sie hatte sonst immer nur von Herrn Berkow oder ihrem Gemahl gesprochen, und Ulrich schien zu ahnen, was in diesem einen Worte lag. In der ersten Ueberraschung hatte er wohl nicht daran gedacht, wie sie so plötzlich hierher kam und weshalb es möglicher Weise geschehe; jetzt warf er einen schnellen Blick auf ihre Reisekleidung und einen zweiten umher, wie um den Wagen oder die Begleitung zu suchen.

„Ich bin allein,“ erklärte Eugenie, die diesen Blick auffing, „und eben das verbietet mir die Fortsetzung des Weges. Ich fürchte nicht die Gefahren, wohl aber die Beleidigungen, denen ich ausgesetzt sein könnte. Sie haben mir einst Ihren Schutz und Ihre Begleitung angeboten, Hartmann, wo ich dessen nicht bedurfte; jetzt nehme ich Beides in Anspruch. Führen Sie mich sicher nach dem Hause gegenüber! Sie können es.“

Der Schichtmeister hatte bisher angstvoll bei Seite gestanden; er erwartete jeden Augenblick ein Attentat seines Sohnes gegen die Gemahlin des so sehr gehaßten jungen Chefs und war bereit, sich im Nothfalle dazwischen zu werfen. Er konnte die Ruhe und Sicherheit der jungen Frau einem Manne gegenüber nicht begreifen, den sie doch so gut wie alle Welt als den eigentlichen Anstifter des ganzen Aufruhrs kannte; als sie nun aber gar dies Verlangen an ihn stellte, sich seinem Schutze anvertrauen wollte, da verließ den alten Mann die Fassungskraft; er schaute förmlich entsetzt auf sie hin.

Aber auch Ulrich war furchtbar gereizt durch diese Zumuthung. Der flüchtige Schimmer von Milde und Nachgiebigkeit war bereits wieder verschwunden und der alte herrische Trotz zurückgekommen.

Ich soll Sie hinüberführen?“ fragte er mit dumpfer Stimme. „Und von mir verlangen Sie das, gnädige Frau, von mir?“

„Von Ihnen!“ Eugenie ließ das Auge nicht von seinem Gesichte. Sie wußte, daß darin ihre ganze Macht lag, aber hier schien sie denn doch an der Grenze derselben zu stehen. Ulrich fuhr auf wie ein Rasender.

„Nun und nimmermehr! Eher lasse ich das Haus stürmen, lasse Alles in Grund und Boden reißen, ehe ich Sie hinüberbringe. Er da drüben soll wohl Muth bekommen zum äußersten Widerstande, wenn er Sie erst an der Seite hat? Er soll wohl triumphiren, wenn er sieht, daß Sie ganz allein aus der Residenz herreisen und mitten durch die Revolte zu ihm wollen, nur um ihn nicht allein zu lassen? Aber dazu suchen Sie sich doch einen anderen Führer, und fände sich der andere,“ hier streifte ein drohender Seitenblick den Vater, „er käme nicht weit mit Ihnen; dafür sorge ich.“

„Ulrich, um Gotteswillen bezähme Dich, es ist eine Frau!“ rief der Schichtmeister, in Todesangst dazwischen tretend. Er sah in dieser Scene natürlich nur den Ausbruch einer schonungslosen Feindseligkeit, die sein Sohn schon lange gegen die ganze Berkow’sche Familie genährt, und deshalb stellte er sich wie zum Schutze gegen die junge Frau, die ihn leise, aber entschieden zurückdrängte.“

„Sie wollen mich also nicht begleiten, Hartmann?“

„Nein und zehnmal nein!“

„Nun denn, so gehe ich allein!“

Sie wandte sich nach der Richtung des Parkes hin; aber mit zwei Schritten hatte Ulrich sie erreicht und stellte sich ihr in den Weg.

„Zurück, gnädige Frau! Sie kommen nicht durch, sage ich Ihnen, am wenigsten da, wo meine Cameraden sind. Ob Frau oder nicht, das gilt ihnen jetzt gleich. Sie heißen Berkow und das genügt ihnen. Sobald Sie erkannt werden, stürzt sich Alles gegen Sie. Hinüber können Sie jetzt nicht und hinüber sollen Sie auch nicht. Sie bleiben hier!“

Es war ein drohender Befehl, den er ihr mit den letzten Worten zuschleuderte, aber Eugenie war nicht gewohnt, sich befehlen zu lassen, und die fast wahnsinnige Heftigkeit, mit der er sich bemühte, sie von Arthur fern zu halten, rief eine namenlose Angst in ihr wach, es könne schlimmer um ihn stehen, als man sie errathen ließ.

„Ich will zu meinem Manne!“ wiederholte sie mit voller Energie. „Ich will doch sehen, ob man mir mit Gewalt den Weg zu ihm versperrt. Lassen Sie Ihre Cameraden sich an einer Frau vergreifen! Geben Sie selbst das Zeichen zum Angriff, wenn Sie die Heldenthat auf sich nehmen wollen! Ich gehe!“

Und sie ging wirklich; sie eilte an ihm vorüber und betrat den Wiesenpfad. Hartmann stand da und sah ihr mit glühenden Augen nach, ohne auf die Bitten und Vorstellungen seines Vaters zu hören; er wußte besser als dieser, was die junge Frau mit diesem Wagniß beabsichtigte, wozu sie ihn damit zwingen wollte, aber er wollte diesmal dem Zwange nicht weichen. Und wenn sie zu Grunde ging an der Schwelle ihres Hauses, im Angesichte ihres Gatten, ehe er sie selbst in die Arme des Gehaßten führte, ehe – da erschien drüben eine Schaar von Bergleuten, die lärmend und tobend ihrem Führer nachzogen. Die Vordersten waren nur noch einige Hundert Schritte weit entfernt; schon fiel die einzelne Frauengestalt ihnen auf; in der nächsten Minute mußte sie erkannt werden, und er selbst hatte die Leute noch vor einer halben Stunde bis zur blinden Wuth aufgestachelt gegen Alles, was den Namen Berkow trug. Eugenie ging vorwärts, gerade der Gefahr entgegen, ohne auch nur das Gesicht zu verbergen – wie außer sich stampfte Ulrich mit dem Fuße; dann auf einmal riß er sich los vom Vater und war im nächsten Augenblick an ihrer Seite.

„Lassen Sie den Schleier herunter!“ gebot er, und dabei legte sich seine Hand mit eisernem Druck um die ihrige.

Eugenie gehorchte tiefaufathmend; jetzt war sie sicher. Sie wußte, daß er die Hand nicht wieder loslassen werde, und wenn die ganze Knappschaft der Werke jetzt gegen sie anstürmte. Mit vollem Bewußtsein war sie der Gefahr entgegen gegangen, aber auch in der vollen Ueberzeugung, daß nur diese augenscheinliche Gefahr, in die sie sich begab, ihr den versagten Schutz erzwingen konnte. Sie hatte gesiegt, aber es war auch die höchste Zeit gewesen.

Sie erreichten jetzt die Schaar, die sofort Miene machte, ihren Führer zu umringen und in die Mitte zu nehmen; aber ein kurzer, doch mit vollem Nachdruck gegebener Befehl desselben hieß sie Platz machen und wies sie gleichfalls nach den Schachten hinüber. Wie vorhin ihre Cameraden, gehorchten auch sie sofort, und Ulrich, der nicht einen Augenblick Halt gemacht hatte, zog seine Begleiterin mit sich fort, die jetzt erst sah, wie unmöglich es gewesen wäre, hier allein durchzukommen, oder auch nur mit einem anderen Schutze als dem, den sie an der Seite hatte.

Die ganzen sonst so stillen Wiesenflächen waren heute der Schauplatz eines wogenden Tumultes, obgleich der eigentliche Streit darüber bei den Schachten stattgefunden hatte. Die Bergleute zogen in hellen Haufen umher oder standen dicht geschaart bei einander – überall wildbewegte Gruppen, überall zornige Gesichter, drohende Geberden, überall Geschrei, Toben und Lärmen. Die wilde Aufregung schien nur nach einem Gegenstande zu suchen, um sich sofort in rohen Gewaltthätigkeiten Luft zu machen. Der Fußweg führte zum Glücke am Rande der Wiese entlang, wo der Tumult verhältnißmäßig schwächer war, aber auch hier war Ulrich, sobald er sich nur zeigte, sofort Gegenstand und Mittelpunkt der Aufmerksamkeit Aller. Doch in die lärmenden Rufe, mit denen man ihn überall begrüßte, mischte sich diesmal ein eigenthümliches Befremden. Ein Heer von erstaunten, mißtrauischen, argwöhnischen Blicken richtete sich auf die Frauengestalt an seiner Seite. In dem dunklen Reisemantel und hinter dem dichten Schleier erkannte freilich Niemand die Gemahlin des Chefs, und hätte Einer auch den Gang oder die Haltung erkannt, die Vermuthung wäre mit Hohnlachen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_286.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)