Seite:Die Gartenlaube (1873) 293.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Inspicienten. Dieser läutet mit der Glocke, deren schauriger Klang durch die Lüfte den zu spät Kommenden verkündet, daß sie den Rachegeistern verfallen sind, und die Probe nimmt ihren Anfang.

Das Stück, eine Novität, ist der altgriechischen Geschichte entlehnt und spielt in Athen; es hat in hohen Kreisen vielfach Recommandation gefunden, und bei Hofe ist der Wunsch laut geworden, es auf der Bühne zu sehen, Grund genug für den Regisseur, dasselbe seinen Collegen und dem Publicum gegenüber als ein höchst anziehendes und originelles Product zu schildern, dessen Verfasser ein vielversprechendes Talent bekunde, um so mehr, da er ganz eigene Vermuthungen über die Lebensstellung des Autors hegt. Seine Wirthin soll dagegen einem Collegen verrathen haben, daß er sich in seinen vier Wänden öfters vor dem Manuscript bekreuzigt habe. Genug, der erste Act beginnt, nach der Antikenschablone mit einer Scene zwischen dem Helden und dem Vertrauten. Der Held, Herr Mayer, ein schöner Mann von vierzig Jahren, der Alles noch immer sehr gut zu „arrangiren“ weiß, tritt auf. Unglücklicherweise hat er von Jugend auf seine Carrière zumeist seinem Aeußern zu danken gehabt, und da nach seiner innersten Ueberzeugung dieses noch nicht entfernt gelitten hat, so ist ihm auch in späteren Jahren nicht in den Sinn gekommen, daß zur Kunst der Darstellung noch einige andere kleine Requisiten, zum Beispiel die Fähigkeit zu lernen, erforderlich sind. Er beginnt:

„Das ist der Tag, der endlich mich zurück
Zur Heimath führt, die ich so lang entbehrte;
O fühlst du mit mir, wie ein heil’ger Strahl
Von – –“

„Na, von was denn? Schlafen Sie denn, Sendelmayer?“ knirscht der vierzigjährige Adonis.

Sendelmayer taucht mit seiner allerdings verschlafenen Physiognomie aus der Tiefe des Acheron auf und giebt mit etwas schwerer Zunge zu verstehen, daß er auf höchstes Geheiß heute nicht souffliren dürfe, da der Herr Regisseur der Ueberzeugung sei, daß die Herrschaften ihre Rollen könnten, und er als Untergebener auf die Ansicht seines Vorgesetzten schwören müsse. Ein tiefinneres Wohlbehagen leuchtet dabei aus seinen Blicken.

Es entsteht eine längere Disputation, – Mayer contra Sendelmayer! Der Herr Regisseur schlägt den Hemdkragen um; seine Amtsmiene, durch zwei Stirnfalten vermehrt, droht den Weg zur zweiten Potenz einzuschlagen, und der Kalauer „die Woche fängt gut an“ tritt zwar auf seine Zunge, aber nicht über seine Lippen – dazu ist er zu gesittet! Endlich ermannt er sich zu der Bemerkung: „Aber, lieber Mayer, Sie können doch unter keinen Umständen verlangen, daß Ihnen auf der letzten Probe noch jedes Wort soufflirt werden soll?“

„Das verlange ich auch gar nicht, alter Freund; ich kann Gott sei Dank stets meine Rollen, aber der Anschlag, der Anschlag, das ist es, was ich beanspruchen darf, den verlange ich scharf! Und dann die Verbindung, den Mittelsatz, das ist es, wo die meisten Souffleure hapern und nicht begreifen wollen, daß da der Kern der Rede liegt; ebenso mit dem Schluß, wenn mir der nicht deutlich gebracht wird, wie soll ich dann wissen, ob ich zu Ende bin oder nicht? ich bin ja im Stande, weiter zu reden! Weiter verlange ich nichts – im Uebrigen kann er schweigen!“

Der Regisseur schlägt den Hemdkragen wieder in die Höhe. Ein Lächeln umzuckt die schmalen Lippen; der Philosoph in ihm hat gesiegt, und sein physiognomischer Ausdruck wird auf die „kleine“ Amtsmiene zurückgestellt. Sendelmayer, dem Mayer mithin klar gemacht, daß er die Dreieinigkeit als Grundlage des Bestehenden betrachte, brüllt Anfang, Mitte und Schluß gleich einem losgelassenen Stier. Mayer erklärt befriedigt, daß dies das Richtige sei.

Fräulein R. tritt auf, eine interessante Blondine von distinguirten Manieren, bis auf’s Aeußerste nervös und eine vortreffliche Darstellerin sentimentaler Rollen; deshalb liebt sie der Regisseur auch in gewissem Sinne, obwohl ihm sonst ihre Manieren odiös sind. Seitdem sie nämlich vor Jahren einen leider nicht realisirten Heirathsantrag von einem damals hier lebenden Pariser gehabt, hat sie ihre Muttersprache nicht mehr lieb und cultivirt mit besonderer Neigung ein etwas zweifelhaftes Französisch, läßt auch mitunter durchblicken, daß sie die Absicht habe, sich ganz der französischen Bühne zu widmen. Der Herr Regisseur ist aber ein großer Patriot und kann das nicht leiden.

„Nur um Gotteswillen nicht souffliren!“ ruft sie sofort dem Beherrscher der Unterwelt entgegen, „es macht mich nervös, wenn ich meine Worte immer voraus höre!“

Sendelmayer dankt mit einem vergnügten Lächeln für diese Aufforderung und wirft Mayer einen Blick zu, in dem deutlich geschrieben steht: „Dagegen sind Deine Nerven gleich Schiffstauen, mit Drähten umsponnen.“

Fräulein R. spricht sehr leise, fast unverständlich, so daß die sich gegenseitig überdonnernden Mayer und Sendelmayer einen seltsamen Contrast dazu bilden. Der Regisseur fängt wieder an, unruhig zu werden, er versucht jedoch, seine Aufregung zu bemeistern, und gebraucht seinen bewährten Blitzableiter in solchen Fällen, die goldene Dose mit dem Namenszuge Serenissimi in Brillanten.

Er haucht die Brillanten an, um sie dann mit seinem Taschentuche zu putzen und im Widerscheine der Souffleurlampe tausend bunte Lichter spielen zu lassen, wobei er zum zweihundertsten Male den reellen Werth derselben in Gedanken abschätzt. Dieses kindliche Vergnügen unterhält ihn längere Zeit so angenehm, daß die Liebesscene vor seinen Augen vollständig in Nebelferne entrückt wird und nur ein ganz besonders kräftiger Accent Mayer’s ihn wieder in’s Leben zurückführt.

„Auf die Art bekomme ich ja nicht einmal das Stichwort zu hören,“ donnert Mayer; „ich muß bitten, daß laut und deutlich probirt wird.“

„Mein liebes Fräulein,“ vermittelt sogleich der vorsichtige Regisseur, „in der Sache selbst hat Herr Mayer nicht so ganz Unrecht, obwohl ich die Art und Weise, wie er sich ausdrückt, entschieden ablehnen muß.“

Fräulein R. wird natürlich von einem nervösen Zittern befallen und entgegnet in ihrem weichsten Louisen-Tone, mezza voce mit Thränentremolando: „Mon Dieu, wenn ich heute Abend die anstrengende Rolle spielen soll, so muß ich mich den Tag über schonen dürfen, oder die Vorstellung muß verschoben werden. Auch habe ich gestern so traurige Nachrichten von Paris bekommen, daß ich tout à fait dissipée bin!“

„Himmeldonnerwetter!“ kaut der Herr Regisseur in seinen schönen Schnurrbart, „sieben Jahre ist die Geschichte nun schon her, und noch ist der Sparren nicht curirt!“ Etwas lauter fügt er hinzu: „Ich bedaure von Herzen Ihre unliebsamen Beziehungen zu unserem westlichen Nachbar, aber im Interesse des Ganzen wäre es doch wünschenswerth, wenn Sie ein Bischen mehr bei der Sache blieben. Sie wissen, wir haben ein sehr kritisches Publicum, und der Herr Rath hat neulich nicht gerade günstig über Sie geschrieben.“

Das Wort zündet; die Wangen der Zartblondine glühen auf wie ein schwedisches Streichholz „utan svafvel och phosphor!“; sie vergißt plötzlich das linke Rheinufer und entpuppt sich als echte Germanin mit den Kraftworten: „Der Esel soll über mich schreiben, was er will!“

„Aber, mein geehrtes Fräulein,“ bemerkt mit der nun vollständig gesteigerten Amtsmiene der Regisseur, „ich muß ernstlich bitten, nicht in solchen Ausdrücken sich gegen einen unserer bedeutendsten Journalisten und Kritiker ergehen zu wollen!“

„Ach was, wenn er über mich schimpft, kann ich auch über ihn schimpfen!“

Von dieser überwältigenden Logik, gegen die sich auch nicht das Geringste erwidern läßt, niedergebeugt, verbirgt der Regisseur die Hälfte seines Antlitzes hinter der Dose und läßt in der Probe fortfahren. Inzwischen hat der kleine Auftritt neugierige Gruppen in alle Coulissen gelockt und eine allgemeine Zufriedenheit über Fräulein R.’s kühne Worte macht sich in Reden und Geberden bemerklich. Es zeichnen sich darin namentlich drei in dem letzten Referat des Herrn Rath stark „Verrissene“ aus. Die erste Mutter verspricht, Fräulein R. ein Sophakissen zu sticken, der Komiker proponirt scherzend einen Fackelzug und der jugendliche Liebhaber nimmt sich vor, ihr nach der Vorstellung die Droschke auszuspannen! Plötzlich stockt Mayer, jedoch nicht durch die Schuld Sendelmayer’s, der nach wie vor brüllt und schnauft, wie ein vom Dampf getriebener Blasebalg; er ist nämlich an folgende classische Stelle gekommen:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_293.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)