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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


gegenüber eingestehen mochte. Zum Glück überhob mich jedoch die Ankunft eines Kunden aller weiteren Fragen. Dieser Kunde war ein junger Mann, der, wie ich bald merkte, nur als Beauftragter seiner Schwester, der Gattin eines angesehenen Arabers, kam. Er schien ziemlich aufgeregt und mit dem Fekih unzufrieden, so daß er diesen gleich am Anfang mit einem Wortschwall von Vorwürfen überschüttete. Darüber vergaß Letzterer gänzlich meine Anwesenheit, und so wurde ich gegen seine Absicht Zeuge einer der sonderbarsten abergläubischen Handlungen, die ich jemals gesehen habe. Es war viel von einer „Puppe“ die Rede, mit welcher der Fekih versprochen hatte, irgend welche mysteriöse Dinge vorzunehmen. Aber dieses Versprechen schien er nicht gehalten zu haben. Wenigstens sagten dies die Worte des jungen Arabers:

„Du Schurke!“ so rief er, „Du Betrüger! Du hast das Geld meiner Schwester genommen und doch nicht Deine Zusage gehalten.“

Der Magier schwur bei Allem, was dem Muselmanne heilig ist, daß er es doch gethan habe. Aber der Araber wollte Näheres wissen.

„Hast Du sie vergiftet?“ frug er.

Der Fekih betheuerte, es gethan zu haben. Ich schauderte. Wer war hier vergiftet worden? Jedoch mein Schrecken sollte sich bald legen, denn die Sache war nicht so gefährlich, wie sie lautete.

Der Araber fuhr fort zu fragen: „Hast Du ihr einen Dolch in’s Herz gestoßen?“

Statt aller Antwort hob der Zauberer einen Schleier, der ein kleines Figürchen, ganz den oben geschilderten Wachsbildern gleich, bedeckte. Es stellte gleichfalls eine Frau dar, was man trotz der Plumpheit der Ausführung deutlich sah. Diese kleine Frau von Wachs war mit einem grünlichen Safte überzogen. Das sollte wahrscheinlich das Gift sein. Außerdem hatte sie eine Stecknadel in der Brust stecken, das war der in’s Herz gestoßene Dolch!

Der junge Araber beobachtete scharf die Puppe und überzeugte sich, daß sich Alles so verhielt, wie der Zauberer gesagt hatte.

„Wie lange ist sie schon in diesem Zustande?“ frug er.

„Ich habe sie,“ so lautete die Antwort, „gleich nachdem die Scheicha (Frau eines Scheichs) hier gewesen, vergiftet und zwei Tage später erdolcht.“

Der Kunde schaute sich die Sache nochmals höchst aufmerksam an. Da er aber keinen Fehler entdecken konnte, so wendete er sich unwirsch davon weg. Er ging eine Zeitlang aufgeregt im Zimmer auf und ab, wobei er die Augen trostlos gen Himmel wandte und immer vor sich murmelte:

„Es hat doch nichts geholfen!“

Endlich aber blieb er wie in einem Paroxysmus von Zorn vor dem Zauberer stehen, packte ihn bei der Schulter, schüttelte ihn derb und schrie:

„Sage mir, Schurke, warum hat es nichts geholfen?“

Der Fekih hatte Mühe, sich den Händen des Wüthenden zu entringen. Jetzt neue Betheuerungen seiner Unschuld, wenn überhaupt hier von Unschuld die Rede sein konnte. Er hatte das ganze grauenhafte Mysterium, gerade so wie es die Bezahlende befohlen, ausgeführt. Warum hatte es noch nichts geholfen? O, das war leicht zu erklären! Zum Werke der Magie gehört Zeit. Es waren ja erst acht oder vierzehn Tage verstrichen. Geduld, Geduld und wiederum Geduld (der ewige Endreim aller Zauberer) sei hier vor allen Dingen von Nöthen. Durch Hast, Ungeduld und aufgeregtes Wesen werde aber Alles verdorben. Ja, jetzt habe der junge Mann durch seinen Ausbruch von Wuth eigentlich schon das ganze Werk zunichte gemacht. Diese letzten Worte brachten einen tiefen Eindruck auf den Araber hervor. Es war ein sehr kluger Kniff von Seiten des Magiers. Denn da Zorn und Ungeduld das Werk der Magie zerstören sollten, so wurde nun der junge Mann lammfromm und bat in den flehentlichsten Ausdrücken, der Fekih möge doch das Zerstörte wieder herstellen. Das war eine Gelegenheit, Geld zu erpressen, und sie wurde auch wirklich mit Erfolg ausgebeutet. Der Araber zahlte und nahm dafür das Versprechen beim Weggehen mit, das nächste Mal werde Alles gelungen sein.

Was war das Hexenwerk, das hier gebraut wurde? Ich hatte zu viel mit Arabern verkehrt und auch über ihre abergläubischen Praktiken schon zu Mannigfaches gehört, um lange im Zweifel darüber zu bleiben. Die Wachsfigur stellte die Nebenbuhlerin und Mitgattin der Schwester des jungen Arabers dar. Vermittelst gewisser Zauberformeln behauptete der Magier die Macht zu haben, Jener alles das in Wirklichkeit (aber ohne körperliche Annäherung) zufügen zu können, was er am Bilde symbolisch ausgeführt hatte. Das Bild hatte er mit Gift überzogen; folglich mußte diejenige, deren Abbild die Wachsfigur vorstellen sollte, an Gift sterben. Er hatte es erdolcht; also mußte ihr ein Gleiches geschehen. Starb sie dennoch nicht, so geschah es nicht etwa, weil der Zauber nicht wirkte, sondern lediglich deshalb, weil die Bedrohte Gegenzauber gebrauchte. Und wer war der Hexenmeister, dessen sie sich hierzu bediente? Kein anderer, als der Fekih selbst. Dieser unparteiische Mann pflegte nämlich stets die Verfolgten davon zu benachrichtigen, was gegen sie im Werke sei, und da diese eben so abergläubisch waren, wie ihre Verfolgerinnen, so wandten sie ansehnliche Bestechungssummen auf, um den Zauber zu paralysiren. So betrog er beide Theile. Aber sein Ansehen als Magier wuchs dadurch ebensosehr, wie seine Casse sich füllte, denn jeder Theil suchte den andern an Geschenken zu überbieten. Ein schlauer Betrüger! Indeß zürnen wir nicht allzusehr mit ihm! Wäre er und sein Hexen-Hokuspokus nicht, wer weiß, wie viel Gräuelthaten dann an menschlichen Leibern, statt, wie jetzt, an Wachsfiguren, ausgeführt würden!

Es ließen sich noch viele Beispiele anführen, um die traurigen Folgen der aus der Vielweiberei entspringenden Eifersucht zu zeigen. Indeß wäre es ein Irrthum, zu glauben, daß, weil der Koran dem Muselmann gestattet, mehrere und zwar vier legitime Gattinnen und daneben so viele Sklavinnen als Kebsweiber zu besitzen, wie er versorgen kann, auch wirklich die Mehrzahl von dieser Erlaubniß Gebrauch macht.

Bei den Bauern und Beduinen, denen die Frauen das Feld bestellen und das Vieh weiden helfen, also als Arbeiterinnen nützlich sind, herrscht die Vielweiberei aus ökonomischen Gründen, bei den Pascha’s und andern Vornehmen als Luxus. Bei letzteren ist ein zahlreicher Harem das Aushängeschild ihres prahlerischen Reichthums. Aber beim Mittelstande und überhaupt den städtischen Bürgern finden wir sehr viele einweibige Ehen. In einzelnen Städten, wie zum Beispiel in Algier, besteht sogar die Gewohnheit, daß sich der Mann den Eltern der Braut gegenüber verpflichtet, seiner Gattin keine Gefährtinnen zu geben. Es war das ohne Zweifel ein Hauptgrund jener glücklichen häuslichen Verhältnisse, welche, nach dem einstimmigen Urtheil aller alten Algierer, vor 1830 in ihrer Vaterstadt herrschten. Seitdem hat die Sittenverderbniß sehr überhand genommen. Das Gute, was die Franzosen besitzen, kam nicht nach Algier, wohl aber das Schlechte, denn die Einwanderer waren meist der Auswurf. Daher ein allgemeiner Verfall der Sitten seit jener Zeit, daher die Angst und das Bangen jedes mit Töchtern gesegneten Vaters, bis er dieselben glücklich unter die Haube gebracht hat. Ist ein Mädchen zwölf Jahre alt, so hegen die Eltern keinen andern Gedanken, als es schleunigst an den Mann zu bringen. Aber diesen Wunsch dürfen sie nicht etwa äußern. Die Initiative muß, wie bei uns, vom Freier ausgehen, doch nicht direct, sondern auf Schleichwegen. Dazu dient ihm eine eigene Classe von Weibern, gewerbsmäßigen Ehevermittlerinnen, meist ehrwürdigen Matronen, die eine ganze Liste von Ehestandscandidatinnen führen. Diese verstehen es sehr gut, ihre Waare anzupreisen. Da kein Mann ein Mädchen sehen darf (seine Schwester natürlich ausgenommen) so haben die Vermittlerinnen gewonnenes Spiel, wenn sie ihre Schützlinge so schön wie möglich ausmalen. Da aber eine selbst noch so blühende Beschreibung doch nicht immer den Zweck erreicht, die Männer in den Gegenstand derselben, der ihnen ja nicht zu sehen gestattet wird, verliebt zu machen, so muß ein anderes Lockmittel herhalten, das Geld. Alle diese Mädchen sind reich, wenn man die Mütterchen hört, und auf diesen Zopf pflegen die Araber mit seltener Leichtigkeit anzubeißen. Aber ebenso leicht fügen sich die Enttäuschten nachher in ihr Schicksal. Nur Einer sagte mir einmal in einem schwachen Augenblick: „Ich wußte wohl, daß man mir ein Gänschen aufgeschwatzt hatte, aber ich glaubte, es sei wenigstens ein goldnes Gänschen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_309.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)