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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

der Beamten verstummten, als Berkow mit seiner Gemahlin eintrat, aber die Bewegung, welche sich dabei von allen Seiten kund gab, war mehr als die bloße Rücksicht für das Erscheinen des Chefs. All die ernsten, besorgten, ängstlichen Blicke hefteten sich auf sein Gesicht, als wollten sie Hoffnungen oder Befürchtungen daraus lesen. Alle drängten sich um ihn, wie um einen Mittelpunkt, an dem sie Halt und Stütze suchten; Alles athmete auf bei seinem Eintritt, als sei damit allein schon ein Theil der Gefahr beseitigt. Diese Bewegung, unwillkürlich wie sie war, zeigte Eugenien doch hinreichend, welche Stellung ihr Gatte sich bei seiner Umgebung errungen hatte und die Art, wie er in ihre Mitte trat, zeigte noch mehr, daß er sie zu behaupten wußte. Sein Antlitz, das die junge Frau noch vor wenig Augenblicken so schwer umdüstert gesehen hatte, verrieth jetzt, wo es all den besorgten Gesichtern begegnete, nur einen ruhigen Ernst, nichts weiter, und seine Haltung war von einer Sicherheit, die auch dem Zaghaftesten Muth einflößen mußte.

„Nun, meine Herren, es sieht ziemlich feindselig und bedrohlich aus da draußen. Wir werden uns auf eine Art von Belagerung, vielleicht sogar auf einen Angriff gefaßt machen müssen. Meinen Sie nicht?“

„Man will die Gefangenen heraus haben,“ sagte der Director, indem er einen Unterstützung fordernden Blick auf Schäffer warf, der jetzt gleichfalls herantrat.

„Ja wohl, Herr Berkow, und ich fürchte, wir werden uns hier nicht behaupten können gegen den Aufruhr. Die Festnahme der drei Bergleute ist im Augenblick freilich der alleinige Grund oder Vorwand dazu; wenn man ihnen den nähme –“

„So würden sie einen anderen finden,“ schnitt ihm Arthur das Wort ab, „und die verrathene Schwäche würde sie vollends entfesseln. Wir dürfen jetzt weder Schwanken noch Furcht zeigen, oder wir verlieren das Spiel noch im letzten Augenblick. Ich sah die Folgen voraus, als ich die drei Unheilstifter festnehmen ließ, aber diesem Attentat gegenüber blieb nur die vollste Strenge übrig. Die Gefangenen bleiben in Haft, bis das Militär eintrifft.“

Der Director trat zurück, und Schäffer zuckte die Achseln; sie hatten ihren jungen Chef nun nachgerade genug kennen gelernt, um zu wissen, daß es diesem Tone gegenüber keinen Widerspruch gab.

„Ich vermisse Hartmann unter der Menge,“ wandte sich Arthur an den Oberingenieur. „Er pflegt doch sonst überall der Erste zu sein, wo es Lärm und Tumult giebt; heute aber scheint er die Schaar nur zum Angriff gehetzt und sie dann allein gelassen zu haben. Er ist nirgends sichtbar.“

„Auch ich vermisse ihn schon seit einer Viertelstunde, entgegnete der Gefragte bedenklich. „Wenn er nur nicht wieder irgend ein neues Unheil anstiftet. Sie befahlen die Posten von den Maschinenhäusern zurückzuziehen, Herr Berkow.“

„Gewiß! Wir brauchen die wenigen Leute, über die wir verfügen können, nothwendiger hier im Hause, und seit die Einfahrt erzwungen wurde, sind die Schachte wie die Maschinen vollkommen sicher. Sie können nichts dagegen unternehmen, ohne ihre eigenen Cameraden da unten zu gefährden.“

„Ob das bei einem solchen Führer in Betracht kommt?“ meinte der Beamte zweifelnd.

Die Stirn Arthur’s umwölkte sich. „Ich dächte doch! Hartmann ist ein Unbändiger, ein Wütherich sogar, wenn er gereizt wird, ein Schurke ist er nicht, und das, was Sie da andeuten, wäre Schurkerei. Er hat die Maschinen zerstören wollen, um die Anfahrt zu hindern, und als er sie nicht mehr hindern konnte, weshalb glauben Sie denn, daß er sich da so unsinnig nach den Häusern stürzte? Es geschah wohl nicht, um den Vater und die Cameraden dem Verderben preiszugeben. Er wollte seine früheren Befehle rückgängig machen und erst als er sah, daß wir ihm bereits zuvorgekommen waren, brach er in der Wuth über den gescheiterten Plan gegen uns los. Die Anfahrt allein hat uns die Maschinen gerettet. Es hebt Keiner die Hand dagegen, so lange der Schichtmeister und die Uebrigen in den Schachten sind, aber dafür richtet sich der Sturm jetzt gegen das Haus. Ich werde hinausgehen und einen Versuch machen, ihn zu beschwichtigen.“

Die Beamten waren es seit den letzten Wochen gewohnt, daß ihr Chef mit der vollsten Kühnheit und ohne alle Rücksicht auf seine Person vorging, wenn es sich um ähnliche Scenen handelte, heute aber wurden doch von allen Seiten Bitten und Abmahnungen laut; sogar der Oberingenieur schloß sich diesmal den Vorstellungen an, während Schäffer, der wohl wußte, von welcher Seite ein Widerspruch allein nützen konnte, sich zu Eugenien wandte, die noch an der Seite ihres Gemahls stand.

„Lassen Sie es nicht zu, gnädige Frau! Heute nicht – heute ist es gefährlicher als all’ die Tage vorher. Die Leute sind furchtbar gereizt, und Hartmann spielt diesmal va banque gegen uns. Halten Sie den Herrn zurück!“

Die junge Frau wurde todtenbleich bei dieser Mahnung, die ihre eigenen Befürchtungen nur zu sehr bestätigte, aber sie behauptete ihre Fassung; ein Theil der Ruhe Arthur’s schien auch auf sie übergegangen zu sein.

„Mein Gatte hat mir erklärt, er müsse den Versuch machen,“ entgegnete sie fest, „und er soll nicht sagen, daß ich ihn mit Thränen und Klagen von dem zurückgehalten habe, was er für seine Pflicht hält. Lassen Sie ihn hinaus!“

Arthur hielt ihre Hand noch immer fest in der seinigen; er dankte ihr nur mit einem Blick.

„Nun, meine Herren, nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Muthe meiner Frau! Sie hat doch wohl am meisten zu zittern. Ich wiederhole es Ihnen, der Versuch muß gemacht werden! Lassen Sie die Eingangsthür öffnen.“

„Wir gehen alle mit!“ rief der Oberingenieur. „Fürchten Sie nichts, gnädige Frau! Ich weiche dem Herrn nicht von der Seite.“

Arthur wies ihn ruhig, aber entschieden zurück. „Ich danke Ihnen, aber Sie bleiben hier und die übrigen Herren gleichfalls – ich gehe allein. In solchem Falle ist höchstens der Einzelne der Menge gegenüber sicher. Ihr gesammtes Erscheinen könnte als eine Herausforderung gelten. Halten Sie sich nur bereit, mir, wenn es zum Aeußersten kommen sollte, den Rückzug in’s Haus zu decken! Leb’ wohl, Eugenie!“

Er ging, von dem Oberingenieur und einem Theil der Beamten bis zur Treppe begleitet. Es machte Keiner mehr den Versuch, ihn zurückzuhalten; sie wußten Alle, daß in seinem Erscheinen draußen die einzige Möglichkeit lag, eine Gefahr abzuwenden, gegen die noch stundenlang sich hier im Hause zu behaupten schwer, wenn nicht unmöglich erschien.

Eugenie eilte an’s Fenster. Sie sah nicht, daß die noch Anwesenden sich in ängstlicher Spannung an die übrigen Fenster drängten, hörte nicht die halblauten Bemerkungen, die der Director und Schäffer, die unmittelbar hinter ihr standen, mit einander austauschten; sie sah nur die wild empörte Menge, die, Kopf an Kopf gedrängt, das Haus umwogte und mit wüthendem Geschrei die Freilassung der Gefangenen verlangte, diese Menge, der sich ihr Gatte jetzt allein entgegenwerfen wollte und die im nächsten Augenblick vielleicht sein Leben bedrohte. Das freilich mehr zierliche als feste Eisengitter des Parks war dem Ansturm bereits gewichen; es lag zertrümmert am Boden; die kostbaren, so sorgfältig gepflegten Gartenanlagen bildeten, von Hunderten von Fußtritten zerstampft, nur noch ein wüstes Chaos von Erde, Blumenscherben und zertretenen Gesträuchen. Schon waren die Ersten bis an die Terrasse und damit bis in die unmittelbare Nähe des Hauses vorgedrungen; schon zeigten sich die Fäuste Einzelner mit Steinen bewehrt, bereit, sie gegen die Fenster zu schleudern. Geschrei, Drohungen, Rufe aller Art tönten wild durcheinander; das Toben stieg von Minute zu Minute und steigerte sich bisweilen zu einem secundenlang andauernden Geheul, das nichts Menschliches mehr zu haben schien.


(Fortsetzung folgt.)




Wieder einmal beim alten Kreuzberg.

Dreierlei Ursachen sind es, welche mir den letzten Aufenthalt der Kreuzberg’schen Menagerie in Leipzig (Michaelis 1872) immer wieder lebhaft ins Gedächtniß zurückrufen werden. Die Erwähnung der ersten gehörte zwar nicht hierher, wenn sie nicht einen Anknüpfungspunkt böte, um zur Abstellung eines rohen Unfuges eine Bitte an unsere deutschen Behörden zu richten. Sie möge daher hier einen Platz finden.

Unter den Schaubuden der vorigen Leipziger Michaelismesse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_320.JPG&oldid=- (Version vom 30.12.2022)