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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

es sich auch hier wieder, daß ein dickes Fell in der Welt sehr praktisch ist. Das zahlreiche Publicum des zweiten und dritten Platzes war weniger erregt, als das des ersten. Viele mochten die Sache gar nicht recht deutlich gesehen haben, und die es gesehen, nahmen es wohl leichter, weil der Löwe dabei gar keinen Laut hören ließ ja, es sollen naive Aeußerungen gefallen sein, wonach Manche die ganze Scene für die beginnende Vorstellung gehalten hätten.

Der junge Kreuzberg, der später eintrat, nahm die Nachricht sehr ruhig auf, und bei der danach wie gewöhnlich stattfindenden Vorstellung machte er Herrn Mustapha einige humoristische Vorwürfe über seine Eigenmächtigkeit und drohte ihm, ihn dafür bei den Ohren zu nehmen. Er nahm ihn aber nicht bei den Ohren. Man könnte reichliche Betrachtungen anstellen, was Alles hätte geschehen können, wenn Das oder Jenes anders passirt wäre. Aber Das ist sehr unfruchtbar. Die umsichtigsten Behörden befinden sich oft in der üblen Lage, nicht früher eingreifen und Vorsichtsmaßregeln treffen zu können, als bis bereits ein Unglück geschehen ist, und es wäre eine große Ungerechtigkeit, hier streng zu tadeln, wo durch das tägliche Umgehen mit der Gefahr nothwendig eine gewisse Gleichgültigkeit dagegen entstehen muß. Mir, ich gestehe es offen, dauerte die meinetwegen gefährliche Scene viel zu kurz, und was das Bild zur Anschauung bringt, ist daher nur aus der Erinnerung Dessen gegeben, was sich allerdings dem Gedächtnisse für das ganze Leben eingeprägt hat. Wie unvollkommen wir Menschen körperlich sind, fühlte ich übrigens dabei recht sehr, denn wie gern hätte ich mit dem einen Auge den Löwen, mit dem andern den Elephanten mir eingeprägt, während, da meine ganze Aufmerksamkeit sich dem Packendsten, und das war gewiß der Löwe, zuwandte, dazu auch beide Augen überflüssiger Weise gezwungen wurden. Indessen beweist diese Geschichte wieder einmal die Unrichtigkeit des Geschwätzes, daß gefangene Löwen nur ein schwächliches Abbild ihrer wilden Brüder seien und ihren Charakter gar nicht erkennen ließen.

L.




Bilder aus dem Ehestandsleben im Orient.

Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Nr. 2. Ein orientalischer Pantoffelheld. – Die provisorischen Anstandsehen der Pilgerinnen in Mekka. – Abenteuer einer Pilgerin, die zweimal denselben Mann heirathet. – Eine Liebesintrigue in Cairo. – Philemon und Baucis im Orient.

Hat eine Frau oder ein Mädchen Unehre auf ihre Familie gebracht, so muß sie, nach dem Sittengesetze dieser Völker, sterben. Die Familie selbst vollzieht das Urtheil. Dieser Grundsatz ist so tief eingewurzelt, daß sogar die Franzosenherrschaft in Algier nicht vermocht hat, ihn auszurotten. Ich erinnere mich eines Falles, wo ein junger Kabyle vor Gericht stand, weil er seine Schwester getödtet hatte. Er wurde zum Tode verurtheilt. Aber alle seine Landsleute sahen ihn wie einen Märtyrer an, weil er nach ihrer Ansicht nichts Unrechtes, sondern nur seine Pflicht gethan hatte. Zum Glück übrigens kann man die Thatsache verbürgen, daß diese Leute nur sehr schwer und nur durch die unwiderleglichsten Gründe von der Schuld einer der Ihrigen zu überzeugen sind. Deshalb trifft auch den Gatten, der seine Frau wegen angeblicher Untreue tödtet, oft die Rache von deren Familie, das heißt immer, wenn die directen Beweise der Schuld fehlen. Wie selten sind aber diese Beweise beizubringen! Man sieht, die arabische Sitte trägt ihr eigenes Correctiv in sich, welches verhindert, daß das Blutvergießen überhand nehme.

Sollte man es für möglich halten, daß bei einem Volke, welches der Frau eine so tiefe Stufe anweist, dennoch Ehen vorkommen, in denen die Gattin das Scepter oder, wie wir sagen, den Pantoffel schwingt? Schwerlich, würde ein Europäer denken. Dennoch ist es unzweifelhaft, daß der Pantoffelheld auch unter orientalischen Ehegatten gefunden wird. Es giebt, wie überall, so auch im Orient zweierlei Arten solcher Helden. Die Einen sind es aus Liebe, die Anderen aus Furcht vor häuslichem Unfrieden, vor der bösen Zunge ihrer Xanthippe. Ich kannte eine sehr hochgestellte Persönlichkeit, die vom Volksmunde allgemein als ein Opfer dieser letzterwähnten Art von Pantoffelherrschaft bezeichnet wurde. Es war Niemand Geringeres als der erste Minister eines wohlbekannten orientalischen Fürsten. Dieser Mann beherrschte seinen Souverain und dessen Land fast auf unumschränkte Weise. Er war im eigentlichsten Sinne des Wortes Despot und Tyrann, überall, aber nur nicht in seinem eigenen Hause. Dort herrschte mit eisernem Scepter die gestrenge Dame, welche er seine Gattin nannte. Diese hohe Frau erfreute sich, vermöge ihrer Geburt, einer Ausnahmsstellung, wie sie nur selten Orientalinnen zu Theil wird. Sie war nämlich eine Prinzessin, Schwester des regierenden Herrn. Es war eine ungeheure Gunst, daß sie ihre Hand einem Unterthan gereicht hatte. In einem solchen Falle, wie dem ihrigen, findet eine völlige Umkehrung des gewöhnlichen Eheverhältnisses der Orientalen statt. Alle Herrschaft in Haus und Familie, die sonst der Mann tyrannisch führt, geht unter diesen Umständen auf die Frau über. Der Mann einer Prinzessin ist ihr demüthiger Sclave; er darf keine zweite Frau, keine Sclavin als Favoritin haben; er darf seine Gattin selbst nur nach vorher eingeholter Erlaubniß besuchen. Diese läßt ihn gern seine niedrige Abkunft fühlen. In dem genannten Falle war diese Abkunft, wie so oft bei orientalischen Würdenträgern, wirklich eine sehr tiefe. Der Minister war nämlich ursprünglich einer jener weißen Sclaven, wie sie als Knaben an orientalische Höfe kommen und dort nicht selten glänzende Carrière machen. Er hatte es weiter gebracht, als die Meisten, die höchste Ehre im Staatsdienste errungen, ja er war Schwager des Fürsten geworden. Kein Mensch hätte es gewagt, auch nur die leiseste Anspielung auf seinen einstigen Sclavenstand zu machen, selbst der Fürst that es nicht. Nur in seinem eigenen Hause mußte er sich täglich als „Sclave“ anreden hören; seine Gattin hatte für ihn keine andere Bezeichnung. Sie sandte ihm ihre Befehle durch die Eunuchen und nicht selten kam es vor, daß die Ankunft eines solchen schwarzen Boten eine ganze Ministerconferenz in Verwirrung brachte. War er in der wichtigsten Berathung, so ließ sie ihn oft plötzlich rufen. Er gehorchte, aber sie, um ihre Macht fühlen zu lassen, ließ ihn Stunden lang im Vorgemach warten, um ihm später irgend etwas ganz Unwichtiges zu sagen. Und zu derselben Zeit wartet unten vielleicht eine wichtige Staatsangelegenheit auf ihn. Einmal hatte sie die Grille, daß er nicht zu Hofe gehen solle. Als er eben, umringt vom Personal seines Ministeriums, in den Wagen steigen wollte, erschien plötzlich der verhängnißvolle Eunuche, murmelte ihm einige Worte in’s Ohr und die Folge war – daß Seine Excellenz plötzlich ein Fieber bekommen hatte und deswegen heute zu Hause bleiben mußte. Seinen Untergebenen konnte dieses Verhältniß nicht verborgen bleiben; aber sie freuten sich darüber und lachten sich in’s Fäustchen, als sie sahen, wie ihr Tyrann seinen Meister gefunden hatte, der sie für alle von ihm erlittene Unbill rächte. So oft der Eunuche erschien, ging jedes Mal ein heimlicher Freudenschauer durch die Schaar der Beamten.

Solche bevorzugte Stellung, wie sie diese Dame in der Ehe einnimmt, ist freilich im Islam eine große Seltenheit. Indeß giebt es auch für minder Vornehme Gelegenheit, wenigstens zeitweise dem Gatten gegenüber die überlegene Rolle zu spielen. Hierzu bietet die Pilgerfahrt nach Mekka und Medina den Anlaß. Die Vorschrift will, daß kein erwachsenes weibliches Wesen diese Wallfahrt mache, ohne von ihrem Manne begleitet zu sein. Leider ist dies jedoch nicht immer leicht zu erfüllen. Trotz der Vielweiberei giebt es doch im Orient stets eine Menge Frauen, die keinen Schatten von einem Gatten besitzen: nicht etwa alte Jungfern (dieses bei uns so blühende Institut ist dort fast unbekannt), sondern junge Wittwen und namentlich unzählige Geschiedene. Diese Personen, besonders die Wittwen, sind oft mehr bei Casse, als die verheiratheten Frauen. Da nun, wer im Orient zu Geld kommt, gewöhnlich keinen lieberen Gedanken kennt, als den, nach Mekka zu pilgern, so geschieht es, daß gerade unter dieser Classe von Weibern sehr viel wallfahrtslustige sind. Nun sollen sie aber nicht ohne Eheherrn reisen; woher jedoch einen solchen in der Geschwindigkeit nehmen? In

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_324.JPG&oldid=- (Version vom 30.12.2022)