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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


genügt dem Faust, denn was kann er „mehr verlangen, als daß seine Gedanken erfüllt werden, sobald er sie denkt. Weiter bringt es ja Gott selbst nicht.“ Eritis sicuti Deus! Nach einer vergeblichen Warnung seines Schutzgeistes verschreibt sich dann Faust dem Teufel. Die eigenthümlichen Bedingungen des Pacts lauten: „Ich, Faust, schwöre Gott und den christlichen Glauben ab. Nach vierundzwanzig Jahren will ich Dein sein mit Leib und Seele. Ich gelobe, mich in all der Zeit nicht zu waschen noch zu kämmen, auch Haar und Nägel nicht zu verschneiden. Ich will den Ehestand meiden.“ Beide, Faust und Mephisto, kommen hierauf durch die Luft in das Hoflager des Herzogs von Parma, wo die Hochzeitsfeierlichkeiten des neuvermählten Fürstenpaares bereits seit acht Tagen anhielten. Der schon berühmte Doctor und Geisterbanner kommt sehr gelegen, um dem erschöpften Born des Festes durch Vorführung seiner Zauberkünste neue Nahrung zuzuführen. Faust citirt vor den Gästen verschiedene, namentlich alttestamentliche Gestalten in der Form von lebenden Bildern.

Wir stehen also am zweiten Theile des Goethe’schen Faust. Faust’s schöne Gestalt, dessen verbuhlte Blicke und die Anspielungen der lüsternen Bilder wirken verwirrend auf das Herz der Herzogin. Ihr Gemahl wird eifersüchtig, die Geistlichkeit bedenklich, das Volk unruhig, so daß sich Faust auf Rath seines Mephisto der gefährlichen Situation durch die Flucht entzieht.

Von ganz bedeutender Wirkung und großer Auffassung ist der letzte Act. Faust empfindet den Ueberdruß des im Ueberfluß gehabten Genusses. Der schäumende Becher hat bittere Hefe. Aus Gold ward Heckerling. Es kommt der Gedanke an das Glück seiner Kindheit, da er noch beten und glauben konnte; es kommt – die Reue. Er fragt Mephisto, der pactmäßig verpflichtet ist, ihm die Wahrheit zu sagen, ob er noch zu Gott kommen könne. Der Teufel bebt ob dieser Frage und zieht heulend von dannen. Faust betet, erlöst und gerettet, zum Bild der Mutter Gottes. Da kommt Mephistopheles zurück mit Helena. Ihrer verführerischen Schönheit kann der betende Faust nicht widerstehen. Um den Preis ihres Besitzes schwört er noch einmal Gott ab. Als er aber dieses Besitzes sich erfreuen will, zerfließt die Gestalt in Dunst und Hauch, und – der Teufel betrügt ihn noch ohnedies um die letzten zwölf Jahre, denn er hat die Nächte mit als einzelne Tage gezählt. So läuft schon um Mitternacht seine Zeit ab. Vergebens wirft sich Faust nochmals vor das Marienbild. Es nimmt die Züge der Helena an. Er kann nicht mehr beten. „Gott verschworen, ewig verloren!“ dröhnt es von oben herab. Mit wahrhaft teuflischer Lust weidet sich Mephistopheles an den Qualen des Verzweifelten, indem er ihm die Schauer der Hölle vormalt, wo die Pein der Verdammten so groß sei, daß die armen Seelen eine Leiter von Scheermessern zum Himmel hinaufsteigen würden, wenn sie noch Hoffnung hätten. Und nun klingen von oben herab in einzelnen Stundenpausen, welche die Uhr anzeigt, die richtenden Worte: „Fauste! Fauste! Accusatus es! – judicatus es – in aeternum damnatus es!“ (Du bist angeklagt – gerichtet – ewig verdammt!) Mit den gedankenreichen Worten: „Ich bin vernichtet, vernichtet! O, wenn ich vernichtet wäre!“ sinkt Faust zerschmettert zu Boden. Casperle aber, der seine Seele dem Teufel vorenthalten hat und wohlbestallter Nachtwächter geworden ist, tanzt zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther mit seiner Frau den Kehraus. –

Der Eindruck dieser Stücke auf das kleine wie das große Publicum war zu der Eingangs geschilderten Zeit eine nachhaltige. Schon nach zwei Jahren kehrte Eberle nach Jena zurück. An einer nachmaligen, vielfach ersehnten Wiederkehr hinderte ihn sein, wie es hieß, durch einen Sturz vom obern Theater erfolgter Tod. Die nächste Wirkung dieses Theaters für uns Kinder war die, daß wir uns selbst kleine Puppentheater einrichteten, freilich nur in kleinem Maßstabe aus ausgeschnittenen Pappfiguren der bekannten Neuruppiner Bilderbogen, um auf diesen Theatern die gesehenen Stücke nachzuspielen. Das liebste Stück war uns immer die Geschichte des sächsischen Prinzenraubes. Das lag unserer kindlichen Anschauung am nächsten. Darin durften namentlich die wunderbaren Worte niemals fehlen, die der Kurfürst dem mit Rache und Vergeltung drohenden Ritter Kunz spöttisch entgegnet: „Kunz, verbrenne mir die Fische im Teiche nicht!“ Sie hatten sich unserm Gedächtniß unauslöschlich eingeprägt. Nur der genossene Zauber einer lebendigen Bühne vermochte später den Eindruck etwas zu verlöschen. Als aber noch viel später der Moment kam, wo es dem Manne vergönnt war, die Gestalten der eigenen Phantasie auf der lebendigen Bühne verkörpert vor sich zu sehen, da ging der Zug der Gedanken unwillkürlich bis dahin wieder zurück, wo die Seele des Knaben die ersten Eindrücke des bretternen Zaubers empfangen hatte: – auf der Puppenbühne des Rathhauses zu Jena.

Fr. Helbig.




Bestelle Deinen letzten Willen!


Noch immer begegnen wir bei einer großen Anzahl von Menschen einem fast unbesiegbaren Widerwillen, ihr Haus in Zeiten zu bestellen und ein Testament zu errichten. Deshalb ist es gewiß nicht müßig, dieses Vorurtheil einmal näher zu beleuchten und die drei Fragen zu erörtern: wann und wie soll man sein Testament machen, und wer ist moralisch dazu verpflichtet?

Wann soll man sein Testament machen? Antwort: so bald als möglich!

Es ist keine Frage, daß Derjenige, welcher die Ueberzeugung gewonnen, daß er moralisch verpflichtet ist, ein Testament zu errichten, gewissenlos handelt, wenn er dies von Tag zu Tag, von Woche zu Woche und von Jahr zu Jahr aufschiebt. Die Strafe dafür kann eine entsetzliche sein. Denn der Mensch kann auch von Krankheiten plötzlich befallen werden, welche den Geist umnachten oder den Menschen der Sprache berauben und dadurch die Testamentserrichtung unmöglich machen.

Welche Qualen werden einen solchen Unglücklichen, so oft das Bewußtsein ihm wiederkehrt und bis es ganz geschwunden ist, foltern, wenn er dem Tode sich nähert und sich immer mehr davon überzeugt, daß er das Versäumte nicht mehr nachzuholen, daß er vielleicht das einem geliebten Verstorbenen gegebene Versprechen nicht mehr erfüllen kann und sein Vermögen Personen zufallen sieht, die seinem Herzen fremd sind, während nun Diejenigen, welche ihm lieb und werth waren, leer ausgehen!

Allein auch selbst von diesen äußersten Fällen abgesehen, ist es thöricht, mit dem Testamente so lange zu warten, bis man sich krank oder gar dem Tode nahe fühlt.

Mit jeder Krankheit des Körpers ist eine gewisse Erregung des Geistes verbunden, und je schwerer die Krankheit, desto mehr wird der Geist zur Mitleidenschaft gezogen. Selten ist ein Mensch so lebensmüde, daß er nicht, wenn er krank wird, selbst in hohem Alter, den Wunsch und die Hoffnung haben sollte, wieder gesund zu werden. Deshalb wird ihm schließlich der Entschluß, ein Testament zu errichten, in kranken Tagen noch schwerer werden als in gesunden.

Hierzu kommt aber, daß bei den meisten Krankheiten die geistige Thätigkeit minder frei ist, und deshalb wird ein Kranker, der sein Testament errichtet, viel leichter etwas übersehen und vergessen als ein gesunder, und, was keineswegs zur unterschätzen ist, die mit einer Testamentserrichtung immerhin verbundene Anstrengung und Aufregung wird nicht selten den Zustand des Kranken verschlimmern.

Ebensowenig darf man den Einfluß unterschätzen, welcher häufig von der Umgebung auf den Kranken ausgeübt wird. Der Verfasser, welchen sein Beruf als Jurist viel an Krankenbetten führt, hat häufig genug, namentlich bei der ländlichen Bevölkerung wahrnehmen müssen, wie schonungs- und rücksichtslos die Anwesenden sich bemühten, den Schwächezustand des Kranken in ihrem Interesse und zur Benachtheiligung Anderer auszubeuten. Ja, einmal ist es demselben sogar vorgekommen, daß Verwandte eiligst nach einer Gerichtsdeputation zur Aufnahme eines Testaments schickten, während der Kranke gar nicht den Wunsch hatte, eine letztwillige Verfügung zu treffen.

In manchen Staaten besteht die zweckmäßige Einrichtung, daß bei der Aufnahme des letzten Willens außer der Gerichtsdeputation

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_342.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)