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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

besondere Sorgfalt verwendet worden, war das in reiche breite Zöpfe um Kopf und Stirn geschlungene Haar – es war wohl verzeihlich, wenn die Trägerin sich etwas darauf zu gute that, denn die Flechten desselben mochten sowohl in ihrem blauschwarzen Glanze, als in der Fülle und Weichheit nicht viele ihres Gleichen haben.

Sie war eben mit ihrer Arbeit fertig geworden und wollte sie an der andern Seite des Hauses fortsetzen, als sie an der Ecke ankam und den gegenüber sitzenden Burschen erblickte – eine leichte Bewegung flog anmuthig über das holde Gesicht und machte den herben Zug um den Mund auf einen Augenblick völlig verschwinden. Sie lehnte sich mit dem Arm an den Pfosten, der die vorspringende Laube trug, und sah mit unverkennbarem Wohlgefallen dem Burschen zu, der eben wieder seine Beschäftigung aufnahm. Sie hatte es auf den halbgeöffneten kirschroten Lippen sitzen, ihm einen neckenden Morgengruß zuzurufen, aber sie hielt ihn zurück, weil aus der Hintertüre des Hauses die Ehhalten des Hofes heraustraten, eine ansehnliche Schaar von Burschen und Dirnen, die nach einander die Sensen von der Tennenwand, wo sie an Pflöcken aufgehangen waren, herunter holten und unter Zuruf, Gelächter und beginnendem Gesange an den Linden hin den Fußpfad zur Hügelbreite einschlugen, wo ein kaum absehbares Roggenfeld mit hohen goldbraunen Aehren schnittreif der Ernte harrte.

Der Bursche schien weder das Kommen noch das Gehen der Schnitter zu beachten; sein Sitz war wohl auch zu weit entfernt, als daß er deren Gespräche hätte vernehmen können; das Mädchen dagegen ging aus der Gräd näher zu ihnen hin, weniger um zu hören, was sie schwatzten und sangen, als weil sie in der beobachtenden Stellung, die sie eingenommen, nicht gesehen sein wollte.

Eine der Mägde brach, als sie, ihre Sense herunterholend, gegen das Hausdach emporsah, in lautes Gelächter aus und deutete nach dem First, auf welchem sich ein eigenthümliches Spielwerk, vom frischen Ostwinde gefaßt schnurrend um sich selber drehte – es war eine stattliche Windfahne, die ihren Dienst trefflich verrichtete, aber um sie her waren kleine, vollkommen kenntliche Figuren angebracht, ein fliehender Hirsch, ein ihn verfolgender Hund und ein berittener Jäger, die wirklich hinter einander her zu treiben schienen und dadurch einen lustigen Eindruck hervorbrachten. „Da schaut hinauf,“ rief die Dirne, „was auf dem Lindhamerhof über Nacht für ein g’spaßiges Windfahne gewachsen ist! Wie muß denn das hinauf ’kommen sein?“

„Das ist eine Frag’, so dumm wie Du selber!“ erwiderte mürrisch ein alter Knecht, indem er kaum einen halben Seitenblick nach der Windfahne machte. „Von selber ist’s nit hinaufgeflogen; es muß es Einer hinaufgesteckt haben, und wer das ist, kann man auch leicht errathen – man weiß ja, wer solche Narreteien treibt auf dem Lindhamerhof …“

„Aha, bist wieder einmal mit’n linken Fuß aus’m Bett gestiegen, Brunnensepp!“ sagte die Magd lachend. „Hätt’st ein Apotheker werden sollen, wenn Du jedes Wort auf die Goldwag’ legen willst, und wenn ich dumm bin, so bist Du auch noch kein Doctor worden und Deine Grantigkeit ist doch nichts Anderes, als der Zorn, daß Dir nichts Solches einfallt … Der Wolferl freilich, der weiß jeden Tag was Anderes – erst vorgestern hat er die neuen geschnitzten Staarenhäuseln aufgestellt, von denen eins wie ein Geschloß, das andere wie eine Almhütten ausschaut, und heut hat er schon wieder was Neu’s und was Lustiges ausg’studirt!“

„Das ist schon eine Kunst auch!“ erwiderte der Knecht grämlich. „Wenn Einer den Herrn spielen und feiern kann, wann er mag, dem kann leicht solche Narretei einfallen – es thät’ ihm schon vergehn, wenn er den ganzen Tag arbeiten müßt’, wie unser Einer. Natürlich auch, warum sollte denn nit so sein – ist ja alleweil so der Brauch gewesen, daß sich Zehne schinden müssen, damit Einer faullenzen kann.“ Er brach in ein erbittertes Gelächter aus und wußte seinem Unmuthe nur durch ein Schnaderhüpfl Luft zu machen, das er mit rauhem höhnenden Tone vor sich hin sang. Es lautete:

„Sagt zum Zeiserl der Stier:
Mein, Du singst leicht dahi’,
Du darfst nix was fludern (als flattern),
Aber zieg’n (ziehen) muß i!“

Die Magd war aber wegen des Trutzgesangs nicht verlegen und sang im Fortschreiten rasch hinwieder.

„Und zum Stier sagt das Zeiserl:
‚Mach’ keine Faxen!
Wenn Dich ’s Ziegen (Ziehen) verdrießt,
Laß Dir Flügel wachsen!“

Die Anderen lachten laut auf, weil dem Griesgram so heimgegeben worden, und noch von fern, als der Zug schon hinter den Linden verschwunden war, schallten die fröhlichen Stimmen herüber.

Das Mädchen war wieder an ihren vorigen Platz zurückgekehrt und verweilte dort wie unschlüssig, ob sie in’s Haus zurückkehren oder dem ganz in seiner Arbeit vertieften Burschen ihre Anwesenheit bemerklich machen sollte. Zu Ersterem trieb sie ein leiser Verdruß, daß er ihrer gar nicht gewahr wurde oder sich so anstellte, denn sie hatte sich zuletzt nicht mehr gescheut, so laut zu werden, daß er sie wohl hören mußte – für das Letztere sprach eine Regung in ihr, über die sie sich selbst nicht klar war, ein Wunsch, ihn zu sehen und zu sprechen, denn es war ihr, als habe sie ihm Vieles und höchst Wichtiges zu sagen. Diese Erwägungen gewannen endlich die Oberhand; sie blieb an dem Geländer der Gräd stehen, lehnte sich mit gebeugten Armen darauf und rief dem Burschen mit lauter und doch nicht ganz unbeklommener Stimme einen Guten Morgen zu.

„Auch so viel!“ erwiderte er flüchtig aufblickend und in gleichgültigem Tone.

„Bist schon so früh aus den Federn, Wolf?“ fragte sie wie zuvor, und in gleicher Weise entgegnete er:

„Wie Du siehst – hältst mich für eine Schlafhauben, Th’res?“

„Mein, wer Dich für eine Schlafhauben kauft, der giebt sein Geld umsonst aus,“ sagte sie lachend; „ich wunder’ mich nur das Meist, daß Du noch da bist!“

„Wo sollt’ ich sonst sein?“

„Wie Du fragst! Ist ja schon Alles draußen im Feld beim Kornschneiden …“

„Aha, blast der Wind daher?“ rief Wolf, indem er sein Messer zuklappte, das Holz, an dem er geschnitzt, in die Tasche steckte und zu dem Mädchen mit einem Blicke emporsah, in dem sich Stolz und Gleichgültigkeit die Wage hielten. „Du meinst, wo die andern Knecht’ sind, da gehöre ich auch hin!“

„Wie Du so daher reden kannst wie ein Mann ohne Kopf!“ entgegnete sie rasch. „Aber Du bist der Sohn vom Haus, der Aelteste, der einmal der Herr wird auf dem Lindhamerhofe, und der sollt’ überall dabei und vorn dran sein …“

„Ho,“ rief er lustig lachend und richtete sich in seiner ganzen Höhe auf, „das Kornschneiden bringen sie auch ohne mich zuweg’.“

„Aber sie sollten nicht,“ eiferte Th’res. „Die Leut’ verdenken Dir’s und reden drüber.“

„Laß sie reden und denken, was sie mögen!“ sagte er kaltblütig und trat vor das Geländer, daß sie übergebeugt zu ihm heruntersah. „Was frag ich nach dem Gered’ von all den Leuten, die sich um ungelegte Eier kümmern und blasen, was sie nicht brennt!“

Th’res errötete bis unter die Zöpfe über der Stirn. Wolf that, als ob er es nicht gewahrte, und fuhr noch anzüglicher fort: „Wenn Jeder vor seiner Thür kehren thät’, wär's bald überall sauber, mein’ ich. Warum soll ich mir einreden lassen? Ich red’ auch Niemandem was ein – ich hab’ was Besseres zu thun.“

Unwillkürlich sah das Mädchen nach dem First empor, wo, von einem raschen Windstoße gefaßt, Hirsch, Hund und Jäger im Kreise um die Windfahne schnurrten – so flüchtig der Blick, war er Wolf’s scharfem Auge doch nicht entgangen, und nun war die Reihe der anzeigenden Zornröte an ihm. „Ho,“ rief er ärgerlich, „schau’ nur hinauf nach der Windfahne und den Staarenhäuseln … was frag’ ich danach! Ich weiß so gut wie Alle, daß das nichts ist als eine bloße Baßlerei, die Niemand nichts nutzt; aber sie schad’t auch keinem Menschen, und wem’s zuwider ist, der soll nicht hinaufschauen oder was Gescheiteres machen.“

Er hätte noch mehr gesagt; aber der Luftzug, der die Windfahne gedreht hatte, machte auch die Saiten der Windharfe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_351.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)