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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


die sich anstellt, als wenn sie besser wär’ als unser Eins … aber mir wird sie nicht zu schlau, die Feinspinnerin; ich weiß doch, auf was sie spitzt … Der Lindhamerhof sticht ihr in die Augen, so gut wie der Kathrin’ drunten im Straßwirthshaus, und wenn Du sagen könntest, ich krieg’ einmal den Lindhamerhof, beißt die eine an so gut wie die andere …“

„Ja, das ist halt einmal so,“ sagte Dickl halblaut, „den Hof kriegt der Wolf, weil er der Aeltere ist … da laßt sich nichts machen …“

„Wer weiß – noch hat der Letzte lang nit geschoben!“ erwiderte Brunnensepp. „Der Bauer ist bis auf seine Augen nach ganz wohl auf; der denkt vor ein paar Jahrl’n noch nit an’s Uebergeben und wer weiß, was in der Zeit noch Alles geschehen kann! Die gar hitzigen Renner, die stolpern zumeist und schon gar Mancher ist über einen großen Berg gefahren und hat umgeworfen über einem kleinwinzigen Steinl’, das ihm zur rechten Zeit unter’s Rad geschoben worden ist …“

Er brach ab, denn sie waren in der Nähe des Kornfeldes angekommen, eben zur rechten Zeit, daß Dickl über die Eintheilung der Arbeit Anordnung treffen und dem Ausbruche von Zwistigkeiten vorbeugen konnte. Die Arbeiter gewahrten es mit Vergnügen, nickten einander zu und es fehlte nicht an geflüsterten Bemerkungen, daß der Dickl ein ganzer und richtiger Bauer und wie sehr es schade sei, daß ein so großes und schönes Gut nicht in die Hände eines so trefflichen Landmannes und Wirthschafters kommen solle.

Vor dem Hofe war es indessen völlig still und einsam geworden – nur vom Hausdach herunter schrieen und schwirrten einige Staare, die vor der Wanderung noch einmal die Stätte, an der sie gebrütet hatten, heimsuchten und sich über die mit ihren Häusern indeß vorgegangene Verschönerung höchlich verwunderten. Der große Haushund war aus seiner Hütte gekommen und hatte sich auf die Gräd gelagert: er schien zu wissen, daß das Haus verlassen war und nun doppelt seiner Wachsamkeit bedurfte.

Es währte auch nicht sehr lange, so bekam er Gelegenheit, dieselbe zu bewähren. Auf dem Fußwege, der über die vordere Anhöhe heraufführte, kam ein Mann in städtischer Tracht nicht ohne sichtbare Anstrengung herauf gestiegen: seine Beleibtheit machte ihm den Weg ebenso beschwerlich, als die mit der Sonne steigende Hitze; er hatte den Rock ausgezogen und über die Schulter geworfen; aber dessen ungeachtet blieb er bei jedem kleinen Absatze stehn, um aufzuathmen und sich den Schweiß vom kahlen Haupte zu wischen. Endlich erreichte er die Hochfläche und schien sich mit Behagen das gefällige Bild des stattlichen Bauernhauses betrachten zu wollen, als ihn das Auffahren des Hundes, der ihn mit wüthendem Gebell kunstgerecht stellte und keinen Schritt weiter thun ließ, unangenehm unterbrach. Zum Glück währte die Angst nicht lange, denn in der Hausthür erschien Th’res, eine Pfanne in der Hand, in der sie emsig umrührte. „Kusch, Donau, hinein!“ rief sie dem Hunde zu, der auch beim ersten Laut ihrer Stimme gehorsam umkehrte, mit ein paar Sätzen auf die Gräd sprang und sich zu ihren Füßen auf die Schwelle legte. „Komm’ der Herr nur herauf, wenn er zu uns will!“ fuhr sie dann lachend fort, „der Hund thut ihm nichts; er ist so fromm wie ein Lampel!“

„Na, na, die Gattung von Lampeln kann mir gestohlen werden!“ erwiderte der Ankömmling, indem er sich dem Hause bedächtig näherte und sich dann mit sichtbarem Behagen auf einer der Bänke niedersetzte. Th’res ließ das Wandtischchen daneben herab, auf daß er sich tiefaufschnaubend stützte. „Nur gut, daß die Jungfer gleich in der Nähe war, sonst hätte mir das Lampel seine Zähn’ zu kosten gegeben. Herrgott, ist das eine Hitze schon in aller Früh’ und dazu der Weg! Wenn ich gewußt hätte, daß es so hoch und steil herauf geht auf Lindham, hätt’ ich mich um einen Wagen umgesehn!“

„Warum nit gar!“ rief Th’res lustig. „Es ist ja gar nit hoch und nit steil – der Herr,“ setzte sie mit einem Blick auf seinen Körperumfang hinzu, „der Herr hätt’ nur nit so schwer auflegen sollen.“

„So ist es recht,“ rief der Dicke lachend, „da heißt es wieder: wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Herrgott, mir klebt die Zunge am Gaumen – was gäb’ ich darum, wenn ich jetzt einen Krug frisches Bier haben könnte!“

„Damit kann ich dem Herrn freilich nit aufwarten,“ entgegnete das Mädchen, „aber eine Schalen Kaffee, die kann er haben.“

„Kaffee?“ sagte der Fremde und wendete sich verwundert nach ihr um. „Auf dem Lindhamerhof? Der Kaffee wächst wohl da hinterm Zaun im Wurzgarten und schreibt sich mit seinem rechten Namen ‚gelbe Rüben‘?“

„Warum nit gar!“ rief Th’res wieder. „Die gelben Rüben kommen nit auf uns, die kaufen uns all die Stadtleut’ ab. Der Bauer ist alleweil übelauf; da hat ihm der Doctor den Kaffee verschrieben zum Frühstück – wenn er dem Lindhamer von Lindham gut genug ist, wird ihn der Herr wohl auch trinken können!“

„Na, nehm’ es die Jungfer nur nicht übel!“ antwortete der Fremde, „ich will ja kein Wörtel mehr sagen. Aber, wie ist mir denn eigentlich?“ fuhr er fort und kehrte sich vollends herum, um sie noch genauer betrachten zu können, „hab’ ich doch nie etwas davon gehört, daß der Lindhamer eine so saubere und gescheidte Tochter hat.“

„Die hat er auch nit; ich bin seine Tochter nit …“

„Nicht? Also wahrscheinlich ein Bäschen oder sonst eine Verwandte, die den Haushalt führt?“

„Den Haushalt führ’ ich wohl, aber ein Basel oder verwandt bin ich auch nit –“

„Also ist die Jungfer eine Magd?“ fragte der neugierige Mann in immer steigender Verwunderung.

„Nein, ich bin keine Magd,“ sagte sie und sah ihn auch ihrerseits mit Verwunderung an, daß er das Verhältniß nicht zu begreifen schien. „Ich bin die Th’res,“ setzte sie hinzu und erröthete über und über, denn sie fühlte sogleich, daß sie damit nichts aufgeklärt und das Staunen des Fremden erst gerechtfertigt habe. „Ich gehör’ halt ins Haus,“ fuhr sie mit niedergeschlagenen Blicken und flammenrothen Wangen fort, „weil ich darin aufgewachsen bin. … Die Bäurin selig hat mich aufgenommen, wie ich noch ein ganz keins Dirnl’ gewesen bin – aber als was sie mich aufgenommen hat, das hat sie niemals gesagt und es hat mich auch noch kein Mensch darum gefragt …“

Der dicke Fremde sah sie noch immer an, aber die Spottlust, die ihn zuvor angewandelt hatte, war ihm vergangen: die Befangenheit und Verwirrung, in welche seine Fragen sie versetzten, hatten einen eigenen Reiz, etwas so unsäglich Rührendes an sich, daß er nicht gleich wußte, welchen von den Gedanken und Empfindungen, die sich ihm aufdrängten, er Raum geben solle.

Er hatte indessen nicht lange Zeit, sich zu besinnen, denn aus dem Hausfletz über die Stiege herunter wurde ein starker, etwas schleifender Schritt und eine rufende Männerstimme hörbar.

„Der Bauer kommt; der Herr wird doch zu ihm wollen?“ rief Th’res aufathmend und wandte sich, froh der unangenehmen Lage enthoben zu sein, dem Hausfletz zu, den Bauer zu begrüßen. Der Lindhamer, eine hohe und kräftige Gestalt, kam mit der unbefangenen Sicherheit heran, welche aus dem Bewußtsein eines reichen Besitzes und voller uneingeschränkter Herrschaft entspringt und bei minder verständigen Naturen leicht in Geldstolz und Bauerntrutz ausartet. Das war bei dem Alten nicht der Fall, aber sein Selbstgefühl war doch so entwickelt, daß er seinen Willen als das unbedingte Gesetz seines Hauses ansah und Widerspruch und gar Ungehorsam durchaus nicht ertrug, das war auch in den starken, aber nicht unangenehmen Zügen des Gesichts und der ganzen Haltung ausgeprägt; nur die Schwäche seiner Augen that der letztern Eintrag und nöthigte ihn, so sehr er es zu verbergen suchte, etwas behutsamer aufzutreten, als es sonst wohl in seiner Art gewesen wäre. Er erwiderte den Gruß des Mädchens nur mit einem Kopfnicken und schien auch die Meldung, daß schon ein fremder Herr gekommen sei, der ihn zu sprechen wünsche, keiner Beachtung werth zu finden; er nickte dem Gaste ebenfalls zu, lüftete aber zu besonderer Höflichkeit ein klein wenig die schwarze Zipfelmütze, die seinen fast kahlen Scheitel deckte, und setzte sich, wie er gewohnt war, an das Tischchen, dem Fremden gegenüber.

„Wie steht’s?“ sagte er dann, um zuerst dasjenige abzuthun,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_368.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)