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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


was ihm das Wichtigste war. „Wie schaut’s aus in Haus und Hof? Sind die Leut’ alle draußen im Korn?“

„Fehlt sich nichts,“ erwiderte Th’res, „es ist Alles wohlauf im Haus und im Stall, und auf’s Feld hab’ ich den Kornschneidern gerade das Frühstück hinausgeschickt …“

Der Bauer nickte zufrieden. „Wo sind die Buben?“ fragte er dann. „Sind sie auch im Feld?“

Th’res zögerte einen Augenblick. Die Antwort, die sie geben mußte, war ihr unerwünscht; dennoch kam ihr kein Gedanke, dieselbe anders einzurichten, als es der vollen Wahrheit entsprach. „Ich glaube wohl, der Dickel ist draußen …“

„Ja, ja,“ sagte der Bauer vor sich hin und nickte wieder, wie Einer; der es ganz selbstverständlich findet, daß Alles gerade so kommt und eintrifft, wie er es vorher gedacht und gesagt … „der ist draußen – aber der Wolf nit?“

„Ich weiß nit gewiß,“ erwiderte Th’res stockend, „er wird wohl noch droben in seiner Kammer sein …“

„Hab’ mir’s im Voraus nit anders eingebild’t,“ sagte er wieder, „aber es ist gut derweil; wir reden schon weiter davon … jetzt bring’ mir das Frühstück, und für den Herrn auch, wenn er mit dem vorlieb nehmen will, was man ihm in einem Bauernhaus vorsetzen kann! … Was verschafft mir denn schon in aller Früh’ einen solchen Besuch?“ fuhr er dann fort. „Meine Augen lassen wohl ein Bissel aus, aber ich mein’, ich hab’ nit die Ehr’, den Herrn zu kennen …“

„Nicht?“ rief der Gast, indem er sich über den Kaffee hermachte, den die Th’res in einer Weise bereitet und geordnet brachte, die jeder städtischen Hausfrau Ehre gemacht hätte. „Mich kennt doch die ganze Welt. Wißt Ihr’s denn nicht mehr, Lindhamer, wir haben uns ja erst im vorigen Jahre getroffen, drüben in Au, wie der große Bauernhof versteigert worden ist. Ich bin ja der Herr Unterberger, der Agent …“

„So so, Agent!“ sagte der Bauer, um ein Merkliches abgekühlt. „Das heißt wohl so viel wie Unterhändler … Und Unterberger heißt der Herr? Dann ist der Herr wohl gar der Selbige, der damals in Au den großen Wald gekauft und niedergeschlagen hat bei Butzen und Stingel …“

„Freilich, freilich!“ rief der Agent vergnügt, „sagte ich’s nicht, daß Ihr mich kennen müßt? Ja, das war ich; ich habe den Wald abgetrieben, habe ein gutes Geschäft damit gemacht, habe das Vierfache von dem herausgeschlagen, was es mich gekostet hat.“

„Ja, wenn’s so ist, kenn’ ich den Herrn recht wohl,“ sagte der Bauer, indem er die Mütze von einem Ohr zum andern schob, „aber dann muß ich erst recht fragen, was der Herr bei mir will; bei mir ist doch kein Wald zu verhandeln …“

„Wer weiß, wer weiß!“ lachte Unterberger. „Wenn auch vielleicht kein Wald, doch ein ganzes Gut … Wie ist’s, Lindhamer – ich halt’ nicht lang’ hinter’m Berg – – ich weiß Jemand, der ein solches Besitzthum sucht … Was kostet der Lindhamerhof?“

Der alte Bauer gerieth bei diesen Worten in heftige Bewegung; er wollte aufspringen und mit zornigen Worten erwidern, aber er überwand die Aufwallung und begnügte sich, die Schale, die er eben geleert hatte, etwas unsanft auf den Tisch zu stoßen und die abgenommene Mütze in den Händen zu ballen. „Der Herr hat schon so früh den weiten Weg da herauf gemacht,“ sagte er dann mit unwilligem Lachen, „also muß ich wohl glauben, daß es ihm Ernst ist, sonst hätt’ ich glauben müssen, der Herr hat zu tief in Krug geschaut. Also kurz und gut: ich will auch nit lang hinter’m Berg hatten – gehe der Herr wieder hin, wo er her ’kommen ist. Der Lindhamerhof ist nit feil.“

„Na na, nur nicht gar so kurz angebunden, nur nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten!“ rief der Händler und stand auf, um sich dem Bauer zu nähern, „eine Frag’ und ein Gebot ist überall erlaubt, und das Gebot anhören, bringt Euch keinen Schaden … also das erste und letzte Wort – der Hof ist, wenn man ihn auf’s Höchste anschlagt, seine Fünfzigtausend werth … gehen wir hinunter zum Landgericht, und wenn’s heute noch richtig gemacht wird, leg’ ich die Sechzig baar auf den Tisch …“

„Kreuzteufel!“ platzte der Lindhamer, der sich nicht mehr mäßigen konnte, los und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Geschirr tanzte und klirrte, „jetzt kommt’s mir aber zu grob. Und wenn mir der Herr Hunderttausend giebt, ich hab’s ihm schon gesagt: der Lindhamerhof ist nicht feil. Wenn er aber feil wär’, so würd’ ich ihn dem Herrn nit geben. Möchte wohl wieder so ein gutes Geschäft machen, wie selbiges Mal in Au? Hat wohl davon gehört, daß beim Lindhamerhof ein Waldbestand ist, aus dem sich wieder das Vierfache herausschlagen ließ? Da hat sich der Herr verrechnet und muß schon den Hinweg für den Herweg annehmen … ich weiß nit, warum das Gericht und die Regierung solche Geschäft’ leid’t, aber das weiß ich gewiß, den Lindhamerhof soll kein solcher Waldmörder beschändeln.“

„Was ereifert Ihr Euch?“ unterbrach ihn der Händler, nun ebenfalls gereizt. „Wenn Ihr nicht wollt, braucht Ihr’s ja nur zu sagen. Ihr werdet nicht ewig auf dem Hof bleiben, und die nach Euch kommen, sind vielleicht gescheidter oder haben das Geld nothwendiger als Ihr; unsereins kann warten …“

„Laß sich der Herr nur nit die Zeit lang werden mit dem Warten!“ lachte der Bauer höhnisch. „Eine Weil’ halt’ der alte Lindhamer schon noch aus, und meine Buben sind gescheidt genug und haben’s nit nöthig, Gott sei Dank, daß sie sich dadurch helfen müßten, daß sie den Hof ruiniren …“

Der Händler hatte Hut und Stock ergriffen und schritt die Stufen der Gräd hinunter. „Ich will’s wünschen – Adios, Lindhamer …“ sagte er achselzuckend und mit spöttischer Miene.

„Halt, Herr …“ rief der Bauer und vertrat ihm den Weg. „Was soll das heißen? Warum lacht der Herr so eigen und zuckt mit den Achseln, wenn er von meinen Buben red’t? Was meint er damit? Weiß der Herr was Unrechtes von ihnen?“

„Was das heißen soll?“ erwiderte der Fremde, indem er innehaltend sich dem Bauer mit noch höhnischerer Miene zuwendete. „Glaubt Ihr etwa, daß ich mich vor Euch fürchte und für Das, was ich sage, nicht einstehe? Als ob es ein Geheimniß wäre! Als ob es nicht bekannt wäre auf sieben Stunden im Umkreis, daß Euer ältester Sohn, der einmal den Hof bekommt, die Bauernarbeit nicht mag und sich nicht viel darum kümmert, daß er lauter anderes Zeug treibt, das nicht Geld einbringt, sondern Geld kostet, und daß er lustig in den Tag hinein lebt! Der wird Euch den Geldsack schon leichter machen – er ist ja auf jedem Scheibenstand und jeder Kugelstatt bekannt, und wo unser Herrgott den Arm heraushängt, da schreien sie ihn an, wenn er vorbeigeht, und sagen: jetzt wird’s erst lustig – jetzt kommt der Loder von Lindham …“

„Was … sagt der Herr?“ stammelte der Bauer, in den das Wort wie ein Blitzstrahl einschlug, daß er, um nicht umzusinken, sich auf das Wandtischchen stützen mußte, das unter ihm zitterte. „Wie – heißt – man – meinen Buben?“

„Na, Ihr werdet das Wort doch verstehen!“ erwiderte Unterberger. „So viel ich weiß, ist ein Loder ein Mensch, der zu nichts Richtigem zu gebrauchen ist – so, was man in der Stadt einen Taugenichts nennt, und wenn Ihr mir nicht glaubt, so fragt einmal herum in der Gegend – Ihr werdet genug zu hören kriegen von dem Loder von Lindham. …“

Damit stülpte er den Hut auf den Kopf und eilte den Abhang hinab, im sichern Bewußtsein, dem Gegner vergolten und ihn so recht in’s Herz getroffen zu haben.

Das war ihm auch vollständig gelungen; der Alte knickte, ihm nachstarrend, auf die Bank zusammen und vermochte nichts hervorzubringen als einzelne halblaute Worte. „Die Schand’!“ murmelte er, „mein Bub’ – der Loder von …“ Es war wie eine Lähmung über ihn gekommen, die Willen, Denken und Können des sonst so rüstigen wie entschlossenen Mannes gefesselt hielt. …

Es war ein schlimmes Zusammentreffen, daß gerade in diesem Augenblicke Wolf um die Hausecke hervorkam, nichts ahnend, fröhlich wie immer, im Sonntagsstaat, zur Wanderung gerüstet und zum Ueberflusse die Mundharmonica an den Lippen, auf der er eine frische muthwillige Weise blies – betroffen hielt er an und brach mitten in dem Liedchen ab, als er den Vater gewahr wurde. Dieser war beim ersten Tone, beim ersten Blicke wie verwandelt – die krampfhafte Erstarrung wich von ihm so plötzlich, wie sie gekommen war, gleich einer Eiskruste, die der Bach im Frühling sprengt und mit aufquellenden Fluthen über seine Ufer schleudert. In alter Kraft und Sicherheit richtete er sich auf und stand im nächsten Augenblicke dem Sohne gegenüber – der Zorn ließ ihn nicht fühlen, daß sein Gesicht schwächer geworden war. „Halt! Wo willst Du hin?“ rief er ihm mit einer Miene zu, die gewohnt ist, Befehle zu geben und ihnen unbedingt gehorcht zu sehen.

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