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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


das erste Bestfähnchen in Empfang zu nehmen. Das Vergnügen leuchtete ihm aus den Augen und im Gefühl seines Triumphes rief er Wolf, den er wohl kannte, einen Gruß zu. „Ho, diesmal hast Du Dich verspätet, Lindhamer. Diesmal bin ich Dir zuvorgekommen und habe die Besten abgeräumt – nun hast Du das Nachsehen.“

„Das ist just noch nit gewiß,“ entgegnete Wolf lachend, indem er in die Tasche griff und das Geld klappern ließ. „Ist das Fahnl mein mit Allem, was d’ran hängt, wenn ich noch eine Kugel hinausscheib’ und triff alle Neune? Ich setz’ Dir zwei Kronthaler entgegen – gilt’s eine Wett’?“

Der Preisträger sah ihm etwas verblüfft in’s Gesicht und schien unschlüssig, während die Umstehenden ihm lachend zuriefen, sich den Gewinn nicht entgehen zu lassen und zu dem Preise auch noch die zwei Kronthaler einzustecken. „Auf das könnt Ihr’s ankommen lassen, Meister Kupferschmied; es ist ja schon so dämmrig, daß man die Kegel kaum noch draußen stehen sieht!“ – „Und zumal,“ setzte ein Anderer hinzu, „wenn er, wie’s den Anschein hat, nicht mehr ganz nüchtern ist.“

Der Kupferschmied war seines Sieges gewiß geworden: „Es gilt, Lindhamer!“ sagte er einschlagend; „wenn Du übrige Kronthaler aufzuwenden hast – ich kann sie mitnehmen und lasse sie mir dann anöhreln als Uhrgehäng’.“

Der Ruf der überraschenden Wette hatte sich schnell unter allen Anwesenden verbreitet; dichtgedrängt umstanden sie die Bahn und sahen Wolf zu, der, während der Junge draußen die Kegel aufsetzte, rasch die Kugel gefaßt hatte und nun, mit vorgebeugtem Körper in die Dämmerung hinausspähend, Entfernung und Abstand zu bemessen schien. Ein kräftiger, sicherer Wurf ließ die Kugel mitten auf dem Langbrett aufschlagen; wie aus einer Büchse geschossen, rollte sie dahin und in der nächsten Secunde schlug sie die neun Kegel nieder, als ob sie an einer Schnur hingen und an ihr niedergerissen würden.

Kaltblütig drehte sich Wolf auf dem Absatz um, nahm dem halb versteinerten Kupferschmied das Preisfähnlein aus der Hand und schritt dem Keller zu, umgeben von dem Beifall und dem lauten Gelächter der fröhlich erregten Menge. Verdrießlich trollte sich der unglückliche Preisträger den dunkeln Weg zum Markte hinab; Wolf aber mit seinen Genossen nahm an einem der Tische Platz, hing an einer Säule das Fähnlein wie eine Trophäe auf und ließ in ausgelassenster Laune herbeibringen, was Küche und Keller vermochten. „Her da, wer mittrinken will!“ rief er lachend, „Alles ist eingeladen – der Kupferschmied von Aibling und sein Preisfahnl’ halt’ heute Alles frei.“

Es gab Manche, die sich die Einladung nicht wiederholen ließen; ein Kreis lustiger Zecher bildete sich um den Tisch, und auch die Musikanten, deren Anwesenheit über dem Zwischenfall fast vergessen worden war, zogen sich in die Nähe heran, gelockt von der Hoffnung, daß der lustige und freigebige Bursche nicht gegen sie allein den Kargen spielen werde. Sie spielten ein paar Stücke, die auch ihre Wirkung nicht verfehlten und die Bursche veranlaßten, mitzusingen oder mit Juchzen, Schnalzen oder Händeklatschen nach dem Ländlertacte einzusetzen. Während einer Pause stieß Schützenpeter, der die ganze Zeit über kein Auge von der Harfenspielerin verwendet hatte, Wolf mit dem Ellbogen an und flüsterte ihm zu: „Schau’ Dir einmal das Mädel an, das mit der Harfen, und sag’ mir einmal, ob Du nicht auch findest, daß sie der Th’res wie heruntergerissen gleich sieht!“

„Th’res?“ fragte Wolf verwundert. „Was für eine Th’res?“

„Frag’ noch eine Weil’!“ war die Antwort; „was für eine könnt’ ich denn meinen, als die bei Dir daheim, die Th’res auf dem Lindhamerhof?“

„Du hast Recht,“ entgegnete Wolf, indem er die Harfenspielerin etwas näher in’s Auge faßte, die, ihre Harfe im Arme, den Kopf, wie um auszuruhen, an dieselbe angelehnt hatte und unverwandt, als wäre sie in Gedanken in ganz andere Gegenden entrückt, in das unterdessen vollständig hereingebrochene Nachtdunkel hinausstarrte. Die Aehnlichkeit war unverkennbar, nur daß Th’res jugendlicher und frischer war, einer eben aufknospenden Rose gleich, auf der noch der Thautropfen des Morgens glänzt, während das Harfenmädchen einer bereits voll aufgeblühten ähnlich sah, die, in der Mittagsgluth verschmachtend, den Kelch senkt und ein erstes fallendes Blatt niedergleiten läßt. „Du hast ganz Recht,“ sagte er noch einmal, indeß eine bittere Regung in ihm aufstieg, die ihm früher noch nie in den Sinn gekommen – „aber woher kennst denn Du die Th’res?“

Der Soldat lachte laut auf. „Woher ich sie kenn’?“ flüsterte er ihm dann in’s Ohr. „Dir muß es schon arg in den Kopf gestiegen sein, wenn Du das nicht mehr weißt! Bin ich denn nicht lang’ genug auf dem Lindhamerhof gewesen und hab’ meinen Löffel in eine Suppenschüssel mit ihr getaucht? Meinst Du, ein so bildsauberes Madel vergißt man so leicht und so ganz und gar? Vielleicht hast Du sie noch gar nicht darum angeschaut, aber ich hab’s schon dazumal gethan und hab’ sie nicht vergessen … sie kommt mir gar oft in Sinn, daß ich selber nicht weiß, wie – und wenn ich vielleicht,“ setzte er etwas stockend und fast verschämt hinzu, „wenn ich vielleicht doch noch einmal wieder an’s Arbeiten und an ein ordentliches Leben komm’, oder wenn ich wo einen vergrabenen Schatz find’, dann geh’ ich auf den Lindhamerhof und hol’ mir die Th’res.“ …

Wolf wußte nicht, wie ihm geschah; er hörte zu wie ein Träumender, indem es ihm wechselnd heiß und kalt über den Rücken lief – er hatte von Jugend auf mit Th’res zusammengelebt; sie war, seit sie in’s Haus gekommen, neben ihm aufgewachsen. Er hatte als Knabe mit ihr gespielt und war als Bursche neben ihr hergegangen, ohne etwas Anderes in ihr zu sehen, als eine Hausgenossin, die eben zu Haus und Hof gehörte. Er hatte viel mit ihr zu verkehren, aber sie war ihm vollkommen gleichgültig, und darauf, ob sie schön war, hatte er sie noch niemals angesehen; denn er war zu sehr mit allerlei anderen Dingen beschäftigt. Dennoch war ihre Nähe ihm ein Bedürfniß, aber er hatte es nicht gewußt, oder es doch so hingenommen, wie etwas, das sich von selbst versteht und gar nicht anders sein kann. Die Worte des Soldaten machten, daß ihm mit einem Male die Augen aufgingen – jetzt, da er die Harfenistin darauf ansah und sich Th’res vor die Seele rief, jetzt erkannte er erst, daß sie schön war, noch um Vieles schöner als diese; jetzt, da die Möglichkeit ihm nahe trat, daß dieses Verhältniß einmal geändert und Th’res ihm entführt werden könne, jetzt zuckte es ihm mit einem Male schmerzlich durch’s Herz, als solle ihm ein Theil desselben losgerissen werden, und ein eifersüchtiges, unsagbar feindseliges Gefühl wallte in ihm auf – er ballte unwillkürlich die Fäuste, und es war ihm, als müsse er den frechen Schützenpeter an der Kehle fassen, daß er es wage, an die Th’res solche Gedanken, Wünsche und vollends Hoffnungen zu knüpfen. Er schwieg, weil er nicht gleich zu antworten wußte. Der Soldat fuhr fort:

„Vielleicht wär’ sie froh um mich,“ sagte er, „sie wird nicht viele Hochzeiter finden; denn sie ist ja doch nur ein Bettelkind und hat nichts vor ihr, als eine Magd zu bleiben ihr Leben lang … und weil sie doch so lang’ auf Lindham gewesen ist, läßt sie Dein Vater auch nicht mit ganz leeren Händen gehen und giebt ihr ein Heirathgut – was meinst?“

„Was ich mein’?“ sagte Wolf, der sich allmählich besonnen. „Ich mein’, daß, wer auf dem Lindhamerhof eine Heimath gefunden hat, kein Bettelkind ist, und daß der Lindhamer die Th’res, wenn sie einmal fortgehen und heirathen wollt’, nicht fortgehen läßt, wie eine Magd, die aus dem Dienste geht, und daß bei einem solchen Madel ein Kerl wie Du sich das Maul wischen muß, oder …“

(Fortsetzung folgt.)




Album der Poesien.
Das Grab im Busento.


     Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder;
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder.

     Und den Fluß hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer Gothen,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.

     Allzufrüh und fern der Heimath mußten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schultern blond umgaben.

     Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_386.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)