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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

hochgestellte Leute, vor Allem sein ihm nahestehender Freund und Waffenbruder. Nicht nur Wittwen und Waisen im fernen Westen traf diesmal der Schlag; die Kugel, welche Canby tödtete, fühlte man auch im Weißen Hause in Washington, und die Bewohner desselben fielen diesmal in das allgemeine Rachegeschrei ein. Dies bewiesen die folgenden Depeschen des Obergenerals der Vereinigten-Staaten-Armee, W. T. Sherman, der, beiläufig gesagt, ganz andere gesündere und praktischere Ansichten in Bezug auf Indianerpolitik hat, als sein alter Waffengefährte Grant. Die erste ist an General Gillem gerichtet und lautet, wie folgt: „Ihre Depesche, welche den entsetzlichen Verlust, den das Land durch den Tod des Generals Canby erlitten hat, anzeigt, ist dem Präsidenten vorgelegt worden, welcher mich autorisirt, Sie dahin zu bestimmen, den Angriff so kräftig und energisch wie möglich zu machen, damit das Schicksal der Mörder ihrem Verbrechen angemessen sein möge. Sie werden vollkommen gerechtfertigt sein, dieselben vollständig auszurotten.“ Die zweite ist an General Schofield in San Francisco gerichtet und hat nachstehenden Wortlaut: „Der Präsident hat die strengste Bestrafung der Modocs sanctionirt. Sie können sich versichert halten, daß der äußerste Grad der Strenge von der Regierung gut geheißen werden wird.“

Der erste Act dieses neuen Dramas ist somit geschlossen. Wir stehen am Beginne des zweiten, dessen Inhalt also die Ausrottung der Modocs sein soll. So lautet wenigstens das Programm für den Feldzug. Der gute Wille ist allseitig da; aber der Dieb wird eben nie gehangen, man habe ihn denn zuvor. Das ist auch hier der Haken.

Wie aus der Beschreibung des Lavabettes ersichtlich, sind Operationen auf solchem Terrain gerade kein Kinderspiel. Die Einschließung und Aushungerung der Wilden in ihrer dreißig bis vierzig Meilen im Umfang zählenden, mit Mundvorrath wahrscheinlich wohlversehenen Festung ist ebenso schwierig. Sollte es den Modocs gelingen, aus ihrem jetzt ziemlich gut bewachten Felsenneste zu entkommen und sich mit verschiedenen größeren Stämmen, die nur auf eine günstige Wendung der Dinge warten, zu vereinigen, dann wäre nicht nur ein entsetzliches Blutbad unter den Ansiedlern in Oregon und Californien unvermeidlich, sondern auch ein langwieriger, kostspieliger und blutiger Indianerkrieg in großem Maßstabe, der sich möglicherweise nicht auf die Staaten jenseits der Felsengebirge beschränken würde, vielmehr die sämmtlichen Stämme der Ebenen westlich vom Mississippi zu gemeinsamem Handeln in einem allgemeinen schrecklichen Aufstande vereinigen dürfte.

Zu solchen Befürchtungen geben gewisse höchst merkwürdige Ideen, welche unter den Indianern weit verbreitet sind, und die im Zusammenhange mit der Ermordung General Canby’s durch Capitain Jack stehen dürften, gegründeten Anlaß. Es existirt nämlich unter den Stämmen, namentlich der Staaten am Stillen Ocean, der Glaube, daß die Zeit ihrer Befreiung von den Weißen gekommen sei. Ihre alten Krieger und Priester (Medicine-Men) haben es lange vorhergesagt, und obwohl sie gegen Beamte äußerst schweigsam über solche Dinge sind, ist doch genug bekannt geworden, um Folgendes als die Grundzüge dieses neuen Aberglaubensartikels ihrer Religion hinzustellen:

Ein neuer Gott oder göttlicher Held soll unter ihnen erscheinen, um sie gegen die Weißen anzuführen; alle Krieger, die bisher gefallen sind, werden auferstehen, um sie zu verstärken; dann werden sie sämmtliche Weiße verjagen, das ganze Land ihrer Väter wiedergewinnen und in Zukunft frei und ungehindert dasselbe bewohnen. Ihr Ideal ist der Indianer in seiner ganzen ungebrochenen Wildheit; sie wollen darum auf keine Reservationen gehen, wollen keine Cultur annehmen, sondern wilde Indianer im vollen Sinne des Wortes bleiben und nie etwas Anderes werden. Diese neue Lehre hat überaus viele Anhänger gefunden, so daß die meisten Stämme zwischen den Felsengebirgen und Cascade-Bergen seit den letzten Jahren nach diesem neuen Moses ausschauen, der sie aus dem Lande der Knechtschaft zur Freiheit führen soll. Jeder Häuptling, der durch besondere Thaten sich auszeichnet, hat die Aussicht, von Vielen, vielleicht Allen als der große Befreier begrüßt zu werden – und hier liegt wahrscheinlich der Schlüssel zu der von Capitain Jack verübten Unthat. In den Augen der Indianer ist die Ermordung Canby’s selbstverständlich eine Heldenthat und gerade das rechte Mittel, sie für Jack zu begeistern. Es ist darum gar keine unwahrscheinliche Annahme, daß gerade dies das Motiv gewesen ist, welches den ehrgeizigen Häuptling, dem der Glaube und die Erwartung seiner Landsleute gut genug bekannt ist, zu dieser That angetrieben hat. Sollte es ihm gelingen, seine Felsenfestung längere Zeit zu halten, die Weißen beständig mit großen Verlusten zurückzuschlagen (was in den ersten beiden Gefechten nach Canby’s Ermordung wirklich geschehen ist) und endlich mit den meisten seiner Krieger zu entkommen, dann mag es fast als Gewißheit angesehen werden, daß er als der ersehnte Messias von den meisten Stämmen anerkannt und zum Anführer in dem großen Befreiungskriege erwählt werden wird. Er scheint auch, sowohl was sein Aeußeres wie seine Fähigkeiten betrifft, eine für eine solche Rolle durchaus nicht ungeeignete Persönlichkeit zu sein, eine Persönlichkeit, die für einen Cooper’schen Roman eine ausgezeichnete Heldenfigur abgeben würde.

Capitain Jack ist ein Vollblut-Modoc von ungefähr dreißig Jahren, wenn er auch ein älteres Aussehen hat. Obwohl er die eigenthümliche niedrige, zurücktretende Stirn seiner Race hat, kann er doch nicht gerade häßlich genannt werden. Seine dunkle Kupferfarbe, seine schwarzen durchdringenden Augen, sein langes, schwarzes bis auf die Schultern herabhängendes Haar und sein großer, die äußerste Energie und Entschlossenheit ausdrückender Mund geben seinen Zügen einen echt indianischen Charakter, ohne indeß, wie dies sonst meist der Fall ist, Grausamkeit oder Gemeinheit auszudrücken; im Gegentheil, es spricht aus diesem, übrigens ganz bartlosen, Gesichte eine selbstbewußte Würde, ein man möchte sagen nobler Stolz, der es Einen fast bedauern macht, daß der Träger dieser Züge sich zu einer so überaus niederträchtigen That hat hinreißen lassen. In seinem Benehmen gegen Weiße hat er sich immer sehr kühl, sehr ruhig und äußerst würdevoll gezeigt; man hat ihn noch nie lächeln gesehen. Auch besteht er darauf, von Allen, mit denen er in Berührung kommt, mit dem größten Respect behandelt zu werden; die Etiquette ist am weiland spanischen Hofe wohl nicht strenger beobachtet worden, als dieser Wilde sie bei seinen Audienzen beansprucht. Bis zu seinem Verrathe an Canby hatte er den Ruf eines durchaus ehrenhaften Charakters. Alle Ansiedler, die ihn kannten, bezeugten einstimmig, daß er niemals eine ungerechte ober gemeine Handlung sich habe zu Schulden kommen lassen, noch auch irgend einem Mitgliede seiner Bande je erlaubt habe, etwas der Art zu thun; er übte in seinem Stamme, zu dessen Häuptling er vor drei Jahren erwählt worden war, die strengste Justiz. Umsomehr überraschte der Mord Canby’s, und dieser sein bisheriger untadelhafter Charakter macht es mehr als wahrscheinlich, daß ehrgeizige Pläne wie die vorhin erwähnten ihn zu diesem Verbrechen getrieben haben. Dieser Umstand erregt zu gleicher Zeit ein ungewöhnliches Interesse für Capitain Jack, der vielleicht dazu bestimmt ist, eine bedeutendere Rolle in unseren Indianerkriegen zu spielen, als einst König Philipp und der berühmte Black Hawk. –

(Schluß folgt.)


Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.
2. Der Verkannte.

Wohl in keinem Stande der civilisirten Welt ist eine solche Zerfahrenheit und Unbeständigkeit in den häuslichen Verhältnissen anzutreffen, als speciell bei den Theaterangehörigen. Leichtsinnig eingegangene und ebenso getrennte Ehen, Kinder, die vom ersten Momente des Selbstdenkens an durch alles dies in eine verkehrte Richtung gebracht werden, häufiger Mangel stetigen und gleichmäßigen Schulunterrichts infolge des Saison-Vagabondirens, Mißachtung der äußeren Formen, die sich so leicht bei Leuten einfindet, die in Bezug auf jede an ihnen wahrgenommene Form eine nicht immer wohlwollende Aufmerksamkeit zu gewärtigen haben –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_390.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)