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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


die Augen, die Ermattung für einige Minuten geschlossen. Auch der Kranke ist erwacht; der schrille Ton der Glocke hat seine Nerven getroffen und ihn aus irgend einem rosarothen Feenschloß zurückgerufen auf die Stätte der Leiden, von der er sich noch nicht losringen soll, weil es die Vorsehung so wünscht.

„Wer stört mich? Ich lag in so schönen Träumen. Sieh’ nach, Elise, wer es ist! Nur nicht der Arzt – er peinigt mich nur und nützt mir doch nichts mehr.“

Elise öffnet; sie wünscht, es wäre der Arzt, der dem Gatten die liebevollste Aufmerksamkeit widmet, um, wie von allen Kranken, Undank dafür zu ernten. Er ist es nicht.

„Lieber Mann, es ist nicht der Arzt, es ist Walter, Dein treuer Freund Walter.“

„Walter? Ah, nur herein, nur herein! Du bist mir willkommen; ich hätte sonst nach Dir geschickt,“ ruft mit seltener Lebhaftigkeit der Kranke, indem er sich halb auf seinem Lager erhebt und dem alten Collegen beide Hände entgegenstreckt. Walter, ein hochgeachteter Künstler von seltener Begabung, drückt sie mit Wehmuth, und der Lampenschirm entzieht dem Kranken die Schreckenswolke, die über das Antlitz des alten Freundes plötzlich dahinglitt.

„Laß’ uns eine Viertelstunde allein, liebe Elise! Ruhe Dich! Ich habe Mancherlei mit Walter zu besprechen.“

„Du wirst Dich wieder aufregen, theurer Mann. Laß’ mich hier!“

„Nein, mein Kind! Ich schwöre Dir’s, ich bin ganz ruhig; geh’ – es muß sein.“

„So nimm wenigstens erst die Medicin! Die Stunde ist schon vorüber.“

„Nein, nein,“ entgegnet der Kranke hastig, und aus den tiefen Augenhöhlen schießt ein unheimlicher Blitz. „Nichts mehr von dem Zeug! Es hilft doch zu Nichts. Gieb mir ein Glas Wein, Elise!“

„Aber, lieber Eduard!“

„Ich beschwöre Dich um ein Glas Wein; es ist seit Wochen das erste Verlangen, das ich ausspreche; ich fühle, es wird mir gut thun.“

Die arme Frau wirft einen ängstlich fragenden Blick auf den Freund, der ihn mit einem stummen Nicken seines Hauptes erwidert. Aus den Augen spricht es deutlich: es ist doch Alles Eins; – was er jetzt noch zu sich nimmt, kann ihm weder nützen, noch schaden. Sie geht, dem Armen das gewünschte Labsal herbeizuschaffen; aber sie hat keinen Wein im Hause, und die wenigen Groschen, über die sie noch verfügen kann, reichen auch nicht hin, welchen zu kaufen. Was beginnen? Sie faßt sich ein Herz und klopft bei der Nachbarin an. Die Nachbarin ist sonst eine harte, strenge Frau, die von dem Komödiantenpack nichts wissen will. Aber die weiche Stimme Elisens rührt sie; sie reicht ihr das Erbetene und weint herzlich mit der Armen. Sonderbare Erfahrung! Das böseste Weib wird vor einem Krankenbette mild und zahm. Ja gewiß, die Bosheit wurzelt nicht in des Menschen, am wenigsten in der Frauen Seele; sie ist eine schändliche Krankheit, die außer uns liegt und die uns unverschuldet erfaßt wie das Miasma der Cholera.

Mit gierigen Zügen hat der Aermste den Wein getrunken. Den abgeschwächten Körper erfüllt er mit plötzlichem Gluthhauch und täuscht die Sinne mit dem Truggefühl gewonnener Kraft. Mit einem fast seligen Lächeln küßt er der Gattin Hand, die, ihre Züge zum Spiegel der Heiterkeit pressend, ihm zuwinkt und das Zimmer verläßt.

Die beiden Freunde sind allein.

„Walter,“ spricht der Kranke, während seine Stimme durch den genossenen Wein größere Festigkeit als bisher gewonnen zu haben scheint, „Walter, nicht umsonst habe ich meine Frau hinausgeschickt; was ich Dir jetzt zu sagen habe, ist das Letzte, ist mein Testament.“

„Aber Eduard,“ entgegnet Walter, „Du fängst schon wieder an, Dich aufzuregen.“

„Nein, nein, mein Freund, ich bin ruhig, glaube mir, ruhiger als seit vielen Wochen; ich bin ruhig im Vorgefühl des Endes, das sich, Gott sei Dank! mir naht. Aber ich kann nicht von hier scheiden, ohne wenigstens einem Menschen gebeichtet zu haben, gebeichtet das Elend eines ganzen nichtswürdigen, zerschlagenen Lebens, zuerst des materiellen, nachher des geistigen. Du bist ein Mann und verstehst mich. – Seit fünfundzwanzig Jahren quäle ich mich in redlicher Arbeit dahin, und nun liege ich vor der Grube mit dem Jammergedanken, daß Weib und Kind, wenn sie mich eingescharrt haben, nicht wissen werden, woher, wohin? Sage mir selbst, Du kennst mich seit langer Zeit: habe ich jemals leichtsinnig gelebt? Habe ich meine Bedürfnisse nicht auf’s Aeußerste beschränkt? Und bin ich bei alledem im Stande gewesen, auch nur so viel zu erwerben, um Weib und Kind für eine geringe Zeit Sicherheit zu bieten? Denke an das jammervolle Loos, das allen Denen blüht, denen Fortuna mit Gewalt nicht zulächeln will! Von Saison zu Saison bin ich herumgewandert, und was ich mühsam in acht Monaten am Munde abgespart, verzehrte das Privatisiren der Zwischenzeit, verzehrten die Reisen hin und her, verzehrten die Zinsen, die ich an Pfandhaus und Wucherer von meinem geringen Erwerb zu zahlen hatte. Hätte ich Alles verpraßt, so könnte ich mir wenigstens jetzt noch sagen: Du bist schuld an dem Elend der Deinigen; aber Du hast etwas davon gehabt. Aber so bleibt das Elend dasselbe und ist doch nur das Facit langjähriger Ehrlichkeit. Glaube mir, ich wäre längst todt, wenn dieser verfluchte Gedanke mich nicht immer und immer wieder wie Moschus in’s Leben zurückriefe. Darum gelobe mir Eins: dulde nicht, daß mein Andenken befleckt wird! dulde nicht, daß, wenn ich die Augen geschlossen habe, man für Weib und Kind collectirt! Beide sind stark und groß, erhärtet in der Schule des Mangels; sie werden gleich mir Alles eher ertragen als den Schimpf. Ich bin Logenbruder. Du bist es auch; Du wirst dafür sorgen, daß man mich anständig bestattet und mir nach meinem Tode das Achselzucken erspart, das, so lange ich lebte, wie ein Fluch auf mir gelastet. Das ist Eins. Und nun das Zweite, das Schlimmere. Dir will ich’s sagen, woran ich sterbe, nicht seit drei Monaten, nein, seit mehr als zwanzig Jahren; Du sollst es wissen, damit ein Mensch die Qualen kennen lernt, der allein sie zu begreifen im Stande ist. Sage mir, Walter, mit welchem Recht habe ich mein ganzes Leben vergebens nach der Stellung gerungen, die mir von Gott und Rechts wegen zukommt? Mit welchem Recht sind Dutzende und Dutzende neben mir emporgekommen, die weder Bildung, noch Talent genug besitzen, um sich mit mir messen zu können, mit welchem Recht –?“

Ein neuer Hustenanfall überkommt den Kranken, und er lehnt sich erschöpft in seine Kissen zurück. Theilnehmend legt der Freund seine Hand auf die glühende Stirn des Fieberkranken und versucht ihn zu beruhigen.

„Mein guter Eduard, das sind Deine alten Phantasien; Du bist nicht so krank, wie Du glaubst. Du wirst genesen, und wenn Du der Welt wieder gesund zurückgegeben wirst, so bitte ich Dich, bleibe es auch, nicht nur gesund am Körper, nein, auch am Geist und Urtheil! Lerne endlich Dich überzeugen, daß, so mächtig der Zufall auch mit uns spielen mag, doch auch wir selbst und unsere Fähigkeiten unseren Erfolgen gegenüber in die Wagschale gelegt werden müssen.“

„Wie,“ ruft der Kranke und rafft sich auf’s Neue empor, „soll ich Das auch von Dir hören? Willst auch Du meine Fähigkeiten in Zweifel ziehen? Freilich, Dich hat das Glück ja begünstigt, Dir hat es ja auf Schritt und Tritt versichert, daß Du ein begabter Mensch, ein vollendeter Künstler bist; an mir hat man herumgemäkelt, so lange ich denken kann – und was war’s? Neid, Bosheit, weiter Nichts, und, glaube mir, kein strengerer Richter gegen sich selbst konnte existiren, als ich es war. Wenn ich nach einer anstrengenden Rolle in mein einsames Stübchen mich flüchtete, während die rohen Cameraden im Bierhaus zechten, dann nagte die Unzufriedenheit mit mir selbst an meiner Seele und untergrub die Kraft des ganzen Baues, und wenn ich einsah, daß ich gefehlt, so marterte ich mich Tage und Wochen lang, bis ich den Fehler überwunden, und hatte ich ihn überwunden, war ich seiner Herr geworden und trat triumphirend damit vor das Publicum, dann fühlten sie es nicht, dann glaubten sie es nicht. Was ihnen fünf Monate lang unbedeutend erschienen war, blieb es ihnen auch in den letzten Monaten der Saison; darum war ich zur Rolle des ewigen Juden verdammt. Als man mir vorwarf, mein Organ wäre nicht ausgiebig genug, studirte ich wie die griechischen Redner der Vorzeit; meine Brust, meine Lunge habe ich dabei zertrümmert, und als ich endlich das Richtige gefunden, haben die Leute mich verhöhnt. – Wenn ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_392.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)