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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


schützendes Dach bilden über Dem, der sich da unten in ihrem Schatten ergeht, über dem geistreichsten Soldaten des neuen Kaiserreichs.

Schloß Creisau macht einen stattlichen Eindruck. Auf den beiden Thorpfeilern des Hofeinganges – um nur etwas zu erwähnen – prangen zwei kriegerische Repräsentanten einer längst vergangenen Zeit. Es sind dies zwei griechische Fechter in Kampfesstellung mit vorgehaltenem Schild. Zwei andere Kämpfer, und zwar aus der neuesten Zeit, zeigen sich uns nicht weit von jenen eben erwähnten. In drohender Haltung ist nämlich ein Doppelposten von Stahl und Eisen, wie ausspähend nach den fernen Grenzlinien unseres Vaterlandes, auf riesigen Steinplatten vor der in den ersten Stock führenden Schloßtreppe aufgestellt – zwei eroberte französische Geschütze, welche Kaiser Wilhelm seinem sieggekrönten ersten General als Ehrengeschenk widmete. Beide Geschütze zeigen auf dem Rohre reiche Verzierungen, sowie das Datum und den Ort ihres Gusses. Es läßt sich vermuthen, daß diese Stücke von historischem Werthe sind.

Schloß Creisau.

Unmittelbar vor dem Schlosse breitet sich wie ein sammetner Teppich eine in zartem Grün leuchtende Rasenfläche hin, aus welcher sich wohlgepflegtes Gebüsch gruppenweise erhebt. Mit vielem Geschick und Geschmack ist dasselbe so gepflanzt, daß es mit seinen lachenden Blüthen und Knospen zu den ernsten, dunklen Bäumen der nächsten Umgebung einen sehr wohlthuenden Contrast bildet. Dieser Rasenfläche schließt sich der weite Hofraum an, welcher von Beamtenwohnungen und stattlichen Oekonomie-Gebäuden begrenzt wird.

So viel über das Aeußere von Schloß und Hof Creisau. Wenden wir uns nun zur Betrachtung der nächsten Umgebung des Schlosses, so müssen wir gestehen, daß sie nicht reich an großartigen Naturschönheiten ist. Aber die üppigen Wiesen an dem hier vielfach gewundenen Peile-Flüßchen, die nahe gelegenen und zum Theil mit Buschwerk reich bewachsenen Hügel, auf welche die hohen, dunkelbewaldeten Häupter des Zobten und der Eule ernst herabschauen, bieten immerhin ein liebliches und hübsch abgegrenztes Landschaftsgemälde.

Im verwichenen Sommer bot sich mir zufällig die Gelegenheit, mich längere Zeit in der Nähe von Creisau aufzuhalten, wo ich einige flüchtige Blicke in das tägliche Leben des berühmten Schloßherrn that. Die folgenden Mittheilungen sind die Frucht meines damaligen Aufenthalts dort und dürften den Lesern der Gartenlaube einiges Interesse bieten.

Es ist ein sonniger Julimorgen. An Halm und Strauch hängt noch der Thau der Nacht, und ein frischer kühler Hauch geht über Wiese und Feld. Die Thurmuhr des nahen Dorfes Gräditz verkündet eben die sechste Stunde – da sehen wir von der Schloßtreppe einen schlicht gekleideten Mann in den duftenden Morgen herabsteigen und über die wohl gepflegten Kieswege dem nahen Parke zuschreiten. Wer den Mann in dem einfachen schwarzen Rock, mit dem bartlosen Gesicht, in welches Alter und geistige Arbeit ihre Furchen gegraben, so dahin wandeln sieht, der wird versucht sein, zu glauben, er sehe in ihm einen würdigen Landpfarrer, der eben im Begriffe steht, auf einer Morgenwanderung das Material zu seiner nächsten Sonntagspredigt zu verarbeiten. Weit gefehlt! Der Mann im schlichten schwarzen Rock, mit dem bartlosen, fein geschnittenen Gesicht ist kein Mann der Kanzel. Mit kühnem Federstrich hat er den deutschen Heeren die Bahnen vorgezeichnet, welche sie zum Siege führten. Es ist der Schloßherr selbst, Graf Moltke.

Seiner Gewohnheit gemäß, hat er sich zeitig von seinem aus einer Roßhaarmatratze und leichter Decke bestehenden Nachtlager erhoben, schnell den Morgenkaffee eingenommen – der, nebenbei bemerkt, wie es im Schlosse Sitte ist, am gestrigen Abend gekocht und heute früh nur erwärmt wurde – und ist dann in die Morgenluft hinaus gewandert. Die Wirthschaftsräume sind sein erstes Ziel. Das Korn auf der Tenne, das Vieh im Stalle, das Getriebe der zum Gute gehörenden Brauerei, nichts entgeht seinem prüfenden Blicke. Und weiter lenkt er die Schritte durch die grünen Beete des Gemüsegartens, spricht ein freundliches Wort mit dem Gärtner und wendet sich dann mit innigem Behagen seinen mit Vorliebe gepflegten Zöglingen, den jungen trefflich gedeihenden Bäumen zu, welche hinter dem Schlosse in langen Reihen soldatisch aufgestellt sind. Mit Kennerblicken mustert der Feldherr sein kleines Heer; zeigt sich irgendwo ein dürrer Ast, so verfährt er, ganz im militärischen Geiste, mit unnachsichtlicher Strenge. Er greift in die Tasche – schnell ist das Messer zur Hand – und sofort liegt der Ast am Boden. Haßt doch der Marschall im Großen wie im Kleinen das Schwächliche und Halbe. Steht nun aber einer seiner Zöglinge gar mit krummem Rücken da, devot wie ein besiegter Welscher, der um Gnade fleht, dann ziehen sich die Falten auf des Strategen Stirn drohend zusammen: Untersuchung, Verurtheilung und Execution sind das Werk nur eines Augenblickes – und ausgerodet wird der Stamm mit Stumpf und Stiel.

Nach beendeter Wanderung sehen wir den Schlachtendenker in sein Studirzimmer treten. Dasselbe befindet sich im zweiten Stocke des Schlosses und wird von den zwei mittleren der auf dem nebenstehenden Bilde sichtbaren Fenster erhellt. Der Graf ist durch das einfenstrige Vorzimmer zur Rechten des Beschauers in sein Arbeitsgemach eingetreten und nimmt nun, durch die Morgenwanderung erfrischt, an einem einfachen Tische Platz, auf dem das Frühstück, aus einer Tasse Bouillon oder einem Glase Wein und belegtem Butterbrode bestehend, bereits servirt ist. Er ist dabei über einen kostbaren Teppich hinweggeschritten, welcher als die schönste Zierde des Zimmers bezeichnet werden muß. Derselbe, von den Damen der schlesischen Aristokratie angefertigt, trägt in weißer Seidenstickerei die Namen der Schlachten des letzten Krieges und wird vom Marschall besonders in Ehren gehalten. Neue Zeitungen sind eingetroffen und werden beim Frühstück einer eingehenden Durchsicht unterzogen. Die Zeit bis zum Mittag widmet der Graf in der Regel schriftlichen Arbeiten – das ist die Geburtsstunde großer weltbewegender Gedanken, welche, einmal auf’s Papier geworfen, nach Berlin in die Hände des Kaisers und seiner Minister wandern und von dort ihren Weg durch die Cabinete aller Großmächte nehmen, oft die Geschicke Europas bestimmend. Eine Kürzung dieser allmorgenlichen Arbeitsstunden pflegt der Graf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_394.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)