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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

deshalb mehrere Puncte, welche das Seeufer beherrschten, befestigt und besetzt.

Im Laufe der nächsten Tage wurde mit ziemlicher Gewißheit festgestellt, daß die Indianer sich etwa vier Meilen von ihrer ersten Position festgesetzt hatten und dort in einem ebenso starken, gut gewählten Höhlenlabyrinth ihre Angreifer erwarten wollten. Am 19. und 20. April zeigten sich wieder einige Trupps. Der eine derselben kam an den See, um Wasser zu holen, und stieß dabei auf einen für die Truppen bestimmten Train, als derselbe eben in’s Lavabett einrücken wollte. Ein kurzes Gefecht entspann sich, die Modocs wurden bald zurückgetrieben und flohen in ihre Felsen. Der Train erreichte glücklich das Lager Mason’s. Am Nachmittag des 21. kehrte eine starke Reiterpatrouille zurück, nachdem sie etwa hundert Meilen zurückgelegt und das ganze Lavabett umgangen hatte, ohne dabei einen Indianer gesehen zu haben. Alles war scheinbar ganz ruhig, aber eben in dieser Ruhe lag das Unheimliche der ganzen Situation.

Auf der Westseite des Lavabetts commandirte Oberst Green. Am Morgen des 26. April befahl dieser eine abermalige Recognoscirung, deren Hauptaufgabe die Auffindung des neuen Verstecks der Indianer sein sollte. Neunundsechzig Mann unter Capitain Thomas und den Lieutenants Stowe und Wright wurden dazu ersehen, mit welchen eine Anzahl freundlich gesinnter Warm-Spring-Indianer operiren sollte. Thomas schickte eine Plänklerkette voran und folgte mit den Uebrigen ohne Hinderniß bis an den Fuß einer Felshöhle, die sich am südlichen Ende des Lavabetts erhebt. Man war jetzt an der Grenze des unheimlichen Terrains, das mit seinen unzähligen Verstecken und Fallgruben für den Soldaten ein weit gefürchteterer Gegenstand sein mußte, als eine Tod und Verderben speiende, aber doch sichtbare ehrliche Batterie.

Das Detachement betritt das Lavabett; langsam bewegt es sich über die scharfen Felszacken, durch überall im Wege liegende Steinmassen, zwischen plötzlich aufgähnenden Rissen und Schlünden hin. Kein feindlicher Laut unterbricht die Stille des Morgens. Alles scheint in der versteinerten Einöde ausgestorben. Von Indianern ist keine Spur zu sehen. Heiß brennt die Sonne auf’s kahle Gestein nieder. Der erhitzte Basalt und die scharfen Steine sind ein böses Pflaster, um lange darauf zu marschiren.

Es ist halb zwölf Uhr Mittags. Thomas befiehlt Halt zu machen, um den Soldaten ein wenig Ruhe zu gönnen. Da plötzlich kracht’s in der rechten Flanke der Truppen. Die Felsen ostwärts werden von einem freilich wenig sichtbaren und noch weniger erreichbaren Feinde belebt. Die schlauen Wilden haben ihren verhaßten Gegner genau, wo sie ihn haben wollen. Thomas läßt seine Leute augenblicklich ausschwärmen. Lieutenant Wright’s Compagnie steht auf den rechten Flügel. Jetzt blitzt es auch auf der linken Flanke und in der Front auf; rothe Gestalten huschen auf allen Seiten hin und her; die Truppen sind vollständig umzingelt, und zwar so, daß sie selbst völlig schutzlos dastehen, während der unsichtbare Feind ringsum in seinen unnahbaren Positionen sie ohne alle Gefahr für sich selbst niederschießen kann. Thomas erkennt die Falle, in die er gegangen, und die Unmöglichkeit, ihr zu entrinnen. „Leute,“ ruft er, „wir sind umzingelt; wir müssen fechten und sterben wie Männer und Soldaten,“ und empfängt bald darauf einen tödtlichen Schuß. Er wirft seine goldene Uhr und Kette in einen nahen Felsspalt, feuert seinen Revolver noch einmal ab und sinkt dann leblos nieder; das gleiche Schicksal trifft bald darauf Lieutenant Stowe. Ein Soldat nach dem andern fällt todt oder verwundet von den Kugeln der vortrefflich gehandhabten Spencer-Büchsen, mit denen die Indianer bewaffnet sind, bis endlich ein panischer Schrecken die verzweifelnden Leute ergreift.

„Rette sich, wer kann!“ ist jetzt nur noch das Feldgeschrei, und über Felsen und Risse stäubt die ganze Mannschaft auseinander. Lieutenant Wright und etwa zwanzig Mann wenden sich nach einer seitwärts gelegenen Schlucht, die einigen Schutz darzubieten scheint; kaum aber sind sie hinunter gelangt, als vor ihnen ein unübersteiglicher Felsspalt aufgähnt, während rings auf den umliegenden Felshöhen die wilden Feinde erscheinen und den Unglücklichen jede Aussicht auf Rettung abschneiden. Es war eine zweite mit kluger Berechnung gelegte Falle; Jack hatte seine Leute bereit gehalten, um die Weißen, falls sie hineingehen würden, zu vernichten. Und es war ihm vollkommen gelangen. In wilder Hast floh Alles durcheinander, während die ihr triumphirendes Kriegsgeheul ausstoßenden Wilden nichts zu thun hatten, als die ziel- und planlos umherirrenden Weißen wie auf der Treibjagd zusammengehetztes Wild niederzuschießen. Wenige, die in diese Schlucht hineingerathen, haben die Ihrigen wiedergesehen; von den Andern, die sich früher und glücklicher durch die Flucht gerettet hatten, entkam ein Theil aus den Felsen und brachte vielfach übertriebene Nachrichten in’s Lager. Namentlich hatten ihre Angst die Zahl der Feinde bedeutend vermehrt; sie hatten Hunderte um sich gesehen, während in der That kaum mehr als zwanzig bis dreißig Modocs im Gefecht gewesen waren. Verstärkungen wurden sofort von Oberst Green’s sowohl, als auch von Oberst Mason’s Lager abgesandt, so daß gegen Abend vier Compagnien Infanterie und vier Compagnien Cavallerie in der Nähe des Kampfplatzes standen. Diese wurden nicht weiter belästigt und konnten nun die traurige Pflicht erfüllen, nach den Leichen der Gefallenen und den noch lebenden Verwundeten zu suchen. Warm-Spring-Indianer dienten ihnen als Führer, und bald waren die leblosen Körper von Thomas, Stowe, Wright und zwölf anderen, meist ihrer Kleider völlig beraubt und verstümmelt, aufgefunden. Leider war die Zahl der noch lebenden Verwundeten gering; wer nicht mit seinen Wunden hatte fliehen können, war nach dem Gefecht von den Modocs abgefertigt worden. Im Ganzen waren aus einem Commando von neunundsechszig Mann neunundvierzig todt oder verwundet.

Es scheint schwer begreiflich, wie eine so vollständige Ueberrumpelung einer dreifach überlegenen Macht durch so wenig Feinde am hellen Mittage möglich sein konnte. Freilich, wer das Terrain gesehen, kann es sich leichter erklären; aber eben weil das Terrain von so außerordentlicher Beschaffenheit war, war auch außergewöhnliche Vorsicht nothwendig, wenn man solche vorherzusehende Schlingen vermeiden wollte. Und da liegt es doch wohl nahe, den sonst braven und in der Erfüllung ihrer Pflicht heldenmüthig gefallenen Officieren den Vorwurf entweder der Unvorsichtigkeit oder der Unwissenheit zu machen; denn es waren ja keine frisch ausgehobenen Rekruten unter eben so neuen Officieren, die hier einem schlauen Feinde geopfert wurden, wie vor elf Jahren bei Birch-Coolie in Minnesota, sondern es waren die alten Soldaten des stehenden Heeres, die unter ihren in Westpoint in der Kriegswissenschaft vorgeblich gründlich geschulten Führern einer Handvoll Wilder zur leichten Beute fielen. Doch sollten sie jetzt nicht, wie namentlich manche deutsch-amerikanische Zeitungen es thun, allzu hart beurtheilt oder gar geschmäht werden. Waren sie unwissend oder unvorsichtig, so haben sie es theuer gebüßt, und ihr Leben, das sie nicht durch die Flucht zu retten suchten, darf wohl als volle Sühne für ihre etwaige Schuld angesehen werden.

Seit diesem unglücklichen Ueberfall ist es still geworden über dem unheilvollen Lavabett. Höheren Orts ist man zu der Ueberzeugung gekommen, daß fernere Versuche, in die uneinnehmbare Burg der Modocs auf die bisher versuchte Weise einzudringen, Wahnsinn sein würde. Man hat davon bestimmt abgesehen, ohne deshalb im Geringsten weniger eifrig die Vernichtung der Frevler zu betreiben. Wenn die Modocs in den Felsen bleiben oder gehalten werden können, dann scheint man völlige Isolirung und schließliches Aushungern jetzt als das einzige Mittel erkannt zu haben, zum Ziele zu kommen. General Sherman hat mit gewohnter Energie die Sache selbst in die Hand genommen; von Süden und Osten werden Regimenter nach dem Schauplatz des Kampfes geschickt, um das Lavabett mit Erfolg einschließen zu können, und Detachements sind an verschiedenen Punkten stationirt worden, um die Modocs bei einer Flucht abzufangen. Außerdem werden die Indianerstämme Oregons und Californiens allenthalben scharf bewacht und die zerstreuten Forts verstärkt.

Mit Ausnahme der einzigen Warm-Spring-Indianer, die mit siebzig Kriegern so weit wenigstens den Truppen treu zur Seite gestanden haben und nicht unerhebliche Dienste leisten, zeigen sämmtliche Stämme eine düstere feindselige Haltung oder äußern ganz unverhohlen ihre kriegerischen Gefühle in drohenden Reden und wilden Kriegstänzen. General Sherman hegt zwar, seinen Aeußerungen nach, keine ernsten Befürchtungen für einen allgemeinen Indianerkrieg; allein seine Rüstungen zeigen deutlich, daß er sich für einen solchen Fall vorsieht. Zu diesen Vorbereitungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_406.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)