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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

dieser natürliche Hang der allen Vögel zu gut, nein! auch der Pfleglinge anderer Arten erbarmen sich die Paarvögel, um so mehr, wenn sie solche mit ihren wahren Kindern ausgebrütet haben. Dutzende von jungen Vögeln, welche in fremden Nestern aus untergeschobenen Eiern entstanden und getreulich von den Pflegern großgezogen wurden, haben uns von dem mächtigen Zuge der barmherzigen Samariterschaft überzeugt, welcher auch durch die Thierwelt geht.

In allen Fällen ferner, in welchen der junge Kukuk das Schicksal hat, von Stiefeltern erzogen zu werden, von welchen er vermöge ihrer geringen Größe nicht hinreichend Futter erlangt, oder zufolge deren Lebensweise ihm nicht zusagende Nahrung gereicht wird, wie zum Beispiel bei Körnerfressern, bleibt er klein und verkümmert, was wir ebenfalls durch eine Reihe von Vorkommnissen in der Natur begründet gefunden haben.

An unsere eigenen Beobachtungen möge sich nun die ebenso interessante als zum ersten Male vollkommen bestätigte Entdeckung in der Vogelkunde knüpfen, daß unser Kukuk auch zuweilen selbst brütet. Ein bewährter Vogelkenner, Herr Kießel in St. Johann an der Saar, bereitete uns das Vergnügen, den merkwürdigen Vorfall uns im Sommer 1868 brieflich mitzutheilen.

Hiernach ist durch drei Augenzeugen und Kießel selbst unumstößlich bewiesen, daß in einem Walde bei St. Johann Ende Mai 1868 von den dortigen Holzhauern ein weiblicher Kukuk auf zwei Eiern im Haidekraut ohne alle Nestbereitung brütend aufgefunden und außerdem von den vier Zeugen brütend gesehen wurde. Es ist weiter von Kießel und den andern Zeugen beobachtet worden, daß der Kukuk beide Eier gezeitigt und die Jungen großgezogen, überhaupt eine auffallende Mutterliebe zu denselben kundgegeben hat. Durch dieses Vorkommniß ist ein ganz neuer Zug in der Fortpflanzungsgeschichte unseres Kukuks aufgedeckt, wodurch er sich seinen beiden nordamerikanischen Verwandten, dem gelbschnäbligen oder Regenkukuk und dem schwarzschnäbligen oder rothäugigen Kukuk, in seiner ausnahmsweisen Nistweise nähert.

Lassen wir alle Scenen und Thatsachen unserer Beobachtungen und Untersuchungen nochmals vor unserem geistigen Auge vorüberziehen, so ergiebt sich folgende Gruppe von Wahrnehmungen über unseren Vogel:

  1. Der Kukuk übergiebt sein Ei vielen Arten unserer kleinsten und kleineren Sänger. Kann er über das Nest zum Eiablegen nicht gelangen, so legt er in der Nähe des erwähnten Nestes sein Ei auf den Boden, um es sodann im Schnabel zu den fremden Eiern zu tragen.
  2. Das Ei des Kukuks ist im Farbenton sehr veränderlich, stets aber gezeichnet, und im Allgemeinen auf zwei Grundfärbungen zurückzuführen: auf den bräunlich- oder röthlichgelben und grauen.
  3. In der Regel unterscheidet sich das Kukuksei in Größe, Farbe, Zeichnung und Korn auffallend von den Nestgelegen; entfernte Aehnlichkeit mit andern Nestgelegen ist bei dem grauen oder gelblichen Grundtone vieler Sängereier wohl hin und wieder möglich, jedoch nichts mehr als – natürlich.
  4. Der weibliche Kukuk sucht und findet gewöhnlich hinlänglich Nester mit Gelegen, denn seine Legzeit erstreckt sich im Allgemeinen von Mitte Mai bis Mitte Juni, in welcher Zeit die meisten einheimischen Sommervögel nisten. Er schiebt sein Ei aber nicht selten Pflegern zu, bei deren Nahrung der ausgebrütete Vogel nur schlecht oder gar nicht gedeiht, oder bei deren geringer Größe der vielbedürftige Stiefsohn bei dem geringen Maße von Futter verkümmert oder verhungert.
  5. Die nicht selten unpassende Nesterwahl des Kukuks begründet einmal seine mäßige Vermehrung, zum Andern die abweichende Größe und Färbung der Art.
  6. Völlig haltlos ist die Annahme, die Natur verfolge einen besonderen Zweck oder Plan zur Erhaltung der Kukuksart; ebenso grundlos als überflüssig das Dogma von der Fähigkeit des Kukukweibchens, nach welcher dasselbe Eier bestimmter Ausprägung zu andern ganz gleichen oder ähnlichen lege; grundlos, weil nach 3 thatsächlich das Kukuksei von dem Nestgelege regelmäßig entschieden abweicht; überflüssig, weil fast alle friedlichen Brutvögel fremde, untergeschobene Eier, welche sie zu bedecken vermögen, zeitigen und die ausgebrüteten Jungen pflegen und großziehen.
  7. Der weibliche Kukuk besucht von Zeit zu Zeit die Orte, woselbst er seine Eier abgelegt hat, und es scheint, als wenn er hin und wieder zur Zeit der Ausschlüpfung des jungen Kukuks das Nestgelege des Brutvogels theilweise oder ganz aus dem Neste herauswerfe. Alte Kukuke verzehren jedoch zuweilen die ganze Brut sammt dem jungen Kukuk.
  8. Sobald zwei Kukuke in einem und demselben Neste ausgebrütet werden, entsteht in den ersten Tagen ein Kampf zwischen beiden, welcher mit dem Tode des schwächeren endet, der von dem andern aus dem Neste geschoben wird.
  9. Der noch kahle und blinde Kukuk ist befähigt, zuweilen auch sehr geneigt, Stiefgeschwister aus dem Neste hinauszuschieben oder hinauszuwerfen. – Ob er Eier aus dem Neste zu bringen vermag, bleibt zweifelhaft, kann aber möglich sein.
  10. Es kommt vor, daß der Kukuk ausnahmsweise seine Eier ohne besondere Nestbereitung selbst ausbrütet, die ausgebrüteten Jungen pflegt und großzieht.
Adolf Müller. 
Das Jubiläum der deutschen Oper.
Von Robert Keil.

Daß Weimar in der glänzendsten Epoche deutscher Literatur die Pflegestätte, der eigentliche Brennpunkt deutscher Dichtkunst – daß

„Weimar-Jena, die große Stadt,
Die an beiden Enden viel Gutes hat,“

für Wissenschaft und Kunst längere Zeit das geistige Centrum ganz Deutschlands war, ist ein der gesammten gebildeten Welt bekanntes Factum; weniger bekannt dürfte es sein, daß Weimar, das kleine Weimar, zugleich die Wiege der deutschen Oper war. Den verdienstvollen Studien E. W. Weber’s und Ernst Pasqué’s über die Geschichte des Weimarischen Theaters sind die nähern Nachweisungen zu verdanken. Gerade die jetzigen Wochen mahnen aber daran, jener für die Geschichte der deutschen Kunst so bedeutungsvollen Thatsache zu gedenken.

Mit dem Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war die deutsche Oper von den Bühnen völlig verschwunden, und während in den folgenden dreißig Jahren, bis 1773, die komische Operette (namentlich von Weiße und Hiller bearbeitet) fröhlich erblühte, existirte die eigentliche deutsche Oper, die große oder ernste Oper, das musikalische Drama nicht mehr. Kein namhafter deutscher Dichter dachte daran, sein Talent der Operndichtung zuzuwenden, kein deutscher Componist hielt es für möglich, für die große Oper das sangbare, weiche Italienisch durch die deutsche Sprache zu ersetzen. Erst dem Einfluß einer kunstsinnigen Fürstin, erst dem genialen Gedanken eines unsrer größten Dichter haben wir es zu verdanken, daß endlich, im Jahre 1773, die deutsche ernste Oper, das musikalische Drama wieder, oder sagen wir lieber, zuerst in das Leben gerufen wurde.

Die Jugend der Braunschweiger Prinzeß Anna Amalie, der Nichte Friedrich’s des Großen, war, wie ihr eigenes rührendes Selbstbekenntniß bemerkt, keineswegs eine glückliche. Nicht geliebt von ihren Eltern, immer zurückgesetzt, ihren Geschwistern in allen Stücken nachgesetzt, ja der „Ausschuß der Natur“ genannt, zog sie sich ganz in sich selbst zurück und wurde zurückhaltend. So gewann sie schon früh einen selbstständigen, festen Charakter, während ihr junges, liebebedürftiges Herz von frischer Lebenslust überströmen mochte. Sie erachtete es als Erlösung aus harten Banden, als sie im siebenzehnten Jahre (1756) mit Herzog Ernst August Constantin von Weimar sich vermählte. Ihr Einzug in Weimar sollte der Beginn einer großen, glänzenden Periode für Weimar und Gesammtdeutschland werden, aber ihre glückliche Ehe sollte zugleich eine allzukurze sein. Schon nach zwei Jahren war sie, die erst neunzehnjährige Fürstin, Wittwe und hatte die Sorge der Erziehung ihrer beiden Söhne, die Sorgen der Regentschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_409.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)