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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Physiognomische Aufgabe.
Nr. 3.

Im Jahre 1846.



des Weimarischen Landes in stürmischer, kriegbewegter Zeit zu übernehmen. Mit Hingebung und Aufopferung erfüllte sie diese Pflichten, und Frau Rath, die ihr geistesverwandte Mutter Goethe’s, sagte nicht zu viel, als sie dieselbe die „liebenswürdigste, beste Fürstin“ nannte, „eine Fürstin, die wirklich Fürstin ist, die der Welt gezeigt hat, daß sie regieren kann, die die große Kunst versteht, alle Herzen anzuziehen, die Liebe und Freude um sich her verbreitet, die, mit einem Worte, zum Segen für die Menschen geboren wurde.“ Sie war, um mit Goethe selbst zu reden, eine vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinn und Neigung zum Lebensgenuß. Die Wollust, andere Menschen glücklich zu machen, an ihrem Vergnügen, an ihrer Zufriedenheit Antheil zu nehmen, dieses sanfte Gefühl, diese entzückende, reine Freude versüßte ihr alle Leiden. Geistvoll, für Wissenschaft und Kunst begeistert und voll unermüdlicher geistiger Empfänglichkeit, sorgte sie nicht nur für die aufblühende Universität Jena, für Gymnasien und Bibliothek in Weimar und überhaupt für die Pflege der Wissenschaften, sondern auch für die Pflege der Kunst. In der Musik hatte sie in Braunschweig unter Fleischer, einem tüchtigen Lehrer, ihre Schule gemacht; sie hatte die Musik liebgewonnen, war Kennerin, ja selbst Meisterin derselben geworden, so daß sie später die Arien zu Goethe’s „Erwin und Elmire“ selbst componirte. Das Theater sollte nach ihrer Anschauung eine Schule der Tugend und Sitte sein, sollte nicht allein dem Hofe die anständigste Unterhaltung, den Personen von Geschäften die edelste Erholung von ihren Amtsarbeiten und der müßigsten Classe von Einwohnern der unschädlichste Zeitvertreib sein, sondern auch den untern Classen öffentliche Gemüthsergötzung bieten. Von solcher Anschauung geleitet, unterhielt sie das schon im Jahre 1757 in dem nach der Ilm zu gelegenen Flügel des Schlosses (der Wilhelmsburg) zu Weimar gegründete Hoftheater und ließ dort regelmäßig drei Mal in der Woche öffentlich spielen, zu unentgeltlichem Besuch und Genuß von Jedermann, eine Liberalität, wie sie an keinem andern Hofe, in keiner andern Stadt Deutschlands zu finden war. Aber Herzogin Amalie ging noch weiter.

Während man an andern Höfen sich obenhin durch schöne, dem Ohre schmeichelnde Melodien, Opernstaat und Decorationsprunk ergötzte, wollte sie durch edle Gebilde dramatischer Poesie und gediegene Musik geistig erregt und gehoben sein, und während sonst überall die höheren Stände und vollends die Höfe in unglückseliger Modethorheit auch in der Kunst nur dem Fremdländischen huldigten und auf die deutsche Musik mit Verachtung blickten, war Amaliens Liebe und Zuneigung dem Vaterländischen zugewandt. Ihr Augenmerk richtete sich daher auf Heinrich Gottfried Koch in Leipzig, welcher mit seiner tüchtigen Schauspielergesellschaft mit Vorliebe die Oper pflegte und unter großem Beifall eine deutsche Uebersetzung einer englischen Oper, mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_410.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)