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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen
Von Herman Schmid
(Fortsetzung.)


Draußen angekommen, hatte der alte Lindhamer bereits sich selber wieder gefunden: er athmete ein paar Male hoch auf, als ob er eine Last von seiner Brust wegbringen wolle, und machte sich von Th’res frei.

„Es ist wieder vorbei,“ sagte er dann vollkommen gelassen, „über dem dummen Zeug da drinnen wär’ mir fast ein Bischen schwindelig geworden;, aber ich spür’s, wenn auch die Augen auslassen, mein Kopf ist doch noch der alte, Gott sei Dank! Aber jetzt wollen wir uns bald auf den Heimweg machen – Du hast ja alleweil’ gesagt, Th’res, Du willst allerhand einkaufen. Thu’s! Mir ist just ein Gang eingefallen, den ich noch machen muß. … In einer Stund’ triffst Du mich im Bräuhaus, wo wir eingestellt haben … der Dickel geht mit mir – und so b’hüt’ Dich Gott, Th’res, und kauf’ gut ein!“

Aufrecht und hastig, wie lange nicht, schritt er hinweg. Th’res wollte ihm überrascht folgen, mußte aber bald erkennen, daß es unmöglich sei, Den einzuholen, der nicht eingeholt sein wollte. Unruhig, von ängstlichen Sorgen und Befürchtungen erfüllt, kehrte sie bald zurück; das Einzige, was sich ihr als jetzt noch möglich zeigte, war, bei dem Sohne zu versuchen, was beim Vater nicht gelungen war, und zu verhindern, daß sich Beide begegneten, ehe die erste Aufregung des Vaters dem Verlaufe einiger Stunden gewichen war. Es galt vor Allem, Wolf zu finden und aufzuhalten, und dazu bot sich die Gelegenheit von selbst, denn eben war die Vorstellung in der Gauklerbude zu Ende gegangen; unter den herausdrängenden Zuschauern mußte sich auch der Erwartete befinden; aber Secunde um Secunde verging; bald hatte die Hütte sich vollständig entleert, und Wolf war nicht sichtbar geworden.

Unter gemischten, sehr eigenthümlichen Empfindungen war ihm die Aufführung des Tanzes vorübergegangen; so entschieden und rasch er sonst in allen Dingen war, so befangen fühlte er sich, als der Vorhang fiel und er sich auf der kleinen Bühne den Blicken Aller ausgesetzt sah. Am liebsten wäre er wieder aufgesprungen und hätte Cither und Tanz im Stiche gelassen, aber sofort war ihm auch klar, daß das nur noch größeres Aufsehen hervorgebracht haben würde; so nahm er sich zusammen, sah starr auf seine Cither nieder und spielte seinen Part ab, ohne einen Blick in den Zuschauerraum zu werfen. Er gewahrte daher wohl, daß dort etwas vorging und Einige die Bude verließen, aber er war nicht im Stande, die Personen zu erkennen. Wie von einer Kette befreit, hatte er dann sogleich seinen Platz verlassen und wollte sich durch die Hinterthür entfernen, denn es war ihm unerträglich, sich jetzt unter die Leute zu mischen; dort hoffte er unbeachtet entschlüpfen zu können, aber noch am Thürvorhange fühlte er sich von einer weichen Hand gefaßt und zurückgehalten.

Die Tänzerin, erregt von Tanz und Beifall, das Tamburin noch in der Hand, stand vor ihm.

„Wollt Ihr schon fort, guter Freund?“ sagte sie mit schmeichelndem Tone. „Und noch dazu heimlich, daß ich Euch nicht einmal danken kann? Das ist nicht recht von Euch.“ Dabei legte sie ihre Hand auf die seinige, eine Hand, so fein, wie er noch keine berührt hatte.

„Da ist nichts zu danken,“ sagte er kurz und störrisch und wollte seine Hand losreißen; er unterließ es aber, als er dem Mädchen in Gesicht und Auge sah, deren Aehnlichkeit ihn schon einmal milder gestimmt hatte. Da war diesmal jener eigenthümlich schmerzliche Zug um den Mund zu sehen, der ihr einen Ausdruck gab, als ob ihr das Weinen näher stünde als das Lachen. „Es ist gern geschehen – schon der Leut’ wegen, die sonst die Tänzerin nicht zu sehen gekriegt hätten.“

„Ich glaube das wohl,“ entgegnete sie mit leichtem Anfluge von Kränkung, „meinetwegen habt Ihr’s nicht gethan, hättet auch keine Ursache dazu gehabt, aber mir kommt’s demungeachtet zu, Euch zu danken. … Ihr habt sehr gut gespielt. Der Tanz ist mir noch selten so gelungen; ich wollte, ich könnte immer nach Eurem Spiele tanzen.“

Wolf lachte; es war eine halb verlegene Antwort, da er eine solche in Worten nicht fand.

„Ich weiß, warum Ihr lacht,“ fuhr sie fort, „ich kann mir’s denken, wenn Ihr’s auch nicht sagt. Ihr lacht, weil ich eine herumziehende Komödiantin bin und Ihr ein Bauer; aber es kommt mir so vor, als wenn Ihr einen Rock anhättet, für den Ihr nicht geboren seid. Ihr könnt mehr und Gescheidteres, als hinterm Pfluge dreingehen; das können Andere auch, bei Euch aber wär’ es schade, wenn eine solche Anlage zum Künstler vergraben würde. Wenn Ihr mit uns ziehen könntet, Ihr würdet bald ein berühmter Mann sein und gewiß Gefallen finden an dem lustigen Komödianten-Wanderleben.“

Wolf lachte wieder, aber diesmal laut und von Herzen, es kam ihm lustig vor, daß man ihm einen solchen Vorschlag machte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_415.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)