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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Famulus Wagner – gerade in die Wertherzeit. Im Sommer von 1774 sodann muß der Dichter fortgefaustet haben. Denn als im September Klopstock als Gast im goethe’schen Hause weilte, las ihm der Wolfgang, wie er uns selbst erzählt, die „neuesten“ Scenen des Faust vor. Von da ab ist die Arbeit an dem großen Werke bis zum Abgange des Dichters nach Weimar wohl nie wieder ganz ausgesetzt worden. Denn wir dürfen zuversichtlich glauben, daß der labyrinthische Lebenswirrwar und das peinvolle Herzenswirrsal, worein Goethe gerade jetzt durch seine Beziehungen zu Lavater, zu Basedow, zu Jakobi, zu den Stolbergen und zu dem Erbprinzen von Weimar, sowie durch seine Leidenschaft für Lili geworfen wurde, die Fauststimmung mächtig in ihm genährt und ihn zu zeitweiligen vulkanischen Ergüssen derselben getrieben haben.




Neueste Streiche des abessinischen Räuberfürsten.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.


Noch kein Jahr ist verflossen, seit ich den Lesern der Gartenlaube von dem erbaulichen Lebenslauf des abessinischen Räuberfürsten Aba Kaissi, Schwiegersohnes des berühmten deutschen Naturforschern Dr. Schimper, erzählte. Ich vermeinte damals so ungefähr das Ende dieses abenteuerlichen Lebens geschildert zu haben, denn zu der Zeit, welche der Schluß meiner Erzählung begriff, lebte ihr Held, hülflos und verlassen, nicht viel besser, als ein gemeiner Landstreicher, in den Bergen, mitten unter den Thieren des Waldes und schien alle Aussicht zu haben, dort elend zu Grunde zu gehen. Aber ein wahrer Abenteurer ist unberechenbar. In den acht Monaten, die verflossen sind, seit meine Leser zuletzt von Aba Kaissi gehört haben, hat dieser Tausendsasa schon wieder so viel Stoff für’s Erzählen abgegeben, daß man mit einigem Mühlbach’schen Talent daraus füglich einen historischen Roman machen könnte. Ich will jedoch den Leser mit solchen hochromantischen Ausschmückungen nicht langweilen, sondern ihm lediglich die Thatsachen mittheilen. Den Roman daraus wird er sich mit Leichtigkeit selber machen können.

Am Schluß meiner letzten Erzählung also lebte Aba Kaissi (zuweilen auch Käse ausgesprochen, wobei man aber nicht an das deutsche Wort denken darf), nachdem er in allen Gefechten geschlagen worden war, mit einigen wenigen Getreuen im Hochland von Abessinien. Die Bauern der umliegenden Dörfer hatten alle Furcht vor ihm verloren, und so konnte er keine Lebensmittel mehr erpressen. So blieb ihm also zum Lebensunterhalt nichts, als die Erzeugnisse der Jagd. Und was für einer Jagd! Der Jagd auf Löwen, Elephanten, Rhinocerosse, Panther, Leoparden. Aber, lieber Leser! Ich wünsche dir nicht, daß du jemals genöthigt würdest, vom Fleisch dieser Raubthiere zu leben. Die Jagd auf solche Thiere mag für den Liebhaber sehr angenehme Aufregungen mit sich bringen. Aber – leben kann man von ihr nicht. Das Fleisch dieser Herren des Waldes ist durchweg ungenießbar. Es ist so hart ungefähr wie altes Leder und so unverdaulich wie Schuhsohlen. Aba Kaissi hatte dies bald empfunden, und da ihm bei solcher Kost dauernd fortschreitende Abmagerung und schließlich ein elendes Ende bevorstand, so entschloß er sich, den Wald zu verlassen. Wo aber sollte er hingehen? In der ganzen Umgegend waren die Landleute so sehr gegen diesen Räuberhauptmann ergrimmt, daß sie ihn unfehlbar todtgeschlagen hätten, wenn anders sie die Macht dazu hatten. Daß sie aber nunmehr diese Macht bekommen hatten und daß der geringe Anhang des einstigen gefürchteten Räuberfürsten ihnen jetzt keinen großen Widerstand mehr zu leisten vermochte, davon glaubten sie überzeugt zu sein. Der Abenteurer selbst wagte es nicht mehr, den offenen Kampf aufzunehmen. Aber fort mußte er aus dem grausigen Walde und dazu bediente er sich einer List.

Diese List kam eigentlich nicht von ihm selbst, sondern von seiner bessern Hälfte, seiner Frau nämlich, die, wie sich der Leser erinnern wird, die Tochter eines Deutschen war. Unser Vaterland kann sich also rühmen, auf mittelbare Weise auch etwas zur Rettung Aba Kaissi’s beigetragen zu haben. Diese Tochter eines Deutschen, obgleich sie von ihrem Manne auf eine sehr wenig ritterliche Art entführt oder vielmehr geraubt worden war, hatte ihn doch lieben gelernt und war ihm so anhänglich, daß sie, kaum von seinem Unglück unterrichtet, ihn aufsuchte, um seine Gefahren zu theilen und ihn womöglich zu retten. Im Wald bei ihrem Gatten angekommen, sah sie ein, daß derselbe dort zu Grunde gehen würde, daß es aber für ihn noch gefährlicher sei, sich offen durch die Umgegend zu wagen. Sie schlug ihm deshalb eine Verkleidung vor. Man sagt, diese Verkleidung sei ganz einfach die gewesen, daß sie mit ihrem Mann den Anzug wechselte, daß also der fürchterliche Räuberhauptmann als Frau verkleidet das Gebirge verlassen hätte. Die Sache klingt etwas schwer glaublich, ist aber doch nicht unmöglich, denn Aba Kaissi konnte in der That so der Beachtung der Männerwelt gänzlich entgehen, wenn diese nicht vorbereitet war. Ein sehr häßliches Frauenzimmer schaut Niemand an, und Aba Kaissi soll in seinem Weibercostüm abschreckend genug ausgesehen haben. Wie dem auch sein mag, das Endergebniß war sein glückliches Entkommen mitten durch die von seinen Feinden bewohnten Dörfer.

Nun war er zwar frei, aber seines Bleibens konnte einstweilen in Abessinien nicht sein, da der König Kassa, der ihn besiegt und fast alle seine Anhänger theils hingerichtet, theils gefangen hatte, ein zu wachsames Auge auf seine Schritte gehabt hätte. Er entschloß sich also, auf ägyptisches Gebiet zu fliehen und zwar in die Hafenstadt Massaua, die zwar staatlich nicht mehr zu Abessinien gehört, aber örtlich ihm so nahe liegt und von so innig mit den Abessiniern verwandten Menschen bewohnt wird, daß ein Abessinier sich dort nicht in der Fremde fühlt. Indeß er irrte sich, wenn er glaubte, daß er dort wie ein gewöhnlicher Reisender würde leben können. Dazu war er viel zu berühmt. War doch Massaua voll von Anekdoten über den Räuberfürsten. Die ägyptische Regierung verweigerte ihm zwar die Gastfreundschaft nicht, aber sie gewährte sie ihm – im Gefängniß!

Indeß bald scheint diese Regierung zur Einsicht gekommen zu sein, daß ein so berühmter Mann mehr Rücksicht verdiene. Man beschloß also, ihm eine beschränkte Freiheit zu lassen, und begnügte sich damit, ihn in der Stadt zu interniren. Er bekam ein schönes, großes Haus als Wohnung angewiesen, das ich Ihnen Zimmer für Zimmer beschreiben könnte, denn ich habe es selbst im Jahre 1871 einige Monate lang bewohnt. Dort sammelten sich viele Abessinier um ihn, so daß er sich in kurzer Zeit von einem kleinen Hofstaat umgeben sah. Dieses gesammte Volk wurde von der ägyptischen Regierung ernährt und lebte herrlich und in Freuden, besonders da auch für geistige Getränke gesorgt war. Solche erhielt er zwar nicht von der Regierung, sondern von den Neugierigen aus der Stadt, die den Räuberfürsten gern von seinen Thaten erzählen hörten und wohl wußten, daß ein Abessinier nur im geistig (das heißt durch geistige Getränke) erregten Zustande gut erzählt. Auch das sämmtliche dunkelhäutige schöne Geschlecht von Massaua schwärmte für Aba Kaissi, und dieser war für solche Verehrung keineswegs unempfindlich. Die Frauen von Massaua sind gar nicht häßlich, ja vielleicht die schönsten unter allen Schwarzen. Ein Europäer freilich wird immer ein kleines Grauen vor ihnen empfinden, und zwar wegen der allzureichen und allzufetten Salbung und Oelung ihrer Haare und ihres Körpers. Die kleinen schwarzen Ringellocken, genau von der Form eines Pfropfenziehers, triefen oft dermaßen von flüssiger Butter, und diese Butter ist nach unsern Begriffen so wenig appetitlich, daß selbst die reizendsten Formen dieser butterbegossenen Schönen bei dem Europäer ihre Anziehungskraft verfehlen. Indeß Aba Kaissi hatte keine so feinen Nerven. Bald hatte eine oder die andere dieser schwarzen Schönheiten seine Gunst errungen, um die sich sehr viele bewarben, denn es kann einmal nicht in Abrede gestellt werden, daß ein Räuber für das zarte Geschlecht große Anziehungskraft besitzt, wahrscheinlich des Contrasts wegen, der darin liegt, daß derjenige, der für andere Menschen ein Tiger, für sie ein frommes Lamm ist. Welch ein Triumph für die weibliche Eitelkeit, einen solchen Tiger, sei es auch nur für wenige Stunden, gezähmt zu haben!

Damit hatte aber Aba Kaissi finstere Wolken am ehelichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_423.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)