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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Vom Cultus der Küche.


„Gern möchte ich den fünfhundert Bänden meiner sämmtlichen Werke als letzten ein Kochbuch anreihen,“ pflegte Dumas der Vater gelegentlich zu äußern. Daß er ein famoser Esser war, ganz ebenso wie er als Erzähler seines Gleichen suchte, ja, daß er selbst als praktischer Magen- und Tafelphilosoph Erkleckliches leistete; daß er gewissermaßen instinctiv studirte, welche Nahrung höher angelegte Naturen erfordern, und schon in jungen Jahren die Rolle vollkommen begriff, die den Tafelfreuden im menschlichen Leben gebührt – das Alles wußten seine Freunde und Bekannten. Man wußte auch, wie er auf seinen mannigfaltigen Reisen mit Vorliebe die nationale Küche der verschiedenen Länder studirte und ausländische Gerichte in seinem eigenen Hauswesen einzubürgern suchte; trotz alledem hielt man indeß den obenangeführten Wunsch für einen bloßen Scherz des so gern phantasirenden Autors, und bisher hat Niemand nur einen Augenblick geglaubt, der unerschöpfliche Novellist werde seine literarische Wirksamkeit allen Ernstes mit einem Kochbuche abschließen, wenn es auch in Deutschland wiederholt geschehen ist, daß beliebte Schriftsteller, namentlich Novellisten, ihre küchenkünstlerischen Erfahrungen zu dergleichen Productionen beigetragen haben.

Und doch ist Dumas der Große in der That mit einem Werke über die Kochkunst von dem Schauplatz dieser schreibseligen Welt abgetreten: das „Dictionnaire de Cuisine ist es, welches er uns als Vermächtniß seiner rastlosen Feder hinterlassen hat. Zwei Jahre vor seinem Tode, im Sommer 1869, setzte er sich an die Arbeit, und im darauffolgenden März übergab er das vollendete Manuscript seinem Freunde und Verleger Alphonse Lemerre. Da kam der Krieg, bald auch die Belagerung von Paris, und so erklärt es sich, daß die Veröffentlichung des Buches auf sich warten ließ. Jetzt aber liegt das Opus vor uns, ein dickleibiger fünf Pfund schwerer und zwanzig Franken kostender Band, der an einzelnen Stellen wohl die Spuren fremder Hände aufweist, im Ganzen jedoch unverkennbar das Gepräge seines eigentlichen Urhebers trägt und jedenfalls nicht zu dessen schlechtesten Schöpfungen zählt. Man sieht, Dumas beherrscht das Gebiet vollkommen, auf welchem er sich hier bewegt, und ergeht sich darin so recht mit Behagen, während einzelne Geistesblitze und eine Fülle antiquarischer und geschichtlicher Belehrung das Buch auch für Den, der kein fachliches und praktisches Interesse daran nimmt, zu einer fesselnden Lectüre machen. Wenn wir seinen Inhalt deshalb in den nachstehenden Zeilen etwas näher betrachten, so glauben wir der Zustimmung unserer Leser uns versichert halten zu dürfen.

Dumas’ Wahlspruch lautet: „Der Mensch nährt sich nicht von dem, was er genießt, sondern von dem, was er verdaut.“ Von unserer Geburt an stehen wir unter dem Gesetze, täglich wenigstens drei Mal zu essen, damit wir die Kraft wieder ersetzen, die wir durch Arbeit oder, häufiger noch, durch Müßiggang verbrauchen. Welchem Lande und Volke der Mensch angehört, zu welchem religiösen Glauben oder Aberglauben er sich bekennt – Essen und Trinken bildet eine Hauptsorge für die civilisirte wie für die uncivilisirte Menschheit. Einzig und allein der gänzlich Wilde ißt aus reinem Hunger; der höher oder geringer civilisirte Mensch ist überall mehr oder weniger Feinschmecker.

Für den civilisirten Menschen aber ist Dumas’ Werk geschrieben; seinen Appetit soll es reizen und leiten. Der Appetit, dieses Kennzeichen der Cultur, ist, nach unserm Verfasser, dreierlei Art. Da haben wir den Appetit, den man nach längerem Fasten empfindet; er ist nicht wählerisch; jede Speisekarte hat seinen Beifall, ja, im Nothfalle macht er wohl keinen Unterschied zwischen einem Bissen rohen Fleisches und einem getrüffelten Fasan. Nach ihm kommt jener Appetit, der sich einstellt, wenn wir uns, ohne gerade hungrig zu sein, an eine wohlbestellte Tafel setzen; es ist derselbe, dem das französische Sprüchwort seine Entstehung verdankt „L’appétit vient en mangeant.“ Eine dritte Art von Appetit pflegt sich einzustellen, wenn etwa am Schlusse eines verschwenderischen Mahles, wo man sich bereits mehr als gesättigt und das Bedürfniß fühlt, vom Tische aufzustehen, als Ueberraschung noch eine besonders leckere Schüssel erscheint, deren Versuchung der feinere Gaumen nicht zu widerstehen vermag.

In den geringeren Speisehäusern und kleinen Gasthöfen Englands herrscht bekanntlich noch heute der Brauch, sich des Tischtuches als Serviette zu bedienen, eine Sitte, welche bei uns selbst in den Dorfschenken mehr und mehr außer Cours kommt. Im Alterthum war der Luxus einer Serviette Jahrhunderte hindurch eine ungeahnte Behaglichkeit; erst die späteren Griechen fügten dieses Raffinement ihren üppigen Tafelgenüssen hinzu, doch so, daß jeder der zu einem Gelage eingeladenen Gäste sich seine eigene Serviette mitbrachte, von denen manche über und über mit Gold bestickt war. Bei den Römern hatte man selbst unter den Kaisern im Allgemeinen noch keine Servietten; Alexander Severus betrachtete es als sein fürstliches Vorrecht, sich zu seinem ausschließlichen Gebrauche kleine Tücher von gestreifter Leinwand weben zu lassen, mit denen ihm eigens dazu angestellte Sclaven während der Mahlzeit die Hände reinigen mußten.

Welche Seltenheit vor der Entdeckung Amerikas durch Columbus und vor der Auffindung des Seewegs nach Ostindien durch Vasco de Gama die Gewürze ausmachten, wissen unsere Leser. Noch im dreizehnten Jahrhundert galten sie für eine so kostspielige Rarität, daß, als der Abt von Saint Gilles in Languedoc dem König Ludwig ein sehr dringendes Anliegen vorzutragen hatte, er sein Gesuch nicht besser unterstützen zu können glaubte, als durch Ueberreichung eines Bündels von Zimmt und Muscatnüssen. Nannte man doch die damals üblichen Geschenke an richterliche Beamte kurzweg „Epices“, und selbst heute ist dieses Wort in Frankreich noch nicht völlig außer Gebrauch gekommen. Der Pfeffer bildet erst seit etwa hundert und zwanzig Jahren im europäischen Abendlande einen gewöhnlichen Bestandtheil unserer Tafelausstattung. Vorher wurde er buchstäblich mit Gold aufgewogen. Specereihändler, welche das Glück gehabt hatten, einige Unzen davon zu erlangen, setzten mit nicht geringem Stolze auf ihr Ladenschild: „Epicier et Poivrier“ (Würzkrämer und Pfefferhändler).

Dumas neigt der Ansicht zu, daß die Gewürze als Reizmittel auf den menschlichen Geist einwirken, und meint allen Ernstes, Ariost, Tasso, Boccaccio, Titian und andere Herrscher im Reiche der Kunst und Poesie haben durch stark gewürzte Speisen ihre Phantasie zu befeuern gesucht. Gewiß sei, daß Leonardo da Vinci, Tintoretto, Paul Veronese, Guido Reni, Rafael etc. sich als Feinschmecker hervorgethan haben.

Zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts, unter Ludwig dem Zwölften und Franz dem Ersten, hielt man, wie auch bei uns in Deutschland, seine Hauptmahlzeit um zehn Uhr Morgens und nahm um vier Uhr Nachmittags das Abendbrod ein. Hundert Jahre danach waren beide Mahlzeiten schon auf spätere Stunden verlegt; man dinirte um Mittag und soupirte um sieben Uhr Abends, wie dies in ehrsamen deutschen Bürgerhäusern noch heute der Fall zu sein pflegt. In vornehmen Familien verkündete meist ein Hornsignal den Beginn der jedesmaligen Mahlzeit. Daher der Ausdruck „Corner le dîner“, dem wir in älteren französischen Schriften begegnen. An einigen deutschen Fürstenhöfen wird noch heutigen Tags zum Diner „geblasen“, und es existiren mehrere Residenzen, wo zu diesem Behufe ein eigener „Hoftrompeter“ angestellt ist und entsprechend besoldet wird.

Den ersten Restaurant in Paris errichtete ein gewisser Boulanger in der Rue des Poulies um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ueber seiner Thür prangte die Inschrift: „Kommt Alle her, die Ihr kranken Magens seid, und ich werde Euch wieder herstellen!“ Die Erfindung der Restauration bezeichnet in Wahrheit einen großen Culturfortschritt. Die wenigen Gasthöfe, welche damals sogenannte Tables d’hôte hielten, verabreichten an Speisen nur das durchaus Nothwendige, um Leib und Seele nicht verkommen zu lassen; die Traiteurs oder Garköche aber verkauften blos ganze Kalbsschlegel oder Rinder- und Hammelkeulen. Der Gedanke jenes Boulanger, eine Anstalt in’s Leben zu rufen, wo man sich mit einem Freunde gütlich thun konnte, ohne einen ganzen Truthahn oder ein völliges Lendenstück zahlen zu müssen, war also genial, neu der Grundsatz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_428.JPG&oldid=- (Version vom 1.7.2018)