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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


verborgenen Neigung. Wo hatte er seine Augen und wo sein Herz gehabt, daß er einen solchen Schatz erst jetzt erkannte, wo er für ihn verloren war? Wäre er in diesem Augenblicke noch der Erbe des Lindhamerhofs gewesen, er hätte ihr denselben angeboten und sie zu sich auf den Herrensitz gehoben – jetzt als heimathloser, mit einem schlechten Zehrpfennig abgefundener Knecht hatte er ihr nichts mehr zu bieten, jetzt mußte er auf die Liebe verzichten, die sich ihm so rein und ungesucht aufthat, wie ein unvermuteter Brunnquell, und jetzt zum ersten Male zuckte wie ein plötzlicher Dolchstoß der Schmerz über den hingeworfenen Reichthum durch sein Herz.

Schweigend stand er ihr einen Augenblick gegenüber, während die Gaukler, das Paar nicht beachtend, unten vorüberzogen; er hielt noch immer Th’resens Hand in der seinen. Unwillkürlich umschloß er sie fester, und auf seine Lippen drängte sich ein Wort, das ihr sagen sollte, was in ihm vorging; dennoch blieb es unausgesprochen; ein einziger Gedanke kühlte die Erregung ab, daß ihm das warme Blut und mit ihm die warme Rede zurückglitt, wie der vollgeschöpfte Eimer eines Radbrunnens, der bis an den Rand emporgewunden wird, dann aber, plötzlich losgelassen, wieder in die Tiefe stürzt und sich ausgießt – es war der Gedanke, daß er sich nicht schwach zeigen dürfe. Er war dem Vater gegenüber[WS 1] standhaft geblieben, hatte dem Landrichter höhnische Gleichgültigkeit gezeigt und es über sich selbst gewonnen, daß er seinen Verlust nicht höher anschlug, als ein mißlungenes Spielzeug, an dem er lange mit Eifer herumgebasselt und es dann als unausführbar gleichgültig bei Seite geworfen – und einem Mädchen sollte es gelingen, ihn sich selber untreu zu machen? Diesem Mädchen, das ihm bisher nicht mehr gewesen, als eine dienende Hausgenossin? Sie sollte sich rühmen können, daß sie ihn dazu gebracht, seinen in der Erregung des Augenblicks gefaßten Entschluß zu bereuen und zu wünschen, daß seine That ungethan sein möge?

„Es ist wohl Ein Ding, wie Du mich gefunden hast,“ sagte er, sich aufraffend, während Th’res, den stärkern Druck seiner Hand spürend und von schöner Ahnung ergriffen, noch tiefer erröthet war und die Augen noch fester am Boden haften ließ; „ich weiß doch, was ich davon zu denken hab’ und dank’ Dir’s von Herzen, daß Du gesucht hast nach mir. Und so wird halt nichts weiter übrig bleiben, als daß wir das thun, wegen was Du gekommen bist, und ‚B’hüt’ Gott!‘ sagen … B’hüt’ Gott! Th’res – wer weiß auf wie lang!“

„Ja wohl – wer weiß auf wie lang!“ erwiderte das Mädchen mit überströmenden Augen; „es weiß ja kein Mensch nit einmal, wohin Du gehst und was Du thust.“

„Ja ja, das Spiel geht jetzt umgekehrt,“ sagte Wolf ruhig, „erst hab’ ich Dich gefragt, was ich thun sollt’; jetzt fragst Du mich darum, und ich danke Dir dafür, daß Du’s thust. Was ich thun will?“ fuhr er mit Nachdruck fort. „Es ist noch nit lang her, so hätt’ ich Dir nit zu antworten gewußt; ich hab’ alleweil noch hin und her überlegt bei mir selber, aber wie Du mich gefragt hast, ist es mir auf einmal durch den Sinn gefahren, wie wenn Einem ein Stern niederschießt, und jetzt weiß ich ganz genau, was ich zu thun hab’. B’hüt’ Dich Gott, Th’res,“ rief er, ihr noch einmal die Hand schüttelnd, und sprang auf die Straße hinab; dort stand er still und blickte zurück … „Meine Cither gehört Dein, Th’res,“ rief er wärmeren Tones; „wenn Du drauf spielst und wenn Du’s der Müh’ werth findest, so denk’ dabei an den Loder, der sie Dir ’geben hat!“




3.

Es war Herbst und überall zu erkennen, daß die Tage des Welkens gekommen.

Obwohl die Sonne schon ziemlich hoch stand, schien sie doch wie durch einen leichten Duftschleier nur kühl und bleich herab und vermochte nicht, die Nebelstreifen zu bannen, die über den feuchten Niederungen und Moorstrecken der Thalebene lagen oder die Wolkenballen zu zerstreuen, in denen die Berge ihre höchsten Spitzen und Grate verbargen. Die Wiesen sahen sich fahl und bräunlich an; in den Wäldern waren die Tannen schwärzer, die Buchen roth und die Birken gelb geworden; nicht selten auch streckten einzelne früher gealterte Stämme ihr ganzes Gezweige dürr und blattlos dem kühlen Westwind entgegen, während die Büsche und Sträucher an den Gehegen und Straßen entlang als Ersatz für das verlorene Laub mit ihren Wildfrüchten prunkten und die rothe Hagebutte, die saftschwarze Hundsbeere oder die duftblaue Schlehe hin und wider schwenkten. Darüber hin schoß noch hie und da ein verspätetes Schwalbenpaar; wanderbereit schwirrte ein aufgeschrecktes Staarenvolk empor oder das Dreieck schreiender Wildgänse zog unerreichbar hoch nach Süden hin.

An dem Lindhamerhof waren nicht minder die Zeichen erkennbar, daß eine Zeit des Welkens und Verfallens auch in ihm eingekehrt war – Zeichen, wie nicht der Wechsel der Jahreszeit, sondern nur die langsame Zerstörung mehrerer Herbste sie einzuprägen vermochte. Der Gesammteindruck war nicht mehr so behäbig, freundlich, wie einst; die Einheit, die ihm das eigenthümliche Wesen echter Ländlichkeit verliehen hatte, war vernichtet durch eine Menge kleiner Einzelheiten, die, an sich unbedeutend, doch im Ganzen die Absicht verriethen, aus dem Hause etwas Anderes zu machen, als es nach seiner Bestimmung sein sollte, ein Bauernhaus. So war an den Fensterläden der rothe Anstrich mit den weißen Querkreuzen verschwunden und hatte einem matten Grau, wie es in Stadthäusern üblich ist, Platz gemacht, und auf der Gräd waren die Bänke und Klapptische einem steifen modischen Canapee gewichen; an dessen rothgeblümtem Persüberzug hingen indessen die Fetzen herunter. Von dem lustigen Windfähnlein waren Hirsch und Jäger heruntergefallen und der leere Ring sauste zwecklos um die Fahne; die Stangen, an welchen die zierlichen Staarenhäuser gehangen, starrten kahl empor; es war Niemand der Mühe werth gewesen, den munteren Wandergästen die Sommerwohnung zu rüsten; von Zeit zu Zeit schwebte ein leiser getragener Ton über die Höhe hin, wie eine verhallende Stimme der Trauer: es war die von Wolf eingerichtete Windharfe, die verdorben war, weil kein Mensch sie zu erhalten vermochte, und von der nichts übrig geblieben, als eine einzige zufällig ungerissene Saite.

Auf der Rundbank unter der Linde saß der alte Lindhamer und horchte auf das Rauschen der Blätter, deren Fallen und Treiben er nicht sehen konnte; wie sein Haar gänzlich weiß, waren seine Augen vollständig trübe geworden; er konnte keine Arbeit mehr verrichten, kein Geschäft mehr besorgen; mit einem Stocke versehen, vermochte er nur an bekannten Orten seinen Weg zu finden. So war die Bank sein Lieblingsplätzchen geworden, denn sie lag nicht weit von dem kleinen Hause entfernt, das sich, wie bei allen größeren Bauernhöfen, am Ende des Obstgartens erhob, um den in die Ruhe oder „in den Austrag“ gegangenen Alten eine stille und bequeme Zuflucht zu gewähren oder, wenn solche nicht vorhanden, als sogenanntes Zubau-Gütl ständigen verheiratheten Tagelöhnern zur Herberge zu dienen. Wie einst Wolf an dieser Stelle gesessen, ein Bild des Frohsinns und der Kraft, und in zierlicher Thätigkeit, saß nun der Alte da, müßig, ein Bild der Schwäche und der Betrübniß; das weiße Haupt vorgebeugt, die Hände um die Kniee geschlungen, sah er stundenlang unbeweglich vor sich hin, wenn bei Augen, die nur Nebel und in demselben verschwimmende Umrisse gewahren, von Sehen gesprochen werden kann; er hatte das Ansehen, als wäre er über langem Sinniren und Grübeln müde geworden und eingeschlummert, aber er schlief nicht; die Welt der Erinnerung wachte in ihm und das um so klarer und lebhafter, als keine äußeren Eindrücke den Reigen ihrer luftigen Gestalten verscheuchten. Weil Tag und Nacht ihm fast keine Unterscheidung brachten, geschah es nicht selten, daß er bis nach Mitternacht lichtlos und allein an seinem Tisch oder auf seinem Bett saß, ohne daß Jemand seiner gedachte oder ihn mahnte, denn er wollte Niemand um sich haben; sein Stolz ließ es nicht zu, seine Schwäche einzugestehen. Er that, als bedürfe er Niemand, als sei er vollkommen im Stande, sich selbst zu helfen und zu bedienen; darum litt er keinen Menschen in seiner Nähe und hatte sogar an der Schwarzwälder Uhr in seiner Stube das Schlaggewicht ausgehoben, weil es ihm peinlich war, wenn ihr Schlag ihm verkündete, wie entsetzlich langsam die dunkeln einförmigen Stunden von der Stelle rückten. Das Ganggewicht aber zog er jeden Tag pünktlich auf, damit es den Anschein habe, als vermöge er das Zifferblatt und die Zahlen ganz wohl zu unterscheiden; wollte er wissen, welche Zeit es war, so horchte er vorher lange und sorglich, ob Niemand in der Nähe sei, ihn zu belauschen; dann tastete er mit der Hand nach den Zeigern

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegegenüber
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_432.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)