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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


war auch die Schürze aus dem schwersten Seidenstoffe; kostbare Spitzen faßten dasselbe ein und der schwarze Rock war mit gleichfarbigen Sammetstreifen der feinsten Art besetzt. War auch im Ganzen die bäurische Tracht der Gegend beibehalten, so ließ doch jedes einzelne Kleidungsstück durch Zier und Ueberfeinerung erkennen, wie sehr die Trägerin bestrebt war, für etwas Anderes angesehen zu werden, als sie wirklich war. Vollends war dies aus den hohen Schnürstiefelchen zu ersehen, in denen die derben Füße steckten, so wie aus dem modisch zugestutzten Hütchen, das auf dem reichen hochblonden Haare so schief saß, als wäre es vom Winde verweht worden und dort hängen geblieben.

Es konnte kaum einen stärkern Gegensatz geben als den zwischen ihr und Th’res, die ihr gegenüberstand, die eine Hand auf den Rücken gelegt, als ob sie etwas zu verbergen suche; die feine, geschmeidige Gestalt in dem schmucklosen Arbeitsanzug, der anmuthige Ernst des Gesichts gaben ihr das vollste Uebergewicht über die zürnende Gegnerin, die, vielleicht weil sie das selbst empfand, sich zu immer leidenschaftlicherem Grimme steigerte.

„Was ist mir das für eine Wirthschaft!“ rief sie. „Ich ruf’ mir droben in der Stuben fast die Lung’ heraus, damit Jemand kommen soll, der mir beim Anziehn hilft, und Du trengest (tändelst, versäumest dich) da unten herum, als wenn ich für Dich gar nicht auf der Welt wär’.“

„Ich hab’ wahrhaftig nicht rufen hören,“ entgegnete Th’res gelassen, „sonst wär’ ich gleich gekommen.“

„Still!“ unterbrach die Bäuerin sie mit kreischendem Aufschrei. „Was hast Du denn für wichtige Sachen zu denken, daß Du nit hörst? Und wenn’s so wäre – wenn Du nur so viel Aestimation für mich hättest, als das Schwarze unter’m Nagel ausmacht, so hättest Du gar nit auf’s Rufen gewartet, so hättest Du von selber gewußt, was Deine Schuldigkeit ist, und wärst zu mir gekommen. Wirst schon eine andere Abhaltung gehabt haben – gewiß bist Du wieder bei dem Alten gesteckt und hast raisonnirt und uns ausgerichtet.“

„Ich richte keinen Menschen aus,“ sagte Th’res noch immer ruhig, wenn es ihr auch heiß durch die Wangen lief; „aber beim alten Lindhamerbauern bin ich wohl gewesen und hab’ ihm den Kaffee gebracht.“

„Still sei!“ schrie die Bäuerin wieder. „Ich hab’ Dir schon gesagt, daß ich nichts hören will von Deinen lumpigen Ausreden – an denen fehlt’s Dir nie; an Dir ist ein halber Advocat verloren gegangen. Deswegen weiß ich doch, was ich weiß; ich schaue Euch Alle durch und durch, als wenn Ihr ein Glasfenster auf der Brust hättet. Ihr könnt mich Alle nicht ausstehn und spinnt hinter meinem Rücken zusammen gegen mich; ich bin Euch ein Dorn im Aug’, seit ich einen Fuß hereingesetzt hab’ in den Lindhamerhof. Wenn Du nichts Besonderes mit dem Alten hast, warum hast Du denn jetzt gerade noch einmal zu ihm hinüber gewollt, nachdem Du ihm den Kaffee doch schon gebracht hast? Wenn Du Dich nichts zu scheuen hast, was hältst Du denn in der Hand, was Du so auf dem Rücken versteckst?“

„Nichts Unrechtes,“ sagte Th’res; „es ist meine Cither – der Vater hat danach verlangt.“

„So? Die Cither?“ schrie die Bäuerin. „Auf das also ist’s abgesehn gewesen? Ihr habt gemeint, wenn die Katz’ aus dem Haus ist, haben die Mäus’ Rantewuh (Rendezvous)? Du hast gemeint, wenn ich fort bin, dann braucht es nichts, als die Arbeit Arbeit sein lassen und faullenzen? Da ist was gut dafür. Her mit der Cither!“

Th’res trat einen Schritt zurück und hielt das Instrument jetzt mit beiden Händen an die Brust gedrückt. „Die Cither ist mein,“ sagte sie mit fliegendem Athem; „ich wüßte nit, warum ich sie hergeben sollt.“

„Weil ich es haben will, Du widerspenstiges Geschöpf!“ schrie die Bäuerin und machte Miene, ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen. „Wenn ich Dir gut zum Rathen bin, so giebst den Schepperkasten her oder es geht Dir nit gut …“

„Laßt mich in Frieden, Bäu’rin!“ rief Th’res hinwieder, und in ihren Augen funkelte eine Entschlossenheit, die zum Schutze ihres Kleinods auch den Kampf mit dem ihr offenbar überlegenen Weibe nicht scheute. „Meine Cither geht Euch nichts an – wenn’s Euch zuwider ist, will ich s’ aus dem Haus thun und nimmer spielen – aber Euch geb’ ich die Cither nit …“

„Das wollen wir einmal sehn!“ schrie die Bäuerin außer sich und wollte auf Th’res losspringen; aber die mächtig dazwischentönende Stimme des Alten hielt sie zurück. Auf der Schwelle des Austraghauses stehend, hatte er den Wortwechsel mit angehört und war näher gekommen; er schien nicht zu fühlen, daß auf seinen Augen ein Schleier lag, so fest hielt er sie nach dem Orte gerichtet, von welchem die Stimme der Bäuerin herkam, und den Nacken trug er so kerzengerade aufrecht, wie er ihn in den Tagen seiner Kraft getragen, da er noch als Herr und Vogt auf dem Lindhamerhofe geschaltet hatte und gewohnt war, daß seine Blicke als Gesetze geachtet wurden, denen gegenüber kein Widerspruch galt.

„Laß es die Schwieger gut sein!“ sagte er im Tone eines Herrn, der zwar begütigen, aber durch sein Dazwischentreten entscheiden will. „Die Th’res kann nichts dafür – ich hab’ es ihr gesagt, daß sie mit der Cither zu mir herüberkommen soll.“

Die Worte des Alten verfehlten vollständig ihren Zweck; statt zu beruhigen, waren sie Oeltropfen, in die Gluth gesprengt, und machten die Flamme nur noch höher auflodern.

„So? Mischt Ihr Euch noch darein?“ rief die Bäuerin mit so maßloser Heftigkeit, daß ihr die Stimme überschlug. „Ihr seid auch gegen mich verschworen? Das wird ja immer schöner; statt daß Ihr, wie sich’s für den Schwiegervater gehören thät’, mich unterstützt, helft Ihr noch zum Gegentheil und muntert die Dienstboten auch noch auf in ihrem Uebermuth und Trotz. Recht so – nur so fort! Mir geschieht’s ganz recht; warum bin ich herein auf den miserabeln Hof – ich hätt’s vorher wissen können, daß es mein Unglück ist.“

Das Antlitz des Alten färbte sich dunkelroth. „Oho, Frau Schwieger,“ entgegnete er mit vor Unwillen bebender Stimme, „thu’ Sie sich nicht versündigen! Das Unglück, daß Sie Lindhamerbäu’rin geworden ist, wird wohl auszuhalten sein. Es fallt mir auch nit ein, der Frau Schwieger in Ihre Haushaltung oder Wirthschaft dareinzureden oder gar einen Dienstboten gegen Sie aufzuhetzen; aber wenn ich auch nicht mehr der Herr im Haus bin, thät’s der jungen Bäu’rin doch ganz wohl anstehn, wenn sie hört, was der Alte sagt. Wenn auch meine Augen nicht mehr so klar sind wie eh’dem, so ist’s doch in meinem Kopf nit so finster geworden, daß ich nicht noch recht wohl unterscheiden kann, was sich gehört und was nicht, und darum laß ich mir von Niemand das Reden verbieten, Frau Schwieger, und darum sag’ ich Ihr, daß Sie Unrecht hat, wegen einer solchen Kleinigkeit einen solchen Lärm aufzuschlagen. Sie selber ist der fällige Theil, denn es wär’ Ihr kein’ Perl’ aus der Kron’ gefallen, wenn Sie sich selber angezogen hätt’; so viel ich weiß, hat eine richtige Bäu’rin noch niemals eine Kammerjungfer gebraucht, und weil Sie doch schon einmal von Dienstboten red’t, so will ich Ihr auch sagen, daß Sie auch da auf dem Holzweg ist; die Th’res ist kein Dienstbot’.“

„Nit, Vater – von mir ist ja gar keine Red’,“ warf Th’res erschrocken ein, aber es bedurfte ihrer Dazwischenkunft nicht; die Bäuerin hatte in ihrer Wuth schon einen Ausweg gefunden, dem Zanke eine neue Wendung zu geben: sie rief Dickl herbei, der gleichfalls im vollen Festtagsstaate aus dem Hause getreten war. Er that, als gewahre er die Anwesenden gar nicht, und wolle sich dem Knechte zuwenden, der eben beschäftigt war, ein feines muthiges Pferd an eine elegante einspännige Kutsche zu schirren. Die Bäuerin, zu dem letzten Mittel der Bosheit ihre Zuflucht nehmend, brach in Thränen aus und wiederholte ihren Ruf mit schreiender gellender Stimme.

„Da komm’ her,“ rief sie, „jetzt kannst Du zeigen, ob Du ein Mann bist und nit umsonst auf dem Lindhamerhof sitzest. Wenn Du es leidest, daß man so mit Deinem Weibe umgeht, dann bist Du kein richtiger Mann. Dann will ich nichts von Dir wissen. Scheiden lass’ ich mich von Dir, wenn die Person da noch länger im Haus’ bleibt. Sie oder ich – Eins von uns Beiden muß fort!“

Es war Dickl höchst unangenehm, in den Vorfall hineingezogen zu werden, und diese unangenehme Empfindung machte sein Gesicht noch widerlicher, als es in den letzten Jahren geworden; es war aufgedunsen und stark geröthet – die Spuren aller Leidenschaften und eines wüsten regellosen Lebens hatten sich darin eingegraben. Er hatte die Bauerntracht gänzlich abgelegt und städtische Kleider angezogen, so daß er wie ein Bürger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_434.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)