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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Als der Zug den Bahnhof zu Wiesbaden erreichte und die daselbst aufgestellte Ehrenwache, mit der Musik an der Spitze, für den Schah sichtbar wurde, vollendete der Beherrscher aller Könige seine Toilette, indem er seinen Brillantrock schnell über die königlichen oder besser kaiserlichen Hemdärmel zog – kaiserliche Hoheit lieben die Bequemlichkeit auf der Reise über Alles – striegelte eigenhändig die allerhöchsten Haare in persische Position und stand steif und ungelenk in der Mitte des Reisesalonwagens, der Dinge harrend, die da an ihn herantreten sollten. Zwei königliche Leibjäger bildeten für den persischen Gast Treppengeländer, etwa wie schweizerische Bergführer bei Gletscherrissen die Touristen unterstützen, und schlaff und müde trat er hervor an’s Licht der rheinischen Sonne, geschmückt mit seinen persischen Sternen. Besonders fesselnd konnten wir sein Aeußeres nicht finden. In Posen und polnisch Lissa finden sich derartige Gesichtsbildungen gar nicht selten. Er spricht – wie wir öfter zu bemerken Gelegenheit hatten – selten von Angesicht zu Angesicht mit seiner Umgebung, stets nur über die Schulter.

Neben ihm stand sein Bruder, ein kleiner unansehnlicher Mensch mit über alle Begriffe markirtem orientalischem Typus. Jedenfalls aber ist der kleine Schah, wie er hier allgemein – und sicher gegen seinen Willen – getauft wurde, Prinz Abdul-Samet-Mirza, ein sanfter, liebenswürdiger und für einen Perser fein gebildeter Mensch.

Schah Nassr-Eddin stand wie ein Gartenpfahl, ließ seine Diamanten in der Sonne glänzen, nahm die Vorstellung der drei Vertreter der hiesigen hessen-nassauischen, respective preußischen Regierung durch den General der Infanterie von Boyen mit drei Kopfnicken entgegen, welche lebhaft an die Bewegung eines Pagoden erinnerten, winkte schlaff und abgespannt, die Hand kaum erhebend, mit dem Finger, deutete halb gähnend auf die entgegengesetzte Seite des Perrons, als wenn er sagen wollte: „Auch das noch!“ und schritt der Ehrencompagnie zu, deren Musik den persischen Marsch intonirte. Zehn Schritte Raum vor ihm, zehn hinter ihm, nicht anders duldet er’s. Hier schritt er langsam die Front entlang, mit dem Fürstenanstand eines Bühnenanfängers; statt aber der Front einen Blick zu gönnen, schaute er hinüber auf die andere Seite, wo ein eben rangirter Bahnzug zur Abfahrt bereit stand. Als die Ceremonie vorbei und das Ende der Ehrenwache erreicht war, hob Nassr-Eddin die beiden Finger der rechten Hand, um den preußischen Militärgruß, den er wohl in Berlin studiert haben mag, in ziemlich verunglückter Weise nachzuahmen, und sein Tagewerk war vollbracht. Ohne Rücksicht auf die ihn erwartenden Spitzen der Behörden ging er gelangweilt zum Wagen, und weithin glänzten die berühmten Diamanten durch die wahrhaft volksüberfüllten Straßen. Graf Dattenberg würde diesen Pascha durch Würde gründlich beschämt haben.

Nach ihm ward das Gefolge eingeladen und in königlichen Wagen zum Schlosse befördert, wohl nahe an hundert Personen. Die rheinische Jugend, welche wohl auf den Reichthum der reichgestickten Paradeuniformen gespannt sein mochte, fand sich durch die bescheidenen Reisekleider des Gefolges in Etwas getäuscht. Zum Jubel aber steigerte sich der Ausbruch jugendlicher Freude, als das Gepäck mit seinen Begleitern erschien, ersteres zum großen Theile in Tücher geknotet und mit Riemen oder Stricken zusammengeschnürt, auf Rollwagen gepackt, Letztere auf diesen und den Bündeln thronend – ein Auszug der Kinder Israels in optima forma.

„Hei!“ riefen die jugendlichen Richter solcher Straßenaufzüge, „’s ist Faasenacht! Holla! jetzt kimmt der Hanswurscht!“

Dies war der Einzug des Schahs von Persien zu Wiesbaden, des Königs der Könige, des Beherrschers der Sonne, der kurz vorher dem Kaiser von Rußland für seine treffliche Bewirthung in Petersburg allergnädigst Rußland geschenkt hatte.

Einen wohlthuenden Gegensatz zu diesen Erscheinungen bildete der persische Gesandte aus Paris, General Nazare Aga und der Großvezier und Generalissimus Hadji-Mirza-Hussein-Khan – der persische Bismarck –, so wie der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Nazim-ul-Mulk Mirza Malcolm Khan, Persönlichkeiten, welche auch in einem andern Gefolge volle Ehre eingelegt haben würden.

Die Stadt, welche festlich geflaggt hatte, brachte dem Schah von Persien am ersten Abende durch die Cur-Direction eine Serenade und eine bengalische Beleuchtung des Schloßplatzes, bei welcher, durch die Localverhältnisse geboten, die evangelische Kirche die Hauptgruppe bildete. Aber Nassr-Eddin konnte das Ende dieser Feierlichkeit kaum erwarten; er sandte zu verschiedenen Malen hinunter zum Schloßplatze mit der Weisung, die Musik möge doch ein wenig schneller spielen, er geruhe ruhen zu wollen. Als drollige Erklärung für diese Eile des Schahs wird angegeben, daß er Verlangen getragen, sich mit zwei Berliner Damen zu unterhalten, welche, seinen Wünschen Folge leistend, bereits in der preußischen Hauptstadt sich seinem Gefolge angeschlossen hätten. Beide Damen, die eine blond, die andere schwarz, repräsentirten die preußischen Nationalfarben, wahrscheinlich in Erinnerung an den Berliner Aufenthalt. Sie wurden auf ihr Verlangen, im Schlosse einquartiert zu werden, einfach beseitigt und mußten die Erfahrung machen, daß ihre Koffer wahrscheinlich schon in Berlin aus dem Extrazuge entfernt worden waren. Nur persönliche Intervention des persischen hohen Gastes hatte ihnen für ihre Person die Mitfahrt ermöglicht. Zufällig konnte der Verfasser der Verzweiflung der einen jener Donnen beiwohnen, als ihre Koffer nicht aufzufinden waren. Mit Berlinischer Unverfrorenheit simulirte dieselbe eine Sprache, die wohl persisch sein sollte, als ihr einer der Diener mit der größten Gemüthsruhe die Landsmannschaft klar machte mit den Worten: „Je, Juste, habe Dir man nich!“ Während eines Ausflugs wurden in den nächsten Tagen diese Huldinnen entfernt und dürften dieselben, das Glück einer persischen Reise nicht aufgebend, wohl in Spaa wieder zum Gros der persischen Armee gestoßen sein.

Die Hausordnung des persischen Hofes auf der Reise ist sehr einfach. Morgens Thee; um die Mittagszeit ein Frühstück nach europäischer Sitte, um sechs Uhr Abends indessen muß sich das ganze Gefolge zum gemeinsamen Diner einfinden. Bei seinen Spaziergängen folgen dem Schah fünf Diener, der eine mit einem persischen reichen Shawl, der zweite mit dem landesüblichen Tschibuk (auch die Cigaretten werden von den Herren sehr bevorzugt), der dritte mit einer schön ciselirten und emaillierten Theekanne, und die übrigen beiden mit silbernen Kohlenbecken, nicht, wie allgemein geglaubt wurde, mit Weihrauchfässern, obwohl sie Räuchersubstanzen enthalten. Sie sind zur Erwärmung des Thees bestimmt.

Das Privatleben des Schahs hat sich wohl nur wenig den gewohnten Sitten bis heute entfremdet. Er speist allein auf seinem Zimmer, auf einem Teppiche sitzend und hier wohl auch mit den Fingern essend. Ein Zutritt in seine Gemächer während seiner Mahlzeit ist selbst seiner Bedienung nicht gestattet. Zu bemerken wäre nur, daß er nach unseren Begriffen sehr mäßig ißt. Rohe Gurken, Zwiebeln und sonstige Gewürzpflanzen, sowie ein frischgeschlachtetes, halb gar gebratenes Stück Hammelfleisch, das auf einer kleinen Maschine für ihn bereitet wird, sind seine Liebhaberei. Dabei wirft er die Knochen in die Salons, räumt, was ihm im Wege ist, in einfachster Weise auf, verschmäht die Benutzung eines Spucknapfes und hält Serviette und Taschentuch für weniger angenehm, als seine Brillanten.

Seine Begleiter aber ließen sich stets die reich besetzte königliche Tafel trefflich munden, verschmähten keines der Gerichte, bevorzugten das Desserteis des Hofconditors Röder und tranken größtentheils herzhaft, trotz einer rheinischen Kehle. Naturwein scheint ihnen weniger zu munden als Gilka und Doppelkümmel, den sie hier in den verschiedensten Läden persönlich einkauften. Außerdem setzten sie dem Champagner frisch, fromm und fröhlich zu und voltigirten über die Religionsgesetze des Weinverbotes mit der einfachen Erklärung hinweg, Champagner sei eigentlich nur „kohlensaure Limonade“. Eine Wirkung des Weines konnten wir an keinem der Herren vermerken. Nur zwei jüngere Leute tranken Wasser zur Tafel und wehrten jede Versuchung ab. Zu bemerken dürfte sein, daß mindestens zwölf Personen des Gefolges leidlich französisch sprachen. Um so schlechter spricht diese Sprache der Schah, der sich im Umgang beständig der Intervention seines Premier- oder Hausministers bedient. Im Ganzen sind die Herren des kaiserlichen höheren Gefolges, mit wenig Ausnahmen, stattliche Figuren, durchaus nicht so klein, wie sie allgemein geschildert werden. Ihre hohen Schaffellmützen sind eben nicht kleidsam.

Eine in gewisser Beziehung interessante Erscheinung ist der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_438.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)