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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


verdienter Beliebtheit erfreuen, sei hier ausdrücklich der Freund den Dialekts und einfacher, lustiger Geschichten aus dem Volksleben aufmerksam gemacht. Einzelne derselben, wie zum Beispiel „De Schwalbge“, „Dr verluhrne Suhn“, „Dr dicke Paal“ (Paul), „Dr ungerathne Suhn“ und manche freie Nachdichtung Gellert’scher und Hebel’scher Gedichte sind Erzeugnisse gesunden Humors und feiner Beobachtung des Landvolkes.

Doch auch die Sprache des Bauern verschwindet immer mehr, jeder Gebildete spricht jetzt Hochdeutsch oder kann es wenigstens sprechen, ja, er schämt sich wohl gar des groben Dialekts, und so geht, wie Tracht und Sitte, auch die Sprache unaufhaltsam ihren Weg, dem Ende entgegen.

Um so interessanter und beachtenswerther war deshalb das Fest, das die gesammte Altenburger Bauernschaft am 15. April dieses Jahres zu Ehren der Vermählung der Prinzessin Marie, der einzigen Tochter des regierenden Herzogs, mit dem Prinzen Albrecht von Preußen, einem Neffen Kaiser Wilhelm’s, in Altenburg veranstaltet hatte, nämlich ein feierliches Aufreiten der Bauern und eine Auffahrt von Hormtjungfern. Es war ein nationales Schauspiel, von dem man sich mit wehmüthigem Bedauern sagte, daß es das letzte seiner Art sein werde. Und wirklich war es ein schönes, ein gelungenes Fest und verlief in schöner Ordnung. Umwogt von einer heiteren Menschenmasse, von der hellsten Lenzsonne beschienen, bewegte sich der stattliche Zug durch die Straßen der festlich geschmückten Stadt nach dem alten, ehrwürdigen, hoch auf seinem Felsen sich erhebenden Schlosse des Fürstenhauses, mit seinen reichgeschmückten Rossen und deren kräftigen Reitern in dem kleidsamen Männeranzuge des Bauern, mit den festlich geputzten Wagen und den frischen, hübschen Mädchen in ihrer eigenartigen Tracht und den funkelnden Hormten, einen prächtigen Anblick gewährend. Am schönsten aber war der Eindruck des Zuges, als sich derselbe die steil sich zum Thore des Schlosses hinanziehende Auffahrt hinauf und, nachdem der fürstlichen Braut die ihr bestimmten Geschenke übergeben waren, aus dem Schlosse zurückkehrend sich wieder die Auffahrt hinabbewegte.

Diesen Moment hat auch der talentvolle Zeichner des umstehenden Bildes lebensvoll und treu aufgefaßt. Die Spitze des Zuges, die Hauptmomente desselben vereinigend, tritt uns entgegen, während im Hintergrunde das alte Schloß von seiner Höhe auf das bunte Treiben des Festes ernst herniederschaut. Voran reitet ein Zugführer mit seinen beiden Adjutanten, sämmtlich in der Kappe, den Kopf mit dem kleinen Hütchen bedeckt; dann folgt im offenen Wagen der Kreishauptmann des Ostkreises; hinter diesem zeigt sich ein berittenes Musikcorps in den modernen Spensern, während rechts im Vordergrunde ein anderes Musikcorps, in die „Weiße“ gekleidet, dahinreitet. Mitten inne aber erblickt man einen Wagen mit Hormtjungfern, hinter ihnen den Wagen, welcher das Hauptgeschenk für die Fürstentochter, ein von Adolph Burger in Berlin gemaltes Oelbild, eine Altenburger Bauernhochzeit darstellend, getragen hatte. Zwei kleinere, an beiden Seiten des Bildes angebrachte Skizzen zeigen die Uebergabe der mannigfachen Geschenke an die hohe Braut und den fröhlichen, auch von dem Brautpaare und den übrigen Mitgliedern des Fürstenhauses besuchten Ball, der am Abend des Festtages dessen Theilnehmer und Theilnehmerinnen vereinigte.

So möge denn das schöne Bild allen Denen, welche das seltene, vielleicht in seiner Art letzte Nationalfest miterlebten, noch einmal den frohen Tag in freundliche Erinnerung rufen, Andern aber ein Andenken an einen Ehrentag des Altenburger Bauernstandes bewahren! Und verschwindet bei ihm auch die alte Tracht der Väter immer mehr, so mag doch, ändert sich auch die Schale, der tüchtige Kern für alle Zeiten frisch und gesund bleiben!

Kurt Greß.




Blätter und Blüthen.

Vom Kreuzschnabel. Wunderbar ist die Geschichte dieses Vogels. Von Christi Kreuzigung an ist er bekannt und von da an schon in der Sage, daß er es gewesen, welcher die Nägel am Kreuze löste und zum Dank fortan einen gekreuzten Schnabel, gleichsam als Orden für geleistete Dienste (wichtig für die Geschichte der Orden!), erhalten habe. Mosen, ein Sohn des sächsischen Obervoigtlandes, wo der Kreuzschnabel unter dem Namen Krinitz in jedem Häuschen, in jeder Stube in einem oder mehreren Exemplaren zu finden, kleidete diese Sage in poetisches Gewand und machte ihn durch seine Poesie demnach unsterblich.

Wunderbar, wie seine Geschichte, ist auch die Metamorphose seiner Befiederung! In der Jugend roth, färbt er sich später grau, grau-grün. Jeder kennt diesen Vogel; Jeder wird gewiß schon oft sein munteres Wesen im Käfig bewundert haben, wo er mit Hülfe seiner Füße und des Schnabels behend und mit erstaunlicher Kraft an den Wänden seines drahtenen – denn Holz zerspaltet er mit seinem harten Schnabel – Gefängnisses herumklettert, wie er ferner einen ihm gegebenen Fichtenzapfen, sein Lieblingsgericht, zerhackt und die Samen verzehrt; ich sage, einem Jeden wird er wohl in seiner Lebensweise schon Gelegenheit zur Bewunderung gegeben haben. Hauptsächlich aber hat dieser Vogel besonders bei Bewohnern der gebirgigen Gegenden noch heutigen Tages den großen Ruf, Krankheiten von dem Menschen weg in sich aufnehmen zu können. Man hat deshalb, wenn ein Mensch krank wird, auch nichts Eiligeres zu thun, als daß man einen Kreuzschnabel sofort in das Krankenzimmer hängt. Der „rechtsgeschlagene“ Kreuzschnabel, bei dem der obere Schnabeltheil nach rechts über dem untern liegt, gilt für wirksamer bei Krankheiten des weiblichen Geschlechtes; der linksgeschlagene, bei welchem das umgekehrte Verhältniß der Schnabellage stattfindet, zeichnet sich als kräftiger bei Krankheiten des männlichen Geschlechtes aus. Den größten Ruf genießt der Vogel bei rheumatischen Krankheiten, und der Leidende ist seines Erfolges bezüglich der Besserung der Krankheit um so gewisser, wenn er früh Morgens noch nüchtern vor Sonnenaufgang in das Trinkgefäß des Thieres spuckt.

Nicht Krankheiten allein aber nimmt der Vogel in sich auf, sondern auch jedwedes Hauskreuz und Unglück. Auch Prophet ist er; denn in ein neugebautes Haus gebracht, ersieht der Besitzer, ob das Haus mit Glück und Segen bestehen wird, oder ob dem Hause oder dessen Bewohnern eine getrübte Zukunft bevorsteht. Stirbt der Vogel, so bleibt das Haus oder die Familie vor Unglück geschützt, der Vogel hat es mit sich fortgenommen; bleibt er am Leben: dann wehe, die Zukunft wird eine trübe! Wie hier, so bezahlt das edle Thier mit seinem Tode auch die Krankheiten Derer, von welchen er sie anzieht. Sobald er in einem Krankenzimmer stirbt, werden auch die Leiden des Kranken besser, und sollten sie nicht gleich schwinden, so doch gewiß mit dem Tode eines zweiten in die Stube gebrachten Vogels. Geschieht es nicht, dann ist der Kranke seiner Unheilbarkeit oder seiner Verschlechterung gewiß. Eine wichtige Wunderkraft, die sicherlich in manchen Ehen, besonders denjenigen geschätzt werden wird, wo ein Sohn sehnlichst erwünscht wird, sei es, um den hohen Namen der Nachwelt zu erhalten oder um ein Majorat nicht zerfallen zu lassen, sei es aus rein selbstlosestem innigstem Wunsche, gleichviel, der Krinitz besitzt hier unberücksichtigt der Interessen der Betreffenden die hohe unbezahlbare Wunderkraft, daß er, unter das Bett der Kreißenden gebracht, durch seine Anwesenheit die Geburt eines Knäbleins bewirkt, wie überhaupt den ganzen Zustand erleichtert. Rufe aus, Leser: „Wunder, ihr existirt noch in der Welt!“ Ja, und ich selbst stimme bei, aber nur in der Beziehung, daß man sich wirklich wundern muß, warum der Speculationsgeist der Jetztzeit noch nicht diese Wunderkraft ausnutzte und sich noch nicht Gründer fanden, welche einen Curort mit Krinitzen etablirten.

Dr. Knauthe.

Zeitersparende Uhren. Diese Bezeichnung verdienen die von Karl Bauer, Bahnhofverwalter zu Maximiliansau am Rhein, im Laufe des letzten Herbstes ersonnenen und ausgeführten Reductions-Uhren, welche zur schnellsten, bequemsten und sichersten Umwandlung der alten Maße, Gewichte und Münzwährung aller deutschen Länder in metrisches Maß und Gewicht und Reichswährung und natürlich auch umgekehrt dienen. Es liegen uns fünf solcher Uhren vor und zwar zum Reduciren von Zollpfund in Kilogramm, von Fuß und Elle in Meter, und von süddeutschen Gulden und Kreuzern, von preußischen Thalern, Groschen und Pfennigen und Francs und Centimes in Reichsmark und Reichspfennige. Diese in der That mit scharfem Geist erdachten und nach genauester Berechnung construirten Instrumente haben die Form von starken Taschenuhren mit zwei Zifferblättern, zwischen welchen das regulirende Werk angebracht ist. Wie beim Zeitmesser, kommen auch hier zwei Zeiger in Thätigkeit, deren Zweck dem des Stunden- und Minutenzeigers insofern entspricht, als der kürzere Zeiger das Normalganze und der längere die Theile anzudeuten hat. Bewegt werden sie bei je einem und demselben Bügelknopf durch Umdrehen, das zwar vor- und rückwärts geschehen kann; beim Ablesen der Werthe jedoch muß man die Richtung der zwischen den Ziffern eingezeichneten Pfeile folgen.

Die Eintheilung auf den Zifferblättern ist die einfachste, um das Auffinden der gesuchten Werthe zu erleichtern. Nehmen wir das Längenmaß als Beispiel. Das Fuß-Zifferblatt ist in drei Kränze getheilt: der äußerste Kranz enthält 100 Linien in 10 Zoll abgetheilt, deren jeden eine kleine 5 in Halbzolle scheidet. Der zweite Kranz umfaßt 1–10 Fuß, der dritte innerste Kranz größere Längen bis zu 1000 Fuß. Diesem entsprechend zeigt das ebenfalls in drei Kränze geschiedene Meter-Zifferblatt im äußersten Kranze 100 Centimeter, in der Steigerung von 5 zu 5 bezeichnet (1–5–10–15–20 etc.), der mittlere 1–3 Meter und der innerste größere Längen bis 300 Meter. Da nun, wie bei der Zeit-Uhr der Minutenzeiger alle 60 Minuten umläuft, wenn der Stundenzeiger eben eine Stunde zurückgelegt hat, auch hier der lange Zeiger den ganzen Kreis von 100 Theilen umwandelt, während der kurze die Strecke von einem Fuß auf der Fußseite und einem Meter auf der Meterseite zurücklegt, so ist die Uhr in den Stand gesetzt, nicht bloß die Ganzen, sondern auch die Theile auf das Genaueste anzugeben. Am anschaulichsten macht dies die Gulden-Mark-Uhr, die, weil die Umrechnung von Gulden und Kreuzern in Mark und Pfennige weit mehr Schwierigkeiten bietet, als die der Thaler, Groschen und Pfennige, namentlich da, wo das Decimalsystem bereits eingeführt ist, auch die größte praktische Wichtigkeit hat. Wir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_445.JPG&oldid=- (Version vom 8.7.2018)