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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.[1]

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Dickl war im Begriffe, heftig zu erwidern, und auch Th’res hielt nur mühsam an sich, um den kecken Spötter gebührend abzufertigen, aber im entscheidenden Augenblicke wurden die Streitenden durch den heranrollenden Wagen getrennt.

„Es ist gut einstweilen,“ begann der Alte ruhiger, „lassen wir’s wenigstens gut sein, bis Du wieder kommst, dann wollen wir all’ diesen Geschichten auf einmal ein Ende machen – ich seh’ wohl, es thut nimmer gut, daß die Th’res bei Dir im Hofe ist, die Schwieger vertragt sich nicht mit ihr, so wird’s das Gescheidtste sein, wenn ich sie zu mir nehm’.“

„Das wär’ nit viel besser als Teufel tauschen,“ sagte die Bäuerin giftig, indem sie in den Wagen stieg. „Wenn sie im Austraghaus’ ist, ist sie doch noch im Hofe – aber ich mag mich jetzt nimmer ärgern; wenn ich aber wieder komm’, mach’ ich der Geschicht’ ein End’, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Oder ich thu’s statt Deiner,“ sagte Dickl, indem er den Wagenschlag zumachte. „Fahr’ nur zu, Kath’rin’, Du kehrst doch im Straß’wirthshaus’ einen Augenblick beim Schwiegervater ein, ich komme bald nach und treff’ Dich dort … ich hab’ noch was zu thun. Aergere Dich aber nicht, Kath’rin’, ich sorg’ dafür, daß Dir kein Mensch mehr was zu Leid’ thut – das können sich Alle hinter die Ohren schreiben, die’s angeht,“ setzte er, während der Wagen hinwegrollte, mit erhobener Stimme hinzu. „Im Austraghaus’ leid’ ich keinen Dienstboten, der mir nit recht ist; das Austraghaus gehört so gut mein wie der Lindhamerhof; da muß gerad’ so gut geschehen, was ich will, und wem’s nit recht ist, der kann sein Bündel schnüren und sich packen. … Wer’s auch ist, ich frage nichts darnach!“

Er eilte rasch dem Hause zu. Ohne Erwiderung, langsam suchte der Alte seine Wohnung auf, von Th’res geleitet, die ihn auf die Bank in der Stube führte und dann die Cither auf den Tisch vor ihm niederlegte.

„Ich lass’ die Cither da bei Euch,“ sagte sie mit einer Stimme, deren Beben sie vergeblich zu verbergen suchte. „Drüben könnt’ ihr was geschehen, auf jeden Fall ist sie bei Euch jetzt sicherer als in meiner Kammer. … Bleibt eine Weil’ da, Lindhamer – ich schau’ im Hause nach der Arbeit, dann komm’ ich wieder!“

Der Alte antwortete nicht – er konnte es nicht; die Worte, die er eben vernommen, hatten wie ein Donnerschlag auf ihn gewirkt und gleich einem solchen das lockere Gebäude des Vertrauens erschüttert, das er gegen sein wahres Empfinden sich aufgebaut und, so oft es auch einen Stoß erhielt, immer wieder in halb unbewußter Selbsttäuschung ausgebessert hatte. Jetzt drohte es ihm über dem Kopfe zusammenzustürzen. Jetzt konnte er sich nicht mehr verhehlen, daß auf dem Lindhamerhofe nicht Alles war, wie es sein sollte, und daß der Stolz seines Lebens in argen Händen dem Verfalle entgegengehe, von dem er ihn dadurch hatte erretten wollen, daß er dafür die Freude seines Lebens zum Opfer brachte. Die Zukunft lag vor ihm wie ein in dichten Nebel gehülltes Thal; wie in diesem hier und da noch der schwache Umriß eines Baumwipfels zu erkennen ist, wollte sich manchmal noch ein Gedanke der Hoffnung gestalten; aber sie vermochte nicht durchzudringen; das Gewölk verschlang sie, und vor seinen Augen lag wie vor seiner Seele das einförmig düstere ununterbrochene Grau an sich selbst verzagender Trostlosigkeit.

Th’res war indessen in den Hof gegangen, ebenfalls in einer Bewegung, die ihr das Herz zusammenkrampfte, als ob es brechen wolle; sie war betäubt und vermochte nicht einmal zu weinen; nur die Augen waren umschleiert, daß sie durch die Thränen Alles ansah wie ein Land, über das eben ein Regen hinzuziehen beginnt. Wohl gab es in Haus und Küche zu schaffen und anzuordnen; aber sie war außer Stande, in dieser Erregung den Mägden gegenüberzutreten, und wollte erst in


  1. Vielen meiner Erzählungen (nahezu zwanzig) ist die (mitunter sehr zweifelhafte) Auszeichnung zu Theil geworden, von fremder Hand dramatisirt zu werden, meistens ohne mich, wenn auch nur Anstands halber, um Erlaubniß zu fragen, nicht selten sogar ohne Angabe der Quelle. Für den Fall daher, daß auch „Der Loder“ hierzu ausersehen werden sollte, erkläre ich hiermit, daß ich die Dramatisirung, falls sie nöthig werden sollte, selbst vornehmen werde, gegen jede solche, ohne mein Wissen und meine Genehmigung vorgenommene Bearbeitung aber protestire und mir alle Rechte ausdrücklich vorbehalte.      München, im Juni 1873.
    Herman Schmid.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_447.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)