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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Wänd’ aufzumauern. Daneben haben sie gerad’ angefangen, einen Brunnen zu graben, und das ist ein schweres Werk gewesen, denn sie haben einen tiefen, tiefen Schacht ausheben müssen, bis sie auf Wasser ’kommen sind, und der Brunngraber-Sepp … Du kennst ihn ja, der hat’s über sich genommen gehabt, den Brunnen fertig zu machen. Wie wir nun dahin kommen und einen Augenblick anhalten, sind sie gerad’ in großer Noth gewesen, denn der Brunnenschacht, bei dem nit drauf vorgesehn war, daß er so tief werden müßt’, wollt’ wieder eingehn und es ist die höchste Noth gewesen, ihn zu bolzen und mit Spreizen zu versehn, aber es ist kein Mensch in der Nähe gewesen und bis Einer in’s Dorf gelaufen wär und hätt’ von dort Leut’ herbeigebracht, wär’s wohl zu spät gewesen … Ich hab’ nit viel helfen können, denn mich hat erst einige Tag’ zuvor beim Getreideeinführen ein Gaul geschlagen gehabt, daß ich den Arm kaum hab’ rühren können.

Währenddem wir so beisammen stehen und sinniren, kommt auf der Straß’ ein Fuhrwerk daher, wie man’s gar oft sieht; es sind arme Leut’ aus’m Tirol – Laninger heißen sie’s, wenn mir recht ist –, so Landfahrer halt, die mit Geschirr oder Tirolerobst oder sonst in Handelschaft herumziehen. Es war ein kleiner, aber hoher zweirädriger Karren mit einer weiß-grauen zerfetzten Blache darüber – es ist kein Pferd davor gespannt gewesen, sondern der Mann und das Weib haben selber gezogen, daß ihnen, wie sie still gestanden haben, der Schweiß nur so heruntergetropft ist in den Straßenstaub –, im Wagen drinnen aber sind zwei Kinder gewesen, zwei keine Dirndln, das eine so von drei Jahren, das andere um ein paar Jahrln älter, die haben unter der schlechten Blachen und auf einer Schütt’ Stroh so gut geschlafen, als wenn sie in dem besten seidenen Himmelbett liegeten. … Mein Weib selig ist in ihrer Gutheit gleich hin zu den Leuten, hat mit der fremden Frau gered’t und ihre Freud’ an den Kindern gehabt, die sich in der Sommerhitz’ völlige rothe Röserln auf die Backen hergeschlafen hatten; der Herr von dem Neubau und der Brunngraber, die sind über den Mann her, ob er sich nicht ein paar Gulden in der Geschwindigkeit verdienen und mithelfen wollt’ bei dem Brunnenbolzen. Der Mann war von keiner starken Art, mehr auf der hagern Seiten, er ist auch wohl müd’ gewesen und abgehetzt von dem Wandern und Wagenziehen, aber das geschwind verdiente Geld hat ihn doch gelockt, und wie ihm der Bauherr noch ein Abendessen versprochen hat und daß er ein Nachtquartier haben sollt’ in dem Neubau, da hat er sich nimmer besonnen. … Na, ein Nachtquartier hat er auch ’kriegt, aber ein ganz anderes, als er sich erwartet hat. – Aber hörst mir denn auch zu?“ unterbrach sich der Erzähler, „ich hör’ Dich ja nit einmal schnaufen und weiß gar nit, ob Du da bist …“

„Wohl bin ich da und hör’ zu,“ erwiderte Th’res, „fahrt nur fort – aber es verhebt mir frei das Schnaufen bei der Geschicht’.“

„Ueberdem,“ begann der Alte wieder, „so hat sich der Mann bereden lassen, er hat seinen Karren mit den Kindern von der Straße weg nebenan auf den Anger in den Schatten gefahren, und dann haben wir uns alle Vier über den Brunnen hergemacht, die Bolzen und Spreizen, mit denen er ausgemacht war, besser zu verkeilen. … Der Fremde und der Sepp sind auf der Leiter in den Brunnen hinuntergestiegen, ich hab’ oben widergehalten und der Bauherr hat den Schlägel genommen, um den ersten Keil einzutreiben. Bei den ersten paar Schlägen hat sich nichts gerührt, nachher aber hat das Erdreich angefangen zu rieseln und ich hab’ gesehen, wie es ein Brett immer mehr und mehr herausgebogen hat, daß es am Brechen war. … ‚Macht, daß Ihr heraufkommt,‘ hab’ ich hinuntergeschrien, ‚es geht ein!‘ … Der Sepp, der oben auf der Leiter gestanden ist, war mit einem Sprunge heraus, der fremde Mann ist auch heraufgeklettert und hat schon die Hand nach den obersten Spreißeln ausgestreckt – da ist das Brett gebrochen, die Spreizen sind gewichen, das Erdreich ist nachgestürzt, es hat die Leiter abgeschlagen; auf der der Mann gestanden ist … eh’ man hätte können Amen sagen, hat’s ihn hinuntergerissen und verschütt’t.“

Er hielt aufathmend inne und hatte nicht mehr nöthig, nach der Anwesenheit seiner Zuhörerin zu fragen; ein schwerer, thränengepreßter Seufzer verrieth ihre Gegenwart.

„So war halt das Unglück fertig,“ fuhr der Lindhamer fort, „die Bäuerin ist bei der fremden Frau geblieben, die gerad’ hinausgeschrien hat vor Leidwesen und Verzweiflung, sie hat sich die Haar’ ausgerauft und sich auf dem Boden gewälzt, und hat die Erd’ über dem Brunnen mit den Händen aufscharren wollen – die Kinder sind gar nit aufgewacht und haben’s verschlafen, daß sie Waiseln ’worden sind in dem Augenblick. Ich bin gleich in’s Dorf hineingefahren, daß die Räder nur so geflogen sind, aber bis Leut’ kamen, ist doch eine Stund’ vergangen, und bis man das Graben hat anfangen können, schier noch eine … wie man ein Bissel hintergekommen ist, hat man ihm zugerufen durch die Erd’, er sollt’ nit verzagen und an der Hülf’ Gottes verzweifeln – er hat’s aber wohl nimmer gehört, denn später, wie man ihn endlich herausgebracht hat, da hat man’s gesehen: er hat nit lang’ zu leiden gehabt, das eingehende Erdreich hat ihm gleich den Garaus gemacht.“ …

Th’res war von der Bank neben dem Alten heruntergeglitten und hielt jetzt, auf den Knieen liegend, ihr thränenüberflossenes Angesicht auf die Hand des Alten, die sie bewegt ergriffen hatte, niedergebeugt.

„Ich glaub’ wohl, daß Du weinst,“ sagte er und fuhr ihr mit der andern Hand streichelnd über Stirn und Haare, „es geht Dich ja auch nahe genug an – Du wirst es schon errathen haben: das kleinere von den beiden Dirnln bist Du gewesen, und den sie todt aus dem Brunnen heraufgewunden haben, war Dein Vater. – Wir haben der Frau,“ fuhr er, da Th’res, leise weinend, nicht antwortete, nach einer Weile fort, „gut’ Ding’ so viel gegeben, daß sie für den ersten Augenblick hat ausreichen können, und sind nachher heimgefahren. Ueber den andern Tag aber sind wir wieder’kommen, weil der Verunglückte ist ein’graben worden. Er liegt auf dem Friedhof von einem kleinen Filialkirchl’, das nit weit davon mitten in den Feldern unter lauter schönen alten Linden steht, daß man sich kein schöner’s Plätzl zum Rasten aussuchen könnt’ … da ist er an der Mauer ein’graben worden – ich will Dich einmal hinführen und Dir den Ort zeigen, ich hab’ ihm ein richtiges christliches Grabkreuz darauf setzen lassen. … Die Frau, Deine Mutter, die sich zuerst angestellt hat wie unsinnig, die hat sich in der Zeit schon wieder besonnen und zusammengeklaubt gehabt, daß wir uns darüber verwundert haben; sie hat sich schon ausgedacht gehabt, was sie thun wollt’, hat ihren Karren mitsammt dem Geschirre schon an den Kramer im nächsten Orte verkauft gehabt und hat gesagt, sie wollt’ mit ihren Kindern zu Fuß schön langsam in’s Tirol zurückgehen, wo sie ihre Mutter und ihre Heimath hätt’. Mein Weib, und – ich muß’s sagen – mich auch haben die zwei Dirnl’n gedauert, die dagestanden sind und haben nit gewußt, was ihnen geschehen ist, und die Bäuerin hat sich alleweil schon ein Mädel in’s Haus gewünscht. … ‚Wie wär’s,‘ hat sie gesagt, ‚wenn wir eines von den Kindern mit uns nehmen thäten? Die Mutter, mein’ ich, ist keine von Denen, die sich um den Todten graue Haar’ wachsen laßt, da sind die Kinderln wohl auch nit besonders aufgehoben. … Wenn wir eines bei uns behalten und es christlich aufziehen, thun wir vielleicht ein gutes Werk, wir erziehen uns eine treue Hülf’ im Haus’ und vielleicht eine brave, dankbare Tochter.‘“

Th’res schluchzte laut auf und überdeckte, noch immer knieend, die Hand des Alten mit Küssen.

„So hab’ ich halt Ja gesagt,“ fuhr der Alte fort, „wir haben uns von Deiner Mutter Alles sagen lassen, wo sie daheim ist und wer ihre Befreund’ten sind, der Schullehrer hat’s aufgeschrieben und nachher, wie Du eingeschlafen gewesen bist, haben wir Dich mitgenommen auf den Lindhamerhof. Deiner Mutter aber haben wir mit Hand und Mund versprochen, daß wir für Dich sorgen und Dich halten, wie’s recht. … Damals hab’ ich mir freilich nit denken können, daß Du einmal so von mir gehen thätest.“ …

Th’res erhob sich und trocknete sich die Thränen vom Angesicht. „Ich geh’ nit fort,“ sagte sie festen Tones, „ich bleib’ bei Euch, Vater, so lang’ Ihr mich behaltet, mag’s gehen, wie’s will, jetzt kümmr’ ich mich um nichts mehr – aber bei dem Bauern drüben, beim Dickl kann ich nit sein; Ihr müßt machen, Vater, daß ich zu Euch herüber komm’, wie Ihr schon gesagt habt … es ist doch besser, wenn Jemand um Euch ist, der Euch aufwart’t – und das will ich thun, so lang’ ich mich rühren kann, wie sich’s für ein dankbares Kind gehört, und wenn einmal da Eures Bleibens nimmer ist, ich geh’ mit Euch bis an’s End’ der Welt!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_450.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)