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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Der Alte erwiderte den Händedruck, mit dem Th’res diese Versicherung begleitete, mit gleicher Herzlichkeit, aber über sein Antlitz flog ein Schatten des Befremdens und der Ueberraschung. „Ich nehm’ Dein Versprechen an, Th’res,“ sagte er, „aber was ist das für eine sonderbare Red’ – ‚wenn einmal da Eures Bleibens nimmer ist‘ … wie kommst auf solche Gedanken? Warum sollt’ auf dem Lindhamerhof mein’ Bleiben nimmer sein?“

„Nun, ich hab’ nur so gemeint,“ erwiderte Th’res in sichtbarer Befangenheit – „ich hab’ nichts damit sagen wollen – es wär’ halt, wenn Ihr Euch mit dem Dickl nimmer vertragen könntet oder mit der Schwieger …“

Sie kam mit ihrem Satze nicht recht zu Ende. Der Alte mußte ihr Stocken gewahr werden und fand darin eine Bestätigung des gleich zuerst in ihm aufgestiegenen Argwohns, daß sie etwas vor ihm zu verbergen suche.

„Wie, Th’res?“ sagte er kopfschüttelnd, „das bin ich nit gewohnt von Dir, daß Du nit frei herausgehst mit der Sprach’ … Du hast was Andres sagen wollen und jetzt möchtest Du’s wieder herumdrehn und vertuschen … das steht Dir nit an, Th’res. Man merkt’s, und es ist doch gerad’ so viel als wie gelogen. – Frisch von der Leber weg! Was hat das heißen sollen: ‚wenn einmal da Eures Bleibens nimmer ist‘ – auf dem Lindhamerhof bin ich geboren; auf dem Lindhamerhof hab’ ich gehaust in Ehren; auf dem Lindhamerhof will ich sterben und geh’ freiwillig nit fort.“

„Ich glaub’s“, sagte Th’res, „wenn Ihr aber müßt?“

„Müssen? Ha, Du Narr!“ rief der Alte mit einem Lachen, das nicht sehr fröhlich klang. „Wer wollt’ mich zwingen? Da hab’ ich allemal auch noch ein Wort d’rein zu reden – ich, als der alte Lindhamer und der – – –“

Er verstummte. Plötzlich, wie ein Blitz, zuckte ein Gedanke in ihm auf der ihn auch blitzähnlich traf und, als er aufzuspringen versuchte, ihn mit brechenden Knieen und verschwimmenden Sinnen auf die Bank zurückgleiten ließ. „Herrgott, im Himmel!“ stieß er beinahe lallend heraus. … „Es wird doch das nit sein. … Red’, Th’res … der Dickl haust sich nit gut?“

Er sah starr in Theresens Angesicht, als wollte er mit seinen blinden Augen die Antwort davon herunterlesen; seine Hände streckten sich nach ihr aus, eine Stütze suchend, an der er sich anklammern könne, denn ihm war, als wolle der Boden unter ihm weichen.

„Es ist einmal nit anders,“ erwiderte Th’res schmerzlich, „was hilft’s, wenn man es noch länger vertuschen wollt’, Ihr müßt es doch einmal erfahren. – Ja, der Dickl haust sich schlecht, das ist nit mehr zu leugnen. Ich weiß wohl nit, wie weit es gefehlt ist, denn er läßt mich natürlich nit hineinschaun, und zu fragen steht mir nit zu, aber daß es schief geht, das sieht Jeder, wer Augen im Kopf hat, und Ihr müßtet’s auch schon lange gemerkt haben, wenn man nit Alles gethan hätt’, um Euch Alles zu verblümeln, was man Euch hat weis machen können mit Euren schwachen Augen. … Ihr habt gefragt, warum sich nichts rührt auf dem Hof? warum Ihr nichts hört von der Tenne und vom Stall? Weil die paar Ehhalten, die noch da sind, ihrer Lustbarkeit nachgehn – weil das Vieh der Jud’ fortgenommen hat, dem der Dickl schuldig war, und weil er das Getreid’ gleich auf dem Feld verkauft hat …“

Vernichtet stützte der Alte die Arme auf den Tisch und verbarg sein Gesicht in den Händen; nun war es an ihn gekommen, zuzuhören und zu vernehmen, daß Dickl gleich vom Anfang sich um die Wirthschaft nicht viel gekümmert und die Arbeit auf die leichte Achsel genommen habe; er sei nur seinem Vergnügen nachgegangen, Tage und Nächte lang von Haus und Hof weggeblieben und in lustiger Gesellschaft am Spieltisch gesessen. Er habe schwere Summen verloren und mit der verwöhnten Straßenwirthstochter sei vollends die Unordnung und die Verschwendung eingezogen; dazu habe Dickl Geld aufgenommen, wo es nur zu finden gewesen, habe immer höhere Zinsen und Summen verschrieben und sich so immer tiefer hineingearbeitet, daß es nun ungewiß sei, ob noch ein Ausweg zur Rettung übrig geblieben.

Der Alte starrte und stummte, unfähig jeder Regung und jeder Erwiderung – die Gewißheit, den herrlichen Lindhamerhof so erniedrigt, so herabgekommen denken zu müssen, war über ihn hereingebrochen, wie ein Steinrutsch, unter dem er wie begraben lag, vernichtet und doch noch lebend, unfähig ein Glied zu bewegen, aber wohl im Stande, den Einen entsetzlichen Gedanken fort und fort zu denken und an seiner Qual langsam zu verenden.

„Also so weit ist es gekommen!“ murmelte er nach einer Weile. „So hat man mich betrogen und zum Narren gehalten! O, der unnütze heimtückische Bub, der …“ Wieder hielt er inne und sprach das Wort nicht aus, das sich ihm aufdrängte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_463.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)