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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und das er immer wie etwas von sich abhielt, das ihm schon einmal Unheil gebracht; dann fuhr er plötzlich mit einem Anklang des alten Ungestüms auf. „Dann ist es gewiß auch nit wahr,“ rief er, „was er mir wegen des Lindenbrünnl’s vorgemacht hat? Daß es angefangen hat auszubleiben, daß er es neu hat fassen lassen müssen – daß Alles auf dem besten Weg’ ist, und daß es bald noch stärker fließen wird, als zuvor?“

„Es ist Alles nit wahr,“ sagte Th’res leise und betrübt. „Der Brunngrabersepp hat so lang zugesetzt und eingeredt, bis er’s ihm erlaubt hat, das Brünnl’ weiter zu machen, damit es stärker und ganz sicher rinnen sollt … wie sie aber eine Weil’ gegraben haben, ist das Wasser auf einmal ganz ausgeblieben … die Nachbarn sagen, die Quellen hat sich erfallen und kommt nimmermehr an’s Tageslicht …“

„Ja, nachher ist’s aus – nachher ist das Glück fort und der Segen – nachher ist der Lindhamerhof fertig,“ ächzte der Alte und erhob sich an Th’resens Arm. „Mir wird auf einmal so ängstig in der Stuben; führ’ mich hinaus in die frische Luft … ich kann zwar ganz gut allein gehn, aber wenn Du mir Deinen Arm geben willst, ist es mir doch recht – mich hat auf einmal eine völlige Schwäche angewandelt …“

Schweigend nahm Th’res seinen Arm und führte ihn vor die Thüre, der Lindenbank zu. Der Tag hatte sich nicht aufgehellt. Trübes nebelhaftes Gewölk war noch dichter vor die Sonne gelagert, und ein frischer feuchter Luftzug strich über die Höhe hin, den Regen verkündend, der hinter ihm heranrauschte. Der Alte athmete tief auf, dann ging er einige Schritte, blieb aber wieder stehn und hielt auch das Mädchen an – er schien etwas sagen zu wollen, was ihm das Herz drängte und was er doch auszusprechen scheute.

„Wollt Ihr was, Vater?“ fragte Th’res.

„Nichts,“ sagte er zögernd und so leise, als wolle er selber es nicht vernehmen. „Es ist mir nur so eingefallen … ich hab’ Dich nur fragen wollen … hast Du nie was gehört?“

„Von was, Vater?“ fragte Th’res mit bewegter Stimme hinwieder; sie wußte wohl, was er meinte, aber eben darum griff es ihr an’s Herz – in den fünf langen Jahren war es das erste Mal, daß er des Verstoßenen gedachte.

„Nun von dem Andern – Du wirst schon wissen, wen ich mein’ …“

„Ich hab’ nie was gehört,“ lautete die betrübte Antwort, „es ist selbiges Mal gerad’ ein Schiff in Rosenheim auf dem Inn gelegen … da ist der … der Andere eingestiegen und damit fortgeschwommen, nach Passau und nach Wien hinunter, und Gott weiß, wohin weiter …“

Das Gespräch brach ab, denn sie waren an der Linde angekommen; zu gleicher Zeit aber wurden laute Stimmen vernehmbar, als käme eine größere Anzahl Menschen die von Gebüsch umrandete Anhöhe herauf. „Was giebt es denn?“ sagte der Alte. „Ich glaub’ es kommen Leut’ – wenn’s Fremde sind, geh’ ich hinein – ich kann das Geschau nit leiden und das Gefrag’ und das Gespött’ …“

Th’res wollte eben vortretend den Abhang hinunterblicken, als über demselben der rothe Kopf und der dicke Körper des Geschäftmachers Unterberger auftauchte, der sie plötzlich erblickte und durch lauten Zuruf festhielt. „Aha, da sind wir ja schon!“ rief er lachend und näher kommend. „Wenn ich nicht irre, ist das die Person, über die ich so viel hab’ lachen müssen, wie ich das letzte Mal da war, die nicht gewußt hat, wer sie ist und als was sie eigentlich auf dem Hof’ ist … ‚Ich bin halt die Th’res,‘ setzte er, die damalige Rede des Mädchens nachäffend, unter erneutem Gelächter hinzu. „Vielleicht weiß sie es jetzt – es hat sich ja allerlei geändert da auf dem Lindhamerhof – schon der neue bequeme Fahrweg, während man früher steigen und schwitzen mußte, als wenn’s auf eine Alm’ hinaufginge. Das ist schon ein Vortheil – ein zweifacher obendrein, denn jetzt kann man Alles, was oben ist, fein kommod herunterbringen …“

Th’res stand dem redseligen Spötter gegenüber, als wäre sie in eine Steinsäule verwandelt, theils vor eigener Ueberraschung, theils aus Bestürzung darüber, daß das, was sie nun kommen sah, auch dem Alten sogleich nach seinem ganzen Inhalte bekannt werden mußte; war er auch bereits auf Schlimmes vorbereitet, würde sie doch, wenn es in ihrer Macht gestanden, den unmittelbaren Hereinbruch des letzten Schlages von ihm abgelenkt oder durch Zögern abgeschwächt haben – nun war an ein Halten oder Vermitteln nicht mehr zu denken. Der Alte hatte Alles mit angehört und sich in einer der Aufwallungen aus der alten Zeit seiner Herrschaft und Kraft hoch aufgerichtet, den Gast zurecht zu weisen, der sich erdreistete, hier solche Sprache zu führen. Dieser hatte ihn ebenfalls bereits bemerkt und kam ihm zuvor.

„Ah, da ist auch der Lindhamer von Lindham,“ rief er ihm höhnend zu. „Nun, Alter, wie geht’s? Wie schlägt der Austrag an? Nicht gut, habe ich gehört – Ihr sollt ja fast blind geworden sein. Thut mir leid – aber weit muß es mit Euren Augen nie her gewesen sein, sonst hättet Ihr schon früher Euren Vortheil besser eingesehen.“

„Herr!“ stammelte der Alte.

„Wer hat jetzt Recht behalten?“ unterbrach ihn der Andere hämisch. „Ich hab’ Euch damals ein schönes Gebot gelegt – hättet Ihr eingeschlagen, es wäre Euer Vortheil gewesen – jetzt ist der Lindhamerhof doch mein, wenn ich will, und jetzt kann ich erst recht ein gutes Geschäft machen, wenn ich den Wald abholze, denn jetzt bekomme ich ihn noch um ein Gutes billiger.“

„Ich kenn’ den Herrn nit,“ sagte der Alte wie verloren, „es ist mir wohl, als wenn ich die Stimm’ schon einmal gehört hätt’ – aber ich versteh’ nit, was er von mir will, was das Reden bedeuten soll …“

„Ah, Ihr werdet doch wissen, was hier geschieht,“ rief der Unterhändler mit noch frecherem Lachen. „Was ich will? Was meine Reden bedeuten? Daß der Lindhamerhof auf der Gant ist und von Gerichtswegen versteigert wird, und daß ich mitsteigern und mir das Zeug noch einmal ansehen will, ob’s noch der Mühe werth ist, daß man sich damit einläßt …“

Der Landrichter, in grauer Lodenjoppe und die Dienstmütze mit dem stehenden Löwen auf dem Kopfe, war inzwischen sammt Schreiber und Gerichtsdiener näher gekommen und unterbrach das Gespräch. „Grüß’ Euch Gott, Lindhamer,“ sagte er mit dem Tone der Leutseligkeit, der ihm zur Gewohnheit geworden war, „wie geht es Euch? Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen, und damals, wie Ihr das letzte Mal bei mir wart, hätte ich auch nicht gedacht, daß mich ein so trauriges Geschäft wieder auf den Lindhamerhof führen würde …“

„Ich auch nit,“ sagte der Alte, der nach Athem und Fassung rang.

„Es wäre vielleicht doch klüger gewesen,“ fuhr der Beamte fort, „wenn Ihr den Hof Eurem ersten Sohne, dem Wolf, gelassen hättet – schlimmer hätte der Loder es auch nicht machen können. Und wer weiß, ob er sich nicht noch geändert hätte … Ihr habt Euch eben übereilt, Alter …“

„Ja, ich habe mich übereilt,“ entgegnete der Lindhamer finster – „das macht, weil ich damals keinen einzigen guten Freund gehabt hab’, der mir abgeredt hätt’ … es hat Alles gehetzt und geschürt an mir … Aber, wenn ich fragen darf, was wollen denn Gnaden Herr Landrichter eigentlich auf dem Lindhamerhof?“

„Was werde ich wollen?“ antwortete der Landrichter verwundert. „Der Hof ist verschuldet – eine Menge Gläubiger haben Euren Sohn eingeklagt. Der Hof wird gerichtlich versteigert, wenn nicht über Nacht ein Geldsack vom Himmel fällt, daß der Lindhamerbauer wieder zahlen kann … Wo ist er denn?“

„Ich weiß nit, Ihr’ Gnaden … er ist schon in der Früh’ fort …“

„Was? Fort, wo er doch weiß und wissen muß, daß heut’ die Gerichtsschätzung kommt? Nun – das ist in der That eine Sorglosigkeit, wie sie mir noch nicht vorgekommen ist …“

Der Brunngraber, der indessen durch den Obstgarten unbeachtet näher geschlichen war, trat jetzt unter den Bäumen hervor. „Der Bauer wird halt vergessen haben,“ sagte er mit einem halb spöttischen, halb gutmüthigen Lächeln – „ich hol’ ihn aber, wenn er nöthig ist, ich weiß, wo er ist. Er sitzt drunten im Straßwirthshause bei ein paar ungarischen Viehhändlern und pascht mit ihnen …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_464.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)