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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Gährungsmittel in dem Gefühls- und Gedankenchaos von damals zu verwenden und zu verwerthen trachtete, hatte er Aehnlichkeit mit Hamann; aber er war in jedem Betracht reinlicher und wohlduftender als dieser aufgeschwemmte Schmarotzer, welchen seine Verehrer den „Magus im Norden“ nannten, der aber, weil er so zu sagen die Bibel mit dem Contrat social Rousseau’s verkuppelte, eigentlich der Oberconfusionsrath Germaniens heißen sollte. Im Uebrigen ist Lavater bei all seiner rahmtortesüßen Fühlsamkeit und kraftgeniemäßigen Ueberschwänglichkeit ein praktischer Schweizer gewesen, welcher seine Apostelgänge und Physiognomikerwanderungen zugleich zu Geschäftsreisen zu machen verstand. Es ist doch ein deutliches Zeichen, wie unser junger Titan in dem allgemeinen Nebel der siebenziger Jahre redlich mitnebelte, daß er im Sanct Lavatus einen congenialen Bruder zu erkennen glaubte.

Gar zu lange hielt diese Illusion freilich nicht vor. Aber im Sommer von 1774 war sie stark. Da, zu Ende Juni, kam der Prophet von Zürich nach Frankfurt und trat beim Wolfgang ein.

„Bist’s?“

„Bin’s!“

So die Begrüßung, ganz im Kraftstil der Wild, La Feu und Blasius in Klinger’s Drama. Der Wolfgang machte den also im Sturme gewonnenen Freund mit der „schönen Seele“ Klettenberg und anderen Frömmlichkeiten bekannt, und der Züricher Apostel schwamm eine Woche lang mit Behagen in dieser Atmosphäre parfümirter Christlichkeit. Dann hub er sich von dannen gen Ems. Sein ganzes Auftreten muß aber immerhin einen bedeutenden Eindruck gemacht und hinterlassen haben. Sogar unser darmhessischer Kriegszahlmeister Merck mephistophelisirte zwar die frommen Frankfurter Weiblein, welche in ihrem süßen Enthusiasmus dem Herrn Helfer wohl gern gethan, wie Maria Magdalena vor Zeiten Jesu that, d. h. ihm gern liebsam das Haupt gesalbt und ihn mit ihren Haaren abgetrocknet hätten; aber doch konnte auch der Schalk nicht umhin, im August über Lavater an Nikolai zu schreiben: „Wenige Menschen habe ich gesehen, die auf mich einen so erbaulichen Eindruck gemacht hätten wie dieser außerordentlich gute Mensch.“

Ob Lavater schon damals mit seinem orthodoxen Entweder – Oder: „Entweder Christ oder Atheist!“ gegen unsern Dichter herausrückte, möchte zu bezweifeln sein; denn der Wolfgang wäre doch wohl darob schon jetzt kopfscheu und widerlavaterisch geworden, wie er es später wurde, als ihm die Seelenfischerei Sancti Lavati weniger harmlos erschien, als sie trotz alledem war.

Im Juli bewerkstelligte ein anderes Original jener an Originalen so reichen Zeit seine Epiphanie im goethe’schen Hause, der pädagogische Kraftstoffel Basedow, ein Stark- und Schwarmgeist aus dem ff, Reformer des Erziehungswesens nach Rousseau’-schen Grundsätzen, item unermüdlicher Tabakraucher und unerbittlicher Weinvertilger. In letzterer Eigenschaft inspirirte er, d. h. die Erinnerung an ihn, unsern Dichter lange Jahre nachher zu seinem lustigen Trinklied „Ergo bibamus!“ Basedow, in seiner Art nicht minder, sondern sogar noch mehr als Lavater ein Geschäftsreisender, begab sich zu dem Herrn Helfer nach Ems, um diesen zu vermögen, daß er ihm für sein Dessauer Philanthropinum Zöglinge „weible“, wie die Schweizer sagen. Der Wolfgang reiste bald den beiden sonderbaren Schwärmern nach, traf am 15. Juli zu Ems ein und trieb es da mit Maskiren, Tanzen, Zechen verschiedene Tage und Nächte lang kraftgenialisch genug. Zwischenhinein hat er auf einer Lahnfahrt seine schönen ernsten Strophen „Geistesgruß“ gedichtet. Sonst war die Knittelreimlaune obenauf und wie! Zeugniß hierfür das vom Wolfgang aufgenommene Protokoll über den Verlauf des Mittagessens, so unsere drei Reisenden auf ihrer Fahrt rheinabwärts im Gasthause „Zu den drei Reichskronen“ zu Koblenz eingenommen haben: –

„Zwischen Lavater und Basedow
Saß ich bei Tisch, des Lebens froh.
Herr Helfer, der war gar nicht faul,
Setzt’ sich auf einen schwarzen Gaul,
Nahm einen Pfarrer hinter sich
Und auf die ‚Offenbarung‘ strich,
Die uns Johannes der Prophet
Mit Räthseln wohl versiegeln thät;
Eröffnet die Siegel kurz und gut,
Wie man Theriaksbüchsen öffnen thut.
Und maß mit einem heiligen Rohr
Die Kubusstadt und das Perlenthor
Dem hocherstaunten Jünger vor.
Ich war indeß nicht weit gereist,
Hatt’ ein Stück Salmen aufgespeist.
Vater Basedow unter dieser Zeit
Packt einen Tanzmeister an seiner Seit’
Und zeigt ihm, was die Taufe klar
Bei Christ und seinen Jüngern war,
Und daß sich’s gar nicht ziemet jetzt,
Daß man den Kindern die Köpfe netzt.
Drob ärgert sich der Andre sehr
Und wollte gar nichts hören mehr
Und sagt, es wüßt’ ein jedes Kind,
Daß es in der Bibel anders stünd’.
Und ich behaglich unterdessen
Hatt’ einen Hahnen aufgefressen.“

Die Rheinreise wurde gemeinsam bis Köln fortgesetzt, „Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten.“ Dann suchte das „Weltkind“ seinen Straßburger Mitstudenten und Tischgenossen Jung-Stilling in Elberfeld auf, wo er außerdem mit Fritz Jakobi und Heinse zusammentraf. Auch Sanct Lavatus langte von Köln her mit einem Schweife von mehr oder weniger Erweckten an. Der gute Jung gibt eine wider Willen ergötzliche Schilderung von einer im Hause eines Elberfelder Frommen abgehaltenen Conventikelsitzung, wobei sich die drei durch Jakobi, Heinse und Goethe dargestellten Schattirungen von Kraftgenies sonderbarlich genug ausgenommen haben mögen. Jung hatte aber doch selber seine Freude daran, wenn der Götz- und Wertherdichter die versammelten Mucker, so der eine oder andere ihn „mit starren und gleichsam bemitleidenden Augen ansah“, mit „großem hellem Blick darniederschoß“.

Mit dem ganzen Freundschaftsüberschwang jener Zeit schloß sich Jakobi unserm Groß- und Hellblicker an, welcher den neugewonnenen Freund nach Düsseldorf begleitete, von wo sie Ausflüge nach Köln und Schloß Bensberg machten. Achtunddreißig Jahre später hat Jakobi den großen Freund daran erinnert, daß derselbe in einer Laube des Schloßgartens damals begeisterungsvoll über Spinoza sich ausgelassen habe, woraus zu schließen, daß Goethe diesem erlauchten Denker, der ihn seine erhabene Resignation lehrte, zu jener Zeit schon recht nahegetreten sein mußte.

Am 13. August war der Dichter wieder daheim in Frankfurt, wo er dann im October durch den schon früher gelegentlich erwähnten Besuch Klopstock’s geehrt wurde. Der Messiassänger kam von Göttingen und ging nach Karlsruhe, wohin der Markgraf Karl Friedrich ihn eingeladen hatte. Am erstern Orte war ihm von Seiten der Hainbündler, die ihn vergötterten, ein Weihrauchopfer gebracht worden und der Duft desselben lag ihm noch in der Nase, als er in Frankfurt unsern jungen Titan für den Hainbund werben wollte. Aber der Wolfgang mochte sich erinnern, daß Freund Merck wohl im Hinblick auf die Hainbündelei einmal gesagt hatte: „Die Anderen wollen das Poetische, das Imaginäre verwirklichen und das gibt nur dummes Zeug; deine Bestimmung ist, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben“ – und ließ sich nicht weiter auf die wohlgemeinte Phantasterei ein. Seinem Gaste, der sich, wie Goethe meldet, als „Stellvertreter höherer Wesen, der Religion, Sittlichkeit und Freiheit“ betrachtete und gab, las er Faust-Fragmente vor, welche gnädig aufgenommen wurden. Aber ein dauerndes gutes Verhältniß hat sich zwischen den Beiden nicht hergestellt, und der offene Bruch erfolgte bekanntlich unlange nach Wolfgang’s Uebersiedelung nach Weimar.

Klopstock war nicht der Mann, mit guter Miene oder gar mit herzlicher Freude sich darein zu finden, daß Goethe über ihn hinauswuchs, wie wir das den guten Papa Wieland thun sehen werden, und der über den Priester der Muse von Zion Hinausgewachsene seinerseits hatte auch bald kein Hehl, daß der von Klopstock „auf Golgatha’s Hügel geführte überepische Kreuzzug“ eigentlich nur in’s theologische Nebelheim geführt habe und im Grunde herzlich langweilig sei. Der Patriarch der deutschen Literatur rächte sich in einer Weise, wie sie weder seiner Christlichkeit noch seiner mit Recht verehrten Ehrwürdigkeit anstand, indem er handschriftlich-epigrammatische Nadelstiche auf Goethe versuchte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_469.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)