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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Sie sind unverbesserlich,“ antwortete der König. „Gott befohlen! Ich komme heute Abend in’s Theater.“

Die Probe zu der genannten Oper war im vollen Gange, als der Graf in oben erwähntem Staate auf die Bühne kam. In demselben Momente sollte Graf Armand aus dem Fasse entfliehen. Der Karren, worauf das Faß lag, war sehr ungeschickt gebaut und daher sehr schwer zu regieren, so daß der Sänger des Wasserträgers seine Noth mit demselben hatte und durchaus damit nicht zurecht kommen konnte. Graf Hahn, der ein Weilchen den Sänger sich abquälen sah, rief: „Ach was da! Das Ding muß ja gehen,“ und spannte sich in voller Gala selbst vor den Karren. Auch half er, ohne sich umzukleiden, dem Theatermeister beim Arrangement der Scenerie.

Am Abend vor der Vorstellung stand er, ebenfalls in Gala, am Eingange des Theaters, um den König zu empfangen. Es machte sich höchst possierlich, den alten besternten Herrn die Jungen forttreiben zu sehen, die sich unentgeltlich in’s Theater schleichen wollten, oder einem Matrosen, der die Galerie besuchte, das Billet abnehmen zu sehen.

Endlich hörten die Vorstellungen in Kiel auf. Am 4. April 1843 reiste Graf Hahn mit seiner ganzen Gesellschaft per Extrapost, je zu Vier, nach Hamburg. Das Eintreffen der Gesellschaft erregte auf St. Pauli ein förmliches Aufsehen. Dort war man gar nicht gewohnt, solche Schauspieler und Schauspielerinnen zu sehen; man kannte dort nur Komödianten, die ganz ungenirt ihr Wesen trieben; mit einem Male gewahrte man anständige Menschen in feinen Toiletten und mit feinen Tournuren. Der Graf war entzückt über das Benehmen seiner Kinder, wie er uns stets nannte.

Nun begannen für das Actientheater Vorstellungen, die vielleicht nie wieder dort stattfinden werden. Graf Hahn entwickelte eine Pracht, einen Luxus, daß sogar die Noblesse Hamburgs entzückt von diesen Vorstellungen war und daher das Theater fleißig besuchte. Ich habe den Grafen seine Recitative nie so vergnügt und heiter singen hören, als gerade zu dieser Zeit. Gab er irgend welchem Schauspieler eine Rolle, so sang er: „Hier, mein Sohn, hast Du eine schöne Rolle. Lerne und spiele sie gut!“

Im „Freischütz“, den er mit Massen von Feuerwerk und Hokuspokus in der Wolfsschlucht ausstattete, gab er selbst den Samiel. Hatte er einen Augenblick Zeit, so lief er als Teufel unter das Podium, zerrte den Souffleur aus dem Kasten und setzte sich ganz behaglich selbst hinein, um zu souffliren, aber auf eine ganz possierliche Weise. Bald rief er einer Chorsängerin zu, daß ihr Unterrock zu lang sei und vorsehe, bald blätterte er im Buche oder im Clavierauszuge umher, um eine Stelle zu lesen, die gerade sein Interesse erregte. Geschah nun auf der Bühne dadurch eine Verwirrung, so schlich er sich leise aus dem Kasten auf die Bühne und that so, als wenn er gar nicht in dem Souffleurkasten gesteckt hätte.

Auber’s Maskenball ging mit einer Pracht in Scene, die eines Hoftheaters würdig gewesen wäre. Der Balletmeister Kobler schmückte besonders den fünften Act der Oper durch sinnige Arrangements. Der Graf war unermüdlich, bald Dies, bald Jenes anzuordnen. Es lag ihm Alles daran, im fünften Acte die Ermordung des Königs durch Ankarström so treu wie möglich wiederzugeben. Hatte er doch, wie oben erzählt, selbst jene historische Ballnacht mit erlebt.

Bei dieser Gelegenheit schilderte uns der Graf das historische Ereigniß folgendermaßen: „Als der Schuß fiel, drangen durch alle Thüren die Garden, bildeten um alle Anwesenden einen Ring und bemächtigten sich sofort Ankarström’s. Vier Pagen, unter denen ich mich befand, holten einen großen Sessel herbei, worauf der zum Tode getroffene König von seinen Cavalieren aus dem Saal getragen wurde. Der König lebte noch vier Tage; ich und ein Graf Löwenskjold waren bei seinem Tode zugegen. Der Schandbube hatte den König mit gehacktem Blei in den Rücken getroffen. Es sind jetzt einundfünfzig Jahre verflossen, und dennoch erinnere ich mich ganz deutlich jener verhängnißvollen Ballnacht, sehe noch deutlich, wie man diesen Ankarström aus dem Saale mit Kolben stieß; wie ein Blödsinniger folgte er den Wachen. Der Bube war nicht einmal von Adel; er war nichts als ein dummer Projectenmacher, ein Querulant, der sich von einer gewissen Partei benutzen ließ, den König zu ermorden.“ Gerade so, wie der Graf die Ermordung des Königs uns schilderte, ließ er sie auf der Bühne darstellen. Alle Costüme waren treu der Zeit angemessen. Doch die Ausgaben überstiegen bei Weitem die Einnahmen. Ueberhaupt erregte das Treiben im Actientheater auf St. Pauli das größte Aufsehen. Die damaligen Directoren des Hamburger Stadttheaters, Cornet und Mühling, besuchten mit ihrem genialen Capellmeister Krebs, wenn möglich, fast jede Oper, die der Graf Hahn auf seinem Theater gab.

Das Unternehmen auf St. Pauli endete mit Schrecken. Graf Hahn sah sich mit einem Male mit einer Schuldenlast von beinahe vierzigtausend Mark belastet, die er seiner Theaterliebe zum Opfer gebracht hatte. Er selbst brauchte außerordentlich wenig, denn er lebte in jeder Beziehung sehr mäßig. Während sein Herr Cassirer S. Champagner trank und dazu Caviar oder Austern speiste, begnügte sich Graf Hahn mit einem leeren Butterbrode und trank dazu einen dänischen Kümmel. Er war blind in der Hauptsache; „das Geld“, es war ihm stets Nebensache. Er gab nie Acht darauf; wenn er nur donnern und blitzen und mit seinem Theatermeister hantiren konnte, ließ er Gott einen guten Mann sein. Nie, war das Unglück noch so groß, verlor er seine liebenswürdige Heiterkeit. Nur der Undank einiger Schauspieler, denen er früher so viel Gutes gethan, kränkte den alten Herrn tief. Zu diesen Undankbaren gehörte zu der Zeit ein Herr Benroth. Als die Noth am höchsten war, trat eines Tages dieser Herr Benroth in’s Zimmer des Grafen und forderte von demselben brutal den Rückstand seiner Gage.

„Herr Graf,“ brüllte der Mime, „ich verlange meine Gage, ich habe nichts zu essen!“

„Ah, das ist ja sehr traurig und bedauernswürdig,“ erwiderte der Graf. „Da muß ich Sie wohl zu Gaste laden, denn ich bin ja reicher als Sie, lieber Herr Benroth.“

Damit zog der Graf die Thür eines Schrankes auf und nahm aus demselben einen Teller, worauf einige kalte Kartoffeln und ein Stückchen Häring lagen. „Hier! theilen Sie mein Diner!“

Roth vor Scham, entfernte sich der Mime, ohne weiter eine Silbe hervorbringen zu können.

Bei meiner Abreise von Hamburg ersuchte mich der Graf, mit meinem Rückstande so lange zu warten, bis ihm bessere Zeiten würden. Der Sohn des Grafen deckte sämmtliche laufende Wechsel. Die Herrlichkeit auf St. Pauli hatte ihr Ende erreicht.

Mein Guthaben an Gage erhielt ich zwei Jahre später ganz unverhofft in Mainz, begleitet von einem kurzen Schreiben:

„Meine Schulden von St. Pauli!

          Herzlichen Gruß von

Altona, den 10. Oktober 1844.

          Carl Graf Hahn-Neuhaus.“

Des Grafen letzte Pilgerfahrt in der Theaterwelt fand im Jahre 1856 statt, wo er in Sommerhude bei Altona das Semmertheater leitete. Zunehmende Schwäche und Kränklichkeit hießen ihn endlich aufhören, Direction zu führen. Er bezog in Altona sein eigenes Haus. Alle seine Verbindlichkeiten wurden geordnet, so daß der alte Pilger sorglos die Stunde erwarten konnte, die den Vorhang seines Lebensspiels fallen lassen würde.

Von Gicht geplagt, Rollen und Noten zum Zeitvertreib abschreibend, lebte Graf Hahn-Neuhaus bis zum 25. Mai 1857; man fand ihn vom Schlage gerührt todt im Bette. Als ich gerade zur Zeit seines Todes in Hamburg eintraf, um dort ein Engagement anzutreten, folgte ich still und unbemerkt als einziger Repräsentant der deutschen Bühne seiner Leiche, die von den Spitzen der Stadt Altona bis zum Bahnhof geleitet wurde, um in der Familiengruft des gräflichen Hauses beigesetzt zu werden. Der Sarg des Verblichenen war mit der Grafenkrone und seinen sämmtlichen Orden geschmückt. Sanft ruhe des Biedermanns Asche!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_473.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)