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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


er wollte allein sein mit sich selbst, mit seinem Unglück und der Selbstqual seiner Erinnerung.

Es ging schon stark gegen Abend; die Sonne war dem westlichen Hügelrande schon nahe und verbreitete jene Goldfluth um sich, welche für den andern Tag ihre Wiederkehr in gleicher Herrlichkeit verkündet, als Th’res wieder an die Thüre des Austraghauses pochte, den Alten anrief und ihm meldete, der Werkführer des neuen Herrn mit noch einem Gehülfen sei gekommen. Der Alte trat heraus; er konnte ihr Angesicht nicht erblicken, also auch die Erregung nicht gewahr werden, die auf ihren Zügen sichtbar ward, dennoch entging seinem geschärften Ohre nicht, daß ihre Stimme minder fest klang als sonst.

„Armer Narr,“ sagte er theilnehmend, „bist erschrocken darüber! Ich glaub’s wohl; aber schau mich an! Mich trifft’s doch wohl noch schwerer wie Dich, und mir soll’s doch Keins anmerken, wie hart’s mich ankommt, den Gang zu thun. Wo ist der Herr?“

„Sie haben Haus und Hof kaum angeschaut,“ erwiderte Th’res, „und sind gleich in den Stall, um das neue Vieh zu mustern, das vorhin gekommen ist – Ihr müßt ja das Geläut gehört haben. Dann ist der erste Gang zum Lindenbrünn’l gewesen. Der Eine von den Zweien kann kein Wort deutsch, aber der Andere kauderwälscht so was zusammen, daß man es halbwegs verstehen kann. Der hat gesagt, das wäre die Hauptsache – beim Brünn’l müßt’ man vor Allem nachschauen, wie’s damit stünd’; das wäre das Leben vom Lindhamerhof.“

„Der Mann versteht’s,“ murmelte der Alte, indem er Th’res folgte. „Komm mit! Ich will doch sehn, was sie thun, oder – hören wenigstens,“ fügte er, mit bitterem Scherz sich selbst berichtigend, hinzu. –

In der von den Lindenbäumen gebildeten weiten Runde war es bereits düster und dämmerig; auch die fast ganz entblätterten Aeste bildeten ein so dichtes Kronengewölbe, daß nur der lebhafte Schein der sinkenden Sonne noch einige Helle zu verbreiten vermochte. Die Fremden standen an dem Schachte, den man zu graben versucht hatte, und musterten mit Kennerblicken die Arbeit, wie die umherliegenden Werkstücke. Der Alte trat an Th’resens Hand näher, die sich hinter ihn stellte und so zurück hielt, daß der Fremde, den man als den Werkführer bezeichnete, sie nicht erblicken, wohl aber von ihr beobachtet werden konnte; die Vorsicht war jedoch unnöthig, denn der Fremde schien sie gar nicht zu beachten, und sah über sie hinweg, als ob sie gar nicht zugegen wäre. Sie hatte denselben bis jetzt nur aus der Ferne gesehen; aber bei seinem ersten Anblick hatte ein eigenthümliches Gefühl sie durchzuckt: es war ihr, als sei diese schlanke, kräftige Gestalt ihr nicht unbekannt; doch ebenso schnell, als er entstanden, hatte sie den Gedanken als eine Thorheit wieder verscheucht. Der Mann war ja völlig fremd, verstand nicht einmal Deutsch und sein Anzug zeigte, daß er aus einem ihr unbekannten, weit entfernten Lande komme. Er trug, wie sein Begleiter, einen kurzen, schwarzen Leibrock, enganliegende Beinkleider und Halbstiefelchen und auf dem Kopfe die hohe Pelzmütze mit Reiherfeder, wie sie die Juraten oder ungarischen Studenten zu tragen pflegen. Das Gesicht, soweit man es von fern und durch die Dämmerung erkennen konnte, war von dichten schwarzen Haaren und einem ungewöhnlich starten Barte beinahe völlig verdeckt und blaue Brillengläser machten es unmöglich, die dahinter verborgenen Augen zu erkennen. Der Gefährte sprach eifrig zu seinem Herrn; wenn auch die Sprache fremd klang, war doch zu erkennen, daß er ihm erklärte, daß die Sache mit dem Brunnen verkehrt angegriffen sei und daß an einem andern Orte der Versuch hätte gemacht werden sollen.

„Das sein nix,“ setzte er dann in gebrochenem Deutsch hinzu, um sich den Landleuten verständlich zu machen, die von den umliegenden Weilern und Häusern herbeigekommen waren, um den Fremden zu betrachten; denn das Gerücht dessen, was auf dem Lindhamerhof vorgehe, war schnell in die Nachbarschaft gedrungen. „Das sein ungeschickt. Ist das Wasser geradezu abgeleitet, wie absichtlich. Hätte man gesucht weiter oben, hätte man finden müssen den rechten Schacht.“

Der Alte nickte still Beifall. „Ja wohl,“ sagte er, „ich habe Einen gekannt, Herr, der hat dasselbe gesagt, aber man hat ihm nicht geglaubt.“

Beim ersten Laut aus dem Munde des Alten hatte der Fremde sich rasch gegen ihn umgewendet und Th’resens von ihm nicht weichendem Auge entging es nicht, daß er zusammenbebte und mit Gewalt an sich hielt; nur seinem Begleiter rief er ein paar Worte der Ueberraschung zu, aber so leise und flüchtig sie gesprochen waren und so fremdartig sie klangen, erweckten sie doch in Th’res einen Widerhall, über den sie sich nicht zu täuschen vermochte. „Die Stimm’“ … zitterte es wie ein Hauch von ihren Lippen, und wie ein Verdürstender, dem man erst einen Tropfen gereicht, beugte sie sich vor, um noch mehr von den Klängen zu schlürfen. Sie vernahm nichts mehr; der Gehülfe aber trat zu dem Alten und sagte:

„Kommt, Herr Pany – Vater – der Herr da sein Bruder von dem Herrn, was hat gekauft den Hof. … Er hat gehört von Euch daß Ihr seid ein braver Mann, und er möchte Euch geben die Hand.“

„O, gern, gern, mit Freuden,“ sagte der Greis und streckte die Hand aus. Im nächsten Augenblick hatte der Fremde sie ergriffen, drückte sie herzlich und warm, aber schweigend und eilte rasch hinweg, dem Gehülfen die Führung des Greises überlassend, der verwundert nach dem Entflohenen fragte.

„Kommt er gleich wieder,“ sagte dieser. „Wird ihm eingefallen sein Geschäft, wichtiges, das er nicht versäumen darf.“

Th’resens Zweifel und Schwanken war bei diesem Anblick in Gewißheit, ihre Besorgniß und Befürchtung in Freude übergegangen, und eine Fluth von Entzücken brach aus den lange zurückgehaltenen Tiefen des Herzens hervor. Sie gewahrte darüber kaum, daß ihr das Führeramt abgenommen war und die übrigen Anwesenden sich entfernt hatten, als es nichts mehr zu schauen und zu lauschen gab.

„Er ist’s! Er ist’s! – Wahrhaftig – es ist Wolf,“ murmelte sie, und wie ein Engelsflug gingen alle Gedanken der Freude und Hoffnung, alle dem Einen kleinen Worte entsprossen, durch ihre Seele. War es denn möglich? Der in Trauer Ersehnte, der heimlich Geliebte, der schon verloren Geglaubte war wieder da, und wie war er wiedergekommen! Er hatte den Hof um hohen Preis gekauft; er mußte also auch in der Fremde wacker geblieben sein, mußte fleißig gearbeitet und sich zu einem ansehnlichen Mann emporgeschwungen haben, und nun, im Augenblick des höchsten Leids, da war er wirklich wieder da! war als Retter und Helfer da, also ganz der Alte mit dem alten guten Herzen, und wollte unerkannt sehen, was daheim wohl noch beim Alten geblieben! Sie hob die blinkenden Augen zu dem verglimmenden Abendhimmel empor, voll Dankes wegen des Alten, dem nun, nach schwülem Gewittertage, noch ein schöner, wolkenfreier Lebensabend zu hoffen stund, voll Dankes für sich selbst, wenn auch zugleich mit der Lust ein bittres Weh ihr durch die Seele zuckte und sie fühlen machte, daß Wolf durch die mit ihm vorgegangene Veränderung ihr entfremdet und entrissen sein mußte; er war ein Anderer geworden, ein reicher weltgewandter Mann – sie war dasselbe arme, unscheinbare, einfältige Landmädchen geblieben, und zwischen ihm und ihr sah sie eine Kluft aufgethan, die alle Sehnsucht, alle Treue der Liebe nicht auszufüllen vermochte und in der ihr Glück unterging, wie die Sonne, die eben am Horizont versank.

Fußtritte rauschten durch das abgefallene dürre Laub und mahnten sie, daß es im Hause noch für sie zu thun gab. Sie wollte dahin, aber der Brunngraber-Sepp, der aus dem Gebüsch, das sich hinter den Lindenstämmen hinzog, unbeachtet hervorgeschlichen war, vertrat ihr den Weg.

„Du bist allein da?“ sagte er. „Hab’ ich mich also doch verspätet? Ich habe gehört, der fremde Käufer hat einen Tausendkünstler mitgebracht, der das Brunnengraben besser verstehen will, und ich hätte gern auch von seiner Gescheidtheit profitirt. Aber es ist Alles schon fort, wie ich seh’. Meinetwegen! Ich werd’ das Kunststück noch früh genug erfahren, und es ist mir ganz recht, daß ich Dich allein antreff’, denn ich hab’ Dir was Besonderes zu sagen …“

„Geh’ mir aus dem Weg!“ sagte Th’res gelassen; „ich hab’ nichts mit Dir zu verkehren.“

„Ja ja, ich weiß schon, wie es mit uns Zweien ist,“ entgegnete Sepp roh, „Du willst nichts von mir wissen, wie ich nichts von Dir. Ich leugn’s nit; aber ich hab’ ein so gutes Herz, das es nit leid’t, daß Du in Dein Unglück rennst, drum will ich Dir helfen …“

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