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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Ich brauch’ keine Hülf’,“ erwiderte Th’res. „Laß mich meiner Wege geh’n, sag’ ich! Was hast, daß D’ Dich so vor mich hinstellst? Ich glaub’ gar, Du hast getrunken.“

„Getrunken?“ rief Sepp wild. „Na, das hab’ ich nit, aber g’laufen bin ich, wie ein Hund; hab’ wohl in der Eil’ einen Krug Bier hinein gestürzt, aber das ist mir nit in den Kopf gestiegen, denn ich weiß noch recht gut, was ich will. Was ich hab’, hast Du gefragt? Einen Zorn hab’ ich, daß ich den Nächsten Besten, der mit mir anbinden will, bei der Gurgel packen und in der Luft erwürgen könnt’. Der Dickl, der Hallunk, hat mich zum Narren gehabt. Er ist mir Geld schuldig und hat versprochen, er zahlt mich, wenn er das bekommt, was ihn vom Hof ’raus trifft. Heut’ hat er mich bestellt, daß ich mit ihm zu Gericht geh’n sollt’, wo die Auszahlung wär’, aber er hat einen andern Weg genommen und ist nit gekommen, und wie ich dann hinein bin nach Aibling, und hab’ einen kürzern Weg machen wollen, bin ich in’s Moor hineingerathen, daß ich bei einem Haar versunken wär’ … Bis ich mich dann mit Müh’ und Noth hab’ ’rausgearbeitet, ist’s zu spät gewesen, da war er mit dem Geld schon auf und davon – aber mir kommt er nit aus!“ murrte er, wie ein zähnefletschender Hund, – „mir nit! Der Brunnensepp weiß den Weg auch in’s Tirol zu finden.“

„Was geh’n mich Eure schlechten Händel an?“ rief Th’res. „Macht’s miteinander aus! Zum letzten Mal: geh’ mir aus dem Weg!“

„Gleich gleich! Nur nit gar so eilig! Hab’ Dir ja das Alles nur gesagt, weil Du’s hast wissen wollen … Jetzt will ich Dir aber auch sagen, was ich Neu’s erfahren hab’ und was Dich nah’ genug angeht …“

„Was wär’ das?“ fragte Th’res etwas gelassener, weil ihr die Vermuthung aufstieg, daß Wolf vielleicht auch von Sepp gesehen und erkannt sein könnte.

„Es ist nit mehr und nit weniger,“ sagte Sepp, „als daß ich das Mädel von den Seiltänzern aufgefunden hab’, dem der Wolf selbigsmal auf dem Aiblinger Markt zum Eiertanz aufgespielt hat. Weil doch kein Mensch seither von ihm ’was gehört hat und weil ich doch weiß, daß er Dir an’s Herz gewachsen ist, hab’ ich gedacht, es könnt’ Dir Freud’ machen, von ihm zu hören. „Sie hat mir Alles erzählt …“

„Und was wär das?“ fragte Th’res mit halbem Athem.

„Was sonst, als daß er sich in sie verliebt hat, und daß er eigentlich nur wegen ihr fort ist. Er hat sich mit der ganzen Bande auf’m Inn auf’s Schiff gesetzt, ist in’s Kaiserliche hinunter gefahr’n und auch Luftspringer und Seiltänzer ’worden und ’rumgezogen mit der Bande. Das Mädel aber hat er zum Narren gehabt, und wie er an ihr abgefressen gehabt hat, hat er sie in Noth und Elend sitzen lassen, und wahrscheinlich nit allein –“

„Das ist erlogen,“ stammelte Th’res, und dankte es der immer stärker einbrechenden Dämmerung, daß sie die Verwirrung verhüllte, welche die Nachricht in ihren Zügen hervorrief.

Im Gebüsch raschelte es; keines der Beiden achtete darauf.

„Erlogen?“ lachte Sepp. „Aha, möchtest Dir selbst was weis machen! Es nutzt Dich aber nichts: es ist Alles wahr, sag’ ich Dir. Ich kann zehn Juramente darauf ablegen. Wenn Du aber willst, kannst Du’s von der Landfahrerin selbst hören; sie ist da und kommt auf den Hof. Ich hab’ ihr selbst zugered’t, daß sie’s thut. Sie will ihm nachfragen und den Vogel aufsuchen, der ihr von der Leimruthe durchgebrannt ist – kannst sie selber fragen, wenn Du doch mir nit glaubst.“

Th’res erwiderte nichts mehr. So hoch das Entzücken über die Wiederkehr Wolf’s sie empor getragen, so tief war nun der Schmerz, in den wie in einen Abgrund sie die Gewißheit stürzte, daß er draußen auf seiner Wanderschaft wohl klug und reich, aber noch leichtsinniger geworden, als er gewesen – für diese Gewißheit zeugte noch mehr als die Zuversicht des Brunngrabers der Umstand, daß die Anwesenheit der Tänzerin, die doch unmöglich eine Erfindung des Sepp sein konnte, mit Wolf’s Ankunft zusammentraf. Es war klar, daß sie seine Spur verfolgt hatte, um die Rechte ihrer verrathenen Liebe geltend zu machen. Wäre Th’res allein gewesen, sie wäre neben der vertrockneten Quelle niedergesunken und hätte am liebsten den Quell des eigenen Lebens versiechen lassen wie diese. Sepp’s Anwesenheit bewahrte sie davor.

„Na, wo bläst denn jetzt der Wind her?“ rief er lachend. „Krieg’ ich keinen Botenlohn für meine Nachricht? Ich hätte ihn wohl verdient, mein’ ich. Jetzt wirst doch einsehen, daß ich’s gut mit Dir mein’, und wirst Dein Herz losmachen von dem Loder, der Dir im Weg steht bei Deinem Glück. Wie ist’s, soll ich das fremde Weibsbild rufen?“

„Es ist nit nöthig,“ sagte Th’res, sich aufraffend und mit abwehrender Geberde, „ich hab’ nichts mit ihr zu thun … Wenn sie kommt, will ich sie anhören, aber ich hab’ kein Recht, sie auszufragen, kein Recht, dem Wolf einen Vorwurf zu machen – ich gehör’ nit in’s Haus. Er ist nit mein Bruder und auch sonst nit verwandt mit mir oder so besonders gut freund gewesen, daß er mir eine Rechenschaft geben müßt’ … aber weil Du mir doch das Alles hinterbracht und mich eigens aufgesucht hast, sollst Du Deinen Botenlohn haben, Sepp – es ist der, daß ich Dir sag’, ich weiß jetzt, warum es mich allemal völlig kalt überlaufen hat, so oft Du mir begegnet bist; ich weiß, warum Du mich, obwohl ich Dir nie ein Leid’s gethan hab’, nie hast recht anschauen können – Dein Gewissen hat Dich geschlagen … vielleicht seh’ ich Einem gleich, von dem Du nit gern hören und den Du noch viel weniger sehen magst …“

„Du? Wer müßt’ das sein?“ fragte Sepp unsicher.

„Einer, den sie mit starren Augen und bleichem Todtengesicht aus einem Brunnen herauf gezogen haben, wo es ihn verschütt’ hat … mein Vater!“

„Jesus!“ rief Sepp auf und schlug die Hände vor die Augen, als habe er plötzlich den Todten erblickt.

„Du siehst,“ fuhr Th’res fort, „ich weiß jetzt Alles. Was Du für eine Schuld dabei auf Deiner Seele hast, ob’s Bosheit gewesen ist oder Leichtsinn, das mach’ mit unserm Herrgott aus – ich verzeih’ Dir’s. Vielleicht ist’s zu meinem Glück gewesen, daß Du meinen armen Vater in den Brunnen hinuntergelockt hast, weil ich dadurch auf den Lindhamerhof gekommen bin; aber das will ich hoffen, mir gehst Du in meinem Leben nimmer in den Füßen ’rum!“

Sie eilte weg; der Brunngraber dachte nicht daran, sie zu halten. Die unerwartete Beschuldigung hatte ihn so getroffen, daß er nur unsicher und langsam durch die Dunkelheit enteilte, öfter stehen bleibend und um sich blickend; er suchte die Tänzerin. „Sie hat doch versprochen, daß sie kommt,“ murrte er, „und ist doch ausgeblieben! Weibsbildervolk – es ist Eine wie die Andre!“

Er strich an dem Hofe vorüber. Dort war es schon still und dunkel geworden; nur das Licht im Zubauerhause zeigte, daß der Alte von den Fremden dorthin gebracht worden war. Sie selbst schienen bei dem neuangekommenen Vieh im Stalle zu sein, denn von dorther ließen sich Stimmen vernehmen. Im Hause waren die Fenster der ihnen zur Wohnung angewiesenen Gemächer ebenfalls noch dunkel – für den Herrn unter ihnen war Wolf’s ehemalige Kammer bestimmt.

Th’res war unter den Linden stehen geblieben; sie sah Sepp hinwegeilen und setzte sich auf eines der zerstreut umherliegenden Werkstücke – die völlige Dunkelheit des Orts war ihr geeignet, ungestört mit sich zu Rathe zu gehen und den Entschluß zu fassen, der gefaßt werden mußte. So schmerzlich ihr die Furcht und Besorgniß gewesen, den ihr entfremdeten Geliebten verlieren, ihm vielleicht selbst entsagen zu müssen, so war ihr doch die Gewißheit, die sich wie ein vergifteter Dolch in ihre Seele bohrte, noch peinvoller – die Gewißheit, daß der Mann, den ihre vertrauende Liebe gegen eine Welt vertheidigt, auf den sie wie auf einen Felsen Häuser gebaut hätte, ihre Zuversicht nun doch zu Schanden gemacht, daß sie nun doch einen Unwürdigen in ihm erkennen mußte. Mit jedem Augenblicke wurde es ihr wie ein wachsender Brand klarer und klarer, daß auch seine Rückkehr nichts war als ein Beweis seiner Gesinnung: leichtfertig und übermüthig, wie er gegangen, kam er wieder, sein altes Spiel fortzusetzen, nur um seinem Hochmuthe durch die erworbenen Schätze einen Triumph zu verschaffen und seine Feinde zu erniedrigen, unbekümmert um die blutenden Herzen, über die er als Sieger dahinschritt. Und auch mit ihr hatte er offenbar nichts Anderes im Sinne – aber in ihr wenigstens sollte er sich getäuscht haben! Sie wollte ihm zeigen, daß sie ihn durchschaue; gleich bei seiner Ankunft sollte er erkennen, daß sein Gewebe, so fein und heimlich er es auch

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