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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ganz wohl verstanden,“ sagte Th’res. „Ich weiß jetzt, was ich damals nit geglaubt hab’ – Du kannst leicht geschickt und reich zurückgekommen sein, aber der Loder ist fertig!“

„Ich glaub’ wahrhaftig, mir träumt,“ sagte Wolf wie vernichtet.

„Ich wollt’, es wär’ so,“ entgegnete Th’res schmerzlich; „aber es ist leider Gottes wahr, Alles wahr – freilich nit so wie’s der Vater gemeint hat, aber noch viel ärger. Ich hab’ Dich damals nur für leichtsinnig gehalten, aber jetzt weiß ich’s und, wenn mir auch ’s Herz bricht, ich kann’s nit anders sagen als – Du bist schlecht!“

(Schluß folgt.)




Die Vierlande des Schwarzwaldes.


Ein heißer Wandertag lag hinter mir. Bei vierundzwanzig Grad Réaumur im Schatten war ich von Baden-Baden aus über den weitschauenden Mercuriusberg nach dem Städtchen Gernsbach hinabgestiegen, dort einen alten Freund zu besuchen, der seit Jahren schon seine Sommerfrische im tannenumgürteten Murgthale hält, und nun sollte es in der Abendkühle auf dem neuen Schienenwege über Rastatt und Oos wieder heimwärts gehen nach meinem zeitweiligen Asyle auf der stillen Seelach, von deren Waldhöhe das schöne Schloß des russischen Grafen Kreptowitsch über das baum- und wiesengrüne Gelände schimmert.

Der kleine Bahnhof an der Murg sah ziemlich öde aus – die Mehrzahl der vielen Sonntagsausflügler, denen ich an allen Ecken und Enden begegnet war, mochte wohl erst spätere Züge zur Rückfahrt benutzen wollen – über dem menschenleeren Perron aber lag ein eigenthümlicher, intensiver Wohlgeruch, ein Arom, als sei die Luft ringsum mit Ananasduft erfüllt. Verwundert spähte ich nach der Ursache der auffälligen Erscheinung, denn weder rechts noch links gewahrte ich etwas, das einer größeren Blumen- oder Fruchtanlage glich, da trat einer der Beamten, der mein Erstaunen bemerkt haben mußte, aus der Thür der Güterexpedition und winkte mich freundlich zu sich heran.

„Davon kommt’s,“ sagte er lächelnd, indem er auf eine Menge oben mit Leinwand verwahrter Körbe zeigte, welche fast den ganzen Raum des Zimmers in Beschlag nahmen. „Davon kommt’s; ’s sind lauter Erdbeeren, nichts als Garten- und Ananaserdbeeren, und das geht nun seit vierzehn Tagen schon alle Abende so, immer centnerweise. Sehen Sie, die spedire ich nach Stuttgart, jene nach Würzburg, die andern dort nach Deidesheim in der Pfalz.“

„Gartenerdbeeren?“ wiederholte ich zweifelnd. „Und hier aus Gernsbach?“

„Aus Gernsbach selber nicht,“ gab er mir zur Antwort, „aber ganz aus der Nähe, drüben von Staufenberg, ein halb Stündchen von hier. Da baut das ganze Dorf Erdbeeren auf dem Felde, wie man anderwärts Kartoffeln zieht; Morgen und Aecker hat’s da, wo nichts als Erdbeeren gepflanzt sind. Das sollten Sie sich einmal betrachten. Und schauen Sie nur, ’s kommt noch fortwährend neuer Zufluß.“

Ich folgte der Richtung, nach welcher sein erhobener Arm wies, und bemerkte wohl ein Dutzend Weiber und Mädchen, jedes mit einem ähnlichen Korbe auf dem Kopfe, wie die im Güterzimmer stehenden, die von Gernsbach her dem Bahnhofe zuschritten. Den Schluß der Gruppe bildete ein Mann in städtischer Sonntagskleidung.

„Das ist der Erdbeerkönig,“ scherzte der Beamte. „Der Herr Schullehrer von Staufenberg. Der verschickt des Sommers seine paar Hundert Centner Erdbeeren, eigenes und aufgekauftes Gewächs. Das tragt was ab, sollt’ ich meinen.“

Die süßen Lasten wurden vor dem Stationsgebäude niedergesetzt, die schon vorhandene Waare hinzugestellt, und der mir als würdiger Bildner dörflicher Jugend bezeichnete Herr ging mit den rothen Frachtbriefen in der Hand und dem Bleistift hinter dem Ohr geschäftig zwischen den nach ihren verschiedenen Bestimmungsorten gesonderten Körben umher, um zu inspiciren, ob deren Anzahl und Signatur mit den Angaben in den Verladungsdocumenten stimmten.

Die Sache begann mich höchlich zu interessiren. Felder voller großer Gartenerdbeeren, welche der Dampf centnerweise in die weite Welt hinaus entführte, das überstieg alle meine bisherigen pomologischen Vorstellungen. Was wollen dagegen die berühmten Vierlande an der Unterelbe bedeuten, die ihre süßen Erzeugnisse blos im Einzelnen und Kleinen durch das nahe Hamburg hausiren tragen lassen? Und sonderbar! In keinem der vielen Reisehandbücher und Touristenführer findet man dieser merkwürdigen Schwarzwaldproduction auch nur mit einem einzigen Worte Erwähnung gethan; keine Zeitung und keine Zeitschrift haben auf das in der That einzige Erdbeerland noch aufmerksam gemacht, ja von den fünfzig- bis sechzigtausend Fremden, welche Jahr aus Jahr ein das benachbarte Baden aufsuchen, sind es sicher nicht hundert, die von der Staufenberger Culturspecialität eine Ahnung besitzen, und nicht zehn, welche es der Mühe werth erachtet haben, davon Einsicht zu nehmen.

Sobald deshalb der erdbeerzüchtende Pädagog sein Versandgeschäft erledigt hatte, begrüßte ich ihn und drückte ihm meinen angelegentlichen Wunsch aus, von einer so interessanten und anmuthigen volkswirthschaftlichen und commerciellen Leistung des deutschen Vaterlandes, die mir bis dato eine völlig unbekannte gewesen sei, mich des Näheren zu unterrichten. Der Angesprochene, Böcherer ist der Name des verdienten Mannes, erfüllte meine Bitte auf das Bereitwilligste und Liebenswürdigste; er sowohl, als seine Frau, selbst eine der gedachten Korbträgerinnen, wetteiferten, mir all die Belehrung und Aufkärung zu ertheilen, die ich nur wünschen konnte.

„Aber, bester Herr,“ meinte Böcherer freundlich, „Sie müssen selber bald einmal zu uns nach Staufenberg kommen, mit eigenen Augen unsere Erdbeerplantagen betrachten und sehen, wie wir unsere würzigen Ernten gewinnen und zu ihren Eisenbahnreisen ausrüsten. Jetzt während des Heuens habe ich vierzehn Tage Ferien; da stehe ich Ihnen ganz zu Diensten. Nur, bitte, kommen Sie vor fünf Uhr Nachmittags, denn, so wie heute, muß ich noch Wochen lang Abend für Abend nach Gernsbach hinunter, um den Transport meiner Pfleglinge zu überwachen.“

Seine Gattin unterstützte die Einladung ihres Eheherrn mit aufrichtiger Herzlichkeit, und natürlich versprach ich mit Freuden, an einem der ersten halbwegs vom Wetter begünstigten Tage mich einstellen zu wollen. Während wir uns scheidend die Hände schüttelten, läutete die Glocke zur Abfahrt. „Auf demnächstiges Wiedersehen in Staufenberg also!“ rief mir das wackere Paar in’s Coupé nach, und zugleich mit den Erdbeeren dampfte ich aus dem Murgthale der Rheinebene zu – ich, um mich von Rastatt aufwärts zu wenden, die Erdbeeren, um von da aus in’s Unterland zu ziehen, gen Schwaben und Franken, nach der Pfalz und nach Hessen.

Erst Sonnabends darauf schnitt der Himmel zu meiner Forschungsexpedition ein leidlich gnädiges Gesicht. Durch prachtvolle Tannenbestände, wie sie in Deutschland nur der Schwarzwald und Thüringen noch aufzuweisen haben, marschiere ich meinem Ziele zu. Nach zwei recht sauren Stunden, während deren bald bergauf, bald bergab die armen Kniee arg in’s Gedränge kamen, lagen die beiden Staufenberg, das obere und das untere, mir zu Füßen, in einer tiefen Thalmulde, an deren steilen Rändern Rebpflanzungen, Erdbeer- und Gemüsebeete mit einander abwechselten. Unmittelbar unter mir zog sich ein ansehnlicher Hain von Edelkastanien die Schlucht hinunter, während Gruppen von mächtigen Wallnußbäumen ihr braungrünes Geblätter um die ländlichen Häuser beider Ortschaften woben. Das Ganze faßte ein wahrer Wald von Obstbäumen ein. Die südlich-milde Lage des Geländes springt dem Ankömmling somit auf den ersten Blick schon in’s Auge; eine gleich üppige Vegetation von Nuß- und Kästenlaub entsinne ich mich kaum an der vielgepriesenen Bergstraße gesehen zu haben. Denkt man sich dazu als Rahmen des Bildes die stattlichen Berge des Murgthales, zwischen denen die Bauten von Gernsbach heraufschimmern, und im Rücken die schroffe Waldwand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_484.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)